Für Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum gehört die Region Mittelosteuropa als Handelspartner ebenso wie als Investitionsstandort zu den wichtigsten Wirtschaftsräumen. Seit nunmehr einem Jahrzehnt führen die deutschen Auslandshandelskammern eine vergleichende Umfrage bezüglich ihrer Zufriedenheit vor Ort durch, an der sich in diesem Jahr über 1.600 Unternehmen in 16 Ländern beteiligten. Ungarn ist dabei, seine relativen Positionen zu verbessern, kann mit dem 9. Platz unter den attraktivsten Investitionszielen der Region aber noch lange nicht zufrieden sein.
Für Ungarn wurden die Daten von der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) erhoben – mit den spezifischen Ergebnissen befassten wir uns in der Vorwoche bereits ausführlich. Warum aber wird in manchen Ländern eine höhere Zufriedenheit gemessen, obgleich doch statistische Zahlen Ungarn besser abschneiden lassen? Die Antwort ist einfach, meint DUIHK-Präsident Dale A. Martin: „Die Aussagen eines Investors zur Zufriedenheit sind immer abhängig von dessen individuellen Erwartungen.“ Unternehmen, die nach Tschechien oder Ungarn gehen, hätten ganz andere Erwartungen als Firmen, die in Südosteuropa tätig sind.
In Ungarn überwiegt positive Meinung zur hiesigen Wirtschaftslage
Deshalb sei ein Beispiel vorangestellt, bei dem Ungarn gut dasteht: Im zweiten Jahr in Folge haben die Manager in Ungarn eine bessere Meinung zur Wirtschaftslage des eigenen Landes, als die Kollegen in der Region. Der Saldo fiel zum ersten Mal absolut positiv aus (d. h. es gab mehr positive als negative Antworten), was Ungarn in der Region einen respektablen 6. Platz brachte. Auch hinsichtlich der eigenen Geschäftslage wurde der regionale Durchschnitt erstmals übertroffen, hier markierten die ungarischen Manager mit einem positiven Saldo von 45 Prozentpunkten aber auch einen historischen Höchstwert Ungarns. Wenig verwunderlich sind die Unternehmen in den baltischen Staaten, in Polen und Tschechien überdurchschnittlich optimistisch. Etwas überraschender mag anmuten, dass eine ausgesprochen gute Stimmung auch aus Südosteuropa und dabei speziell aus Rumänien und Bosnien-Herzegowina gemeldet wird.
Im Vergleich mit der Region schneidet Ungarn auch hinsichtlich der Erwartungen zur Entwicklung der Exportumsätze über dem Durchschnitt ab, was übrigens seit 2014 der Fall ist. In Bezug auf Investitions- und Beschäftigungspläne gelang es erst jetzt aufzuschließen, hier blickten die in Ungarn tätigen Manager faktisch seit der Weltwirtschaftskrise düsterer als ihre Kollegen im Umfeld in die Zukunft. In der Vorwoche hatten wir ausführlich geschildert, welch schlechte Noten die deutschen Unternehmen der ungarischen Regierung in punkto wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen gaben, Stichwort: Vergabesystem oder Bekämpfung von Korruption.
Bei der Korruption zählt Ungarn zu den absoluten Schlusslichtern in der Region
Dabei zeigt sich, wenn man die für die gesamte Region ermittelten Werte hinzuzieht, dass der Grad der Unzufriedenheit in Ungarn in Bezug auf die öffentliche Verwaltung, die Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik und die Rechtssicherheit nahe am Durchschnitt der Region liegt (Note 3-4). Besonders unzufrieden sind Investoren in den Ländern im Südosten Europas, wohingegen das Baltikum und die übrigen Visegrád-Staaten verhältnismäßig gute Noten erhielten. Bei der Transparenz der öffentlichen Vergabe und der Korruption zählt Ungarn derweil zu den absoluten Schlusslichtern in der Region! Korruption gehört zwar in der gesamten Region zu den drängendsten Problemen, weshalb im großen Durchschnitt zwei Drittel der Firmen unzufrieden mit der Situation sind – in Ungarn sind es aber sogar drei Viertel der Befragten.
Ganz anders stellt sich das Thema Steuern dar: Die Steuerreform der Orbán-Regierung hat im Werturteil der Manager ausländischer Unternehmen in Ungarn außerordentlich positiven Niederschlag gefunden, denn der Durchschnittswert der Zufriedenheit verbesserte sich in Sachen Steuerbelastung von 4,2 im Jahre 2010 auf 3,4 in diesem Jahr, bzw. bei der Betrachtung von Steuersystem und -behörden im gleichen Zeitraum von 4,1 auf 3,5. Der MOE-Mittelwert wurde überhaupt zum ersten Mal erreicht, wobei die Zufriedenheit mit diesen Standortfaktoren in der Region allgemein sinkt. Objektiv verhält es sich jedoch so, dass Ungarn in diesem Wettbewerb mit Polen und der Slowakei, den Balten oder Rumänien ganz bestimmt nicht mithalten kann.
