Unter der Orbán-Regierung wird es einfach nicht langweilig. Kaum ist die eigenartige Posse um das angestrebte Referendum über den Sonntagsschluss mit seinem dramatischen Höhepunkt, der Glatzenaktion, abgeklungen, läuft ein anderes Unterhaltungsstück zur Hochform auf. Die Rede ist von dem eigenartigen Finanzgebaren der Ungarischen Nationalbank (MNB). Nachdem sich die MNB jahrelang ihrem Kerngeschäft gewidmet hat, scheint ihr der dabei erzielte Erfolg jetzt zu Kopf zu steigen, oder besser: die durch cleveres Agieren erwirtschafteten Milliarden – die irgendwie wieder ausgegeben sein wollen.
Das scheint gar nicht so einfach zu sein. Schließlich muss es interne Regularien geben, die untersagen, das noch immer defizitäre und von einem beträchtlichen Schuldenberg belastete Staatsbudget am Erfolg der MNB teilhaben zu lassen. Ebenso unmöglich muss es sein, mit den gewonnenen liquiden Mitteln den noch immer schwer kämpfenden hunderttausenden Devisenkreditverlierern unter die Arme zu greifen. Und das, obwohl der plötzliche Reichtum der MNB durchaus etwas mit der Devisenkreditproblematik zu tun hat. Ebenso wenig scheinen die MNBMilliarden für eine Ankurbelung des Kreditgeschäftes der Handelsbanken verwendbar zu sein.
Ausgegeben werden müssen sie aber dennoch. Kein Problem für den findigen Vater der unorthodoxen Wirtschaftspolitik und heutigen MNBPräsidenten György Matolcsy. Er suchte und fand andere Möglichkeiten, um die bei der MNB ganz ohne jeden Sinn herumliegenden Milliarden loszuwerden. Erst betätigte er sich als Galerist, der kräftig Kunstwerke aufkaufte, dann als Immobiliensammler. Mal hier ein Schloss, mal dort ein Bürohaus oder eine hübsche denkmalgeschützte Immobilie im Budaer Burgviertel. So weit so teuer, nur reichte all das wohl immer noch nicht, um genug Geld los zu werden. Da kam Matolcsy die rettende Idee mit den MNB-Stiftungen und deren Lust auf teure Projekte.
Nun stellte sich aber ein neues Problem: Während die kritische Öffentlichkeit bei den Kunst- und Immobilienkäufen der MNB – wenn auch mit Kopfschütteln – noch mitging, schien ihr das Engagement der MNB-Stiftungen dann doch etwas zu gewöhnungsbedürftig, um zu schweigen. Dazu dürfte auch die Geheimniskrämerei von Matolcsy beigetragen haben, allen voran sein beachtliches Kunststück, öffentliche MNB-Gelder durch das Überweisen an eine MNB-Stiftung ganz legal in nichtöffentliche Gelder zu verwandeln, einschließlich abweichender Transparenzvorschriften. So ein Gebaren musste schließlich den Ehrgeiz und die Fantasie der in diesem Land noch immer vorhandenen kritischen Journalisten anspornen.
So kam, was kommen musste: Sie suchten Informationen, klagten und wurden reichlich fündig. Aufträge an Fidesz-nahe Baufirmen, verdächtig teure Studien und Buchprojekte, für eine Zentralbank merkwürdige Verwendungszwecke von Immobilien und so weiter. Dass sich die MNB mit ihren Stiftungen und Immobilien für die Etablierung von alternativen ökonomischen Modellen einsetzt, mag ja nach dem weltweiten zweifelhaften Erfolg der neoliberalen Schule nur folgerichtig sein, welche Rolle hier aber Weinkeller und Wellness-Oasen spielen sollen, kann sich einem nicht so recht erschließen. Ebenso wenig, dass gewisse Personen unter den Auftragnehmern der MNB-Stiftungen auftauchen.
Das wiederum lässt die Vermutung aufkommen, dass Matolcsy in einem ganz anderen Sinne Opfer seines Erfolges geworden sein könnte. Nämlich in dem Sinn, dass angehäuftes Geld natürlich immer auch Begehrlichkeiten weckt. Diesmal aus dem Umfeld von Matolcsy, das es wahrscheinlich schon sehr wurmen musste, ausgerechnet zum Freundeskreis des leidenschaftlichen Wirtschaftswissenschaftlers Matolcsy und nicht zu dem eines anderen Fidesz-Potentaten zu gehören. Denn während sich Matolcsy voll darauf konzentrierte, sein vor dem 2010er Regierungswechsel intensiv erworbenes ökonomisches Wissen in der Praxis zu erproben, um erst die Staatsfinanzen und dann die Nationalbank auf einen erfolgreichen Kurs zu bringen, hatten andere durchaus auch ein Ohr für die Wünsche ihrer Verwandten und Freunde.
Während das Matolcsy-Umfeld darbte, verwirklichte sich anderswo das Erfolgsmärchen vom „Gasmonteur zum Milliardär“, der ungarischen Variante des amerikanischen Traums mit dem Tellerwäscher. Möglich, dass der Freundeskreis von Matolcsy angesichts solcher Karrieren langsam unruhig wurde. Möglich auch, dass Matolcsy einfach nur Ruhe wollte, um sich weiter seinen wirtschaftspolitischen Praxisversuchen widmen und darüber Bücher für die Nachwelt zu verfassen zu können… Möglich auch, dass alles ganz anders ist. Wir wissen es nicht. Dazu hat nicht zuletzt auch Matolcsys Vernebelungstaktik beigetragen. Alberto Moravia befand einst treffend: „Wo Informationen fehlen, wachsen die Gerüchte.“ … oder halt Spekulationen.