Der Fachkräftemangel in Ungarn betrifft Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen und zieht sich durch sämtliche Berufsgruppen. Die Budapester Zeitung sprach mit Annamária Bagó, die bei der Bilfinger IT Hungary Kft. für Personalmanagement und Kommunikation zuständig ist.
Frau Bagó, welche Branchen deckt Ihr Unternehmen ab?
Die Bilfinger IT Hungary Kft. arbeitet mit verschiedenen Unternehmen der Großindustrie im Bereich Chemie-, Öl-, Gas-, Kraftwerk-, Pharma- und Autoindustrie zusammen. Wir selbst sind im Bereich Elektronik tätig und produzieren verschiedene Produkte, überwiegend Verbindungselemente, wie beispielsweise Kabeltrassen.
Spürt Ihr Unternehmen einen Fachkräftemangel?
Wie alle mittelständischen und großen Unternehmen leiden auch wir unter einem Mangel an Fachkräften, mit dem wir beinahe täglich konfrontiert werden. Ein großes Problem besteht darin, dass auch Länder wie Deutschland oder Österreich einem Fachkräftemangel gegenüberstehen. Viele Ungarn reagieren darauf und bevorzugen es, in diesen Ländern zu arbeiten. Dies betrifft vor allem junge Leute, die in Ungarn noch keine Familie gegründet haben. Wer flexibel ist, möchte natürlich die finanziellen Vorteile anderer Länder nutzen. Andererseits spüren wir auch die Tendenz, dass einige mit Anfang 40 und viel Erfahrungen nach Ungarn zurückkehren. Hinter dieser Entwicklung verbergen sich auch Lösungsansätze. Es ist wichtig, neue Rekrutierungsprozesse voranzutreiben. Damit haben wir im vergangenen Jahr begonnen.
Wie sehen diese Rekrutierungsprozesse aus? Wo und wie wird nach neuen Fachkräften gesucht?
Zunächst einmal sind wir offen für alles. Unsere Hauptintention ist es aber, vor allem neue ungarische Mitarbeiter zu gewinnen. Die ungarischen Sprachkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung, um bei uns arbeiten zu können, da wir natürlich standortgebunden sind. Des Weiteren gehört es zu unserem Wettbewerbsvorteil, eine kostengünstige Lösung vor Ort zu finden. Im Gegenzug bieten wir eine interessante Arbeit. Auch Ausländer, die hier wohnen, sind bei uns herzlich willkommen, sofern sie natürlich Ungarisch können. Weitere Fremdsprachen sind mehr als positiv, vor allem in höheren Positionen. Wir beschäftigen bereits einige Mitarbeiter mit zwei Staatsbürgerschaften. Derzeit sind wir auf der Suche nach Fachkräften aus dem elektronischen und mechanischen Bereich, die verschiedene Maschinen und Geräte bedienen können. Dazu gehören Schweißer und Zerspanungsmechaniker. Aber auch in höheren Positionen haben wir mit Engpässen zu kämpfen. So brauchen wir auch Ingenieure und vor allem IT-Techniker. IT ist das ewige Thema beim Fachkräftemangel. Doch durch die Rekrutierungsprozesse haben wir schon einige Erfolgsgeschichten geschrieben.
Inwiefern?
Wir finden immer mehr qualifizierte Kandidaten und arbeiten mit neuen Rekrutierungskanälen, insbesondere online. Während der Nachwuchsplanung ist es nicht immer einfach, den richtigen Kandidaten mit der gewünschten Ausbildung für eine spezifische Stelle zu finden. Wir sind ein Unternehmen, das gerne auch Kompromisse eingeht und versucht, nicht ganz auf die Position passende Kandidaten mit Weiterbildungen zu fördern, damit das fachlich geforderte Niveau problemlos erreicht werden kann. Wir sind also durchaus auch für Quereinsteiger aufgeschlossen. Viele junge Menschen interessieren sich heutzutage nicht mehr für eine handwerkliche Ausbildung, weil für sie von vornherein klar ist, dass sie studieren möchten. In Ungarn streben immer mehr Menschen danach, Ingenieur oder Manager zu werden, aber es gibt gar nicht genügend Stellen. Sehr gute Fachausbildungen sind auf dem Arbeitsmarkt viel Wert, zumal viele Studienabsolventen zwar ein Diplom, aber keine praktische Erfahrungen vorweisen können. Aufgabe von Unternehmensseite ist es also, effizientes Marketing für verschiedene Fachausbildungen zu betreiben. Bilfinger geht daher auch schon in Schulen, selbst in Grundschulen, um auf die zahlreichen Chancen und Möglichkeiten durch eine Fachausbildung aufmerksam zu machen. Auch für Eltern von jüngeren Kindern kann es wichtig sein, die Vorteile eines Fachberufs zu kennen und Bedenken abzubauen.
Welche weiteren Lösungsansätze sehen Sie für die Zukunft?
Dass es auf politischer Ebene Versuche gibt, weiß ich. Doch auch von Unternehmens- und Arbeitgeberseite kann vieles getan werden. So gibt es interessante und innovative Kooperationen zwischen Schulen und Arbeitgebern. Diese sind jedoch noch stark verbesserungswürdig, da derzeit alles von den Unternehmen ausgeht und die Schulen noch nicht ausreichend die Wichtigkeit der Aufklärung in diesem Bereich erkannt haben. Dabei können vor allem die Kinder die Fachkräfte der Zukunft werden. Von Seiten des Staates muss also noch viel getan werden, damit die Fachausbildungen die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Wir können nicht alle Faktoren beeinflussen, wie beispielsweise den Rückgang von Geburten. Das Image von handwerklichen Berufen kann aber gezielt verbessert werden.
Haben Sie den Fachkräftemangel auch schon in Ihrem Privatleben wahrgenommen?
Ja. Erst letztens hatte ich enorme Probleme, einen Handwerker für meine Wohnung zu finden. Das hat, sage und schreibe zwei Wochen gedauert. Ich hätte nie gedacht, dass es eine so große Herausforderung ist, jemanden zu finden.
Das Interview führte Valerie Laukat