„Aus dieser Perspektive gute Bedingungen“
Schließlich findet sich ein Faktor, der Zugang zu öffentlichen Fördermitteln, bei dem Ungarn die Region abzuhängen vermochte. Hier stehen die Manager ganz sicher unter dem Eindruck der forcierten Ausschreibung von EU-Geldern bis Ende 2015, als die Orbán- Regierung kampagnenartig dafür sorgte, dass keine Mittel aus dem Haushaltszyklus 2007-2013 verloren gingen. Ein weiterer Pluspunkt sind die Arbeitskosten: Bei der diesjährigen Umfrage zeigten sich vier von zehn Managern deutscher Unternehmen in Ungarn mit den hiesigen Arbeitskosten zufrieden – so viele wie nie zuvor. Selbst zusammen mit den relativ hohen Abgabenlasten liegen die Arbeitskosten in Ungarn von knapp 8 Euro/Stunde unter denen Polens und Tschechiens, zur Slowakei besteht mittlerweile ein Rückstand von nahezu einem Viertel.
Die Kammerstudie merkt dazu an, dass „niedrige Arbeitskosten allein in der unternehmerischen Realität selten der ausschlaggebende Grund für Investitionen“ seien, es komme vielmehr auf ein optimales Verhältnis von Kosten, Qualifikation, Verfügbarkeit, Produktivität und regulatorischem Umfeld an. Ausländische Investoren finden „aus dieser Perspektive gute Bedingungen“ in der Region, mit Stundenlöhnen zwischen 4 und 16 Euro, gemessen am deutschen und österreichischen Niveau von ca. 32 Euro. Slowenien, das in der Region die höchsten Arbeitskosten aufweist (doppelt so hohe wie Ungarn), stimmt die dortigen Manager denn auch am ehesten unzufrieden – gleichzeitig aber herrscht dort die größte Zufriedenheit mit der Produktivität vor.
Ungarn bei der Verfügbarkeit von Fachkräften dramatisch abgestürzt
Bei der Verfügbarkeit von Fachkräften ist Ungarn dramatisch abgestürzt (54 Prozent zeigten sich unzufrieden, für nur noch 13 Prozent der Befragten ist die Situation akzeptabel), noch ungünstiger stehen aber Tschechien, Bulgarien und Estland da – in der Slowakei ist die Lage ungefähr mit der hiesigen vergleichbar. Die Qualifikation der Arbeitnehmer wird in Mittelosteuropa mit Durchschnittsnote 2,6 als gut bewertet, in der Berufsausbildung wird das duale System deutscher Prägung gerade in mehreren Ländern implementiert, wozu es eines Wandels in der Einstellung der Bevölkerung bedarf. In punkto regulatorisches Umfeld für den Arbeitsmarkt hat Ungarn dank der umfassenden Arbeitsrechtsreform von 2012 neben Estland einen Spitzenplatz erobert, Slowenien und Bulgarien gelten als besonders unflexibel.
Im operativen Umfeld verbessert sich überall in der Region die Zahlungsdisziplin, gute lokale Zulieferer sind tendenziell hingegen schwerer zu finden. Besser als Ungarn erweist sich die Lage nach dem Managerurteil in Polen und Slowenien. Bei der Infrastruktur gehört Ungarn neben dem Baltikum wieder zur absoluten Spitze, Rumänien kann auf diesem Gebiet nicht mithalten, aber auch in Tschechien und erst recht in der Slowakei zeigen sich viele Umfrageteilnehmer unzufrieden.
Umzüge sind nicht charakteristisch
Im Durchschnitt der Region Mittelosteuropa bleibt der Anteil jener Befragten außerordentlich hoch, die ihr jetziges Land wieder als Investitionsstandort wählen würden (83 Prozent). Im Vorjahr gehörte Ungarn mit 71 Prozent noch zu den Schlusslichtern, Anfang 2016 waren immerhin 80 Prozent der Investoren der Meinung, dass sie ihr Engagement hierzulande nicht bereuen müssen. Das entspricht den in Slowenien und Kroatien gemessenen Werten, während mit der Slowakei 85 Prozent der Investoren, mit Tschechien 92 Prozent und mit Polen als Spitzenreiter sogar 95 Prozent zufrieden sind. Im Kammerbericht wird zu diesen hohen Sympathiewerten angemerkt, dass „reihenweise Umzüge in der Region nicht charakteristisch“ sind, weil den Investitionsentscheidungen gründliche Vorbereitungen vorausgehen, man anders ausgedrückt also „weiß, wohin man geht“.
In der Bewertung der Manager aus den jeweils anderen Ländern hat Tschechien Polen seit 2012 wieder aus der Spitzenposition verdrängt; auf Platz 3 vollzog sich ein ähnlicher Wechsel zwischen Slowakei und Estland. Ungarn hält den 9. Platz hinter Kroatien und vor Rumänien als beste Platzierung unter der Orbán-Regierung – der vor der Krise behauptete 5. Platz gehört heute Slowenien, das damals die Nummer 2 in Mittelosteuropa war. Die Arbeit der Orbán-Regierung schätzen aber auch 44 Prozent der hierzulande tätigen Manager nur als befriedigend ein, dem von 17 Prozent gewählten „gut“ stehen doppelt so viele Bewertungen mit „schlecht“ gegenüber. Es gibt also noch allerhand zu tun, bis der Erfolg der ungarischen Reformen, die ja schließlich laut Regierungskommunikation bereits „funktionieren“, bei den deutschen Investoren ankommt.
Extremwerte
Ungarn belegt im Vergleich der Standortfaktoren unter den untersuchten 16 Ländern Mittelosteuropas hinsichtlich der Flexibilität des Arbeitsrechts den 2. Platz, aber nur Platz 14, was die Verfügbarkeit von Fachkräften anbelangt.