Albert Gazda
Jobbik, quo vadis? Das ist die wohl interessanteste Frage der heutigen ungarischen Innenpolitik. Was hat Vona mit seiner Partei vor? Man könnte die Frage auch anders formulieren: Wie wird aus der Jobbik der neue Fidesz? Die simple Antwort läge zwar gleich auf der Hand: Gar nicht! So heiß wird aber nicht gegessen, und so werden wir uns mit dem Thema wohl noch eine Weile beschäftigen müssen. Wohl noch so lange, bis das Vona-Dilemma nicht eindeutig eine makellose und würdige Lösung hervorbringt und entweder der Vorsitzende selbst oder die Partei an den bevorstehenden Herausforderungen scheitert.
Es gibt allerdings noch eine besondere Chance, auf die ich am Ende dieses Textes zurückkommen werde.
Bis dahin gilt es, der Reihe nach einige Phänomene unter die Lupe zu nehmen. Beispielsweise: Die Mehrheit der politisch interessierten Menschen wusste kaum, dass der Jobbik- Vorsitzende beliebig und willkürlich seine für ihn ungünstig besetzten Parteispitzen aus ihren Ämtern entfernen kann. Doch die ganze Geschichte ist bei weitem nicht so simpel. Der Protest der Mitglieder kann diese Prozedur wieder umkehren. Trotzdem ist diese Quasi-Vollmacht eine äußerst interessante Sache.
Von Orbán lernen
Nicht einmal Viktor Orbán greift zu einem solchen Mittel, obwohl die Unantastbarkeit seiner Vorhand innerhalb seiner Partei auf einer viel bedeutenderen Respekt- und Leistungsebene basiert. Eine andere Frage ist, warum die Presse sowohl bei der Nominierung als auch bei der Neuwahl der Funktionäre ruhig bleibt, wenn Orbán die stellvertretenden Parteivorsitzenden nach Laune austauscht bzw. austauschen lässt, weil er gerade einen Szilárd Németh oder einen Gábor Kubatov benötigt. Kein Aufschrei, keine Denkzettel, gar nichts. Gábor Vona hat eben noch von den älteren und erfahreneren Kollegen aus den anderen Lagern einiges zu lernen.
Ebenfalls eigenartig ist auch das Gerede, dass der Vorsitzende die radikalen Mitglieder im Zeichen eines Umwandlungsprozesses zur Volkspartei aus der Jobbik verdränge. Előd Novák, István Szávay und István Apáti, die den Vorstand verlassen müssen, falls ihr Protest keine Früchte trägt, sind für einen militanten Ton innerhalb von Jobbik natürlich berühmt-berüchtigt. Doch auch abgesehen davon, dass sie zumeist kein Blatt vor den Mund nehmen, sind sie für Aktionen bekannt, die mit dem Verniedlichungsprozess von Jobbik nicht vereinbar sind. Auch das wäre noch in Ordnung, aber viel reizender und niedlicher, als die eben Genannten, ist doch Dániel Z. Kárpát, ganz zu schweigen vom glanzvollen Parlamentsvizepräsidenten Tamás Sneider und von László Toroczkai, dem Gründer der radikalen nationalistischen Jugendbewegung 64 Gespanschaften (HVIM). Sie sollen also die Paradebeispiele der im europäischen Sinn bürgerlicheren und gemäßigteren Vorzeige-Jobbik-Leute sein?
Darf ich an dieser Stelle leise Zweifel anbringen?
Tatsache ist: Der Jobbik-Vorsitzende mag jetzt und in der kommenden Zeit vieles planen und umsetzen, sich selbst und auch sein unmittelbares Umfeld kann er aber mit Sicherheit nicht von heute auf morgen ablösen. Ich kann mich auch präziser ausdrücken: Die Parteispitze ist ausschließlich mit radikalen Persönlichkeiten besetzt, und es wird nicht ersichtlich, woher und wie auf andere oder anders gesinnte Funktionäre zurückgegriffen werden soll. Aber ernsthaft: Inwiefern bedeutet eine Novák–Toroczkai- Ablösung eine qualitative Veränderung? Es bestehen große Zweifel, dass die ganze Geschichte nur einen Zweck erfüllt, nämlich dass der Vorsitzende mit anderen besser und reibungsloser zusammenarbeiten kann. Und das war auch schon alles.
„Verfideszung“ der Jobbik
Man kann natürlich trotzdem versuchen, die „Verfideszung“ der Jobbik als politisches Programm ernst zu nehmen. Der Jobbik-Vorsitzende könnte glauben, dass er nicht wirklich eine andere Alternative hätte. Das radikal-nationale Programm ist erschöpft. Jene, die darauf anspringen, wurden bereits erreicht, mehr ist dort nicht zu holen.
Die Migration hätte noch ein paar Prozentpunkte auf dem Konto der Partei landen können, doch der schlaue Fidesz kam dem zuvor und stahl der Jobbik die Show.
Diese Entwicklung veranschaulicht gleichzeitig die Begrenztheit einer Entwicklung der Jobbik in die Richtung einer Volkspartei. Der rechte, rechte Platz ist sozusagen nicht mehr frei. Es gibt keine Themen, zu denen sich die Jobbik anders äußern könnte als der Fidesz. In wirklich brennenden gesellschaftlichen Fragen kann sie nicht mehr radikaler werden, weil der Fidesz schon radikal genug ist. Und von links zu überholen, wäre deshalb unmöglich, weil hier jegliche persönliche, geistig-intellektuelle und traditionell-emotionale Voraussetzungen fehlen würden. Es bleibt eine Botschaft: Wir sind wie der Fidesz, aber wir stehlen nicht. Auch das ist nicht wenig, aber an sich auch nicht ausreichend.
Zweischneidiges Schwert
Dieses Schwert ist zudem zweischneidig. Aus der Jobbik wurde etwas, weil sie eine Weltanschauung und eine Ideologie hatte und noch immer hat. So etwas besitzt das linke Lager in Ungarn schon lange nicht mehr. Was es vertritt, ist nur noch die Parodie der Sozialdemokratie und des Liberalismus. Und der Fidesz hat zuerst seine liberale Linie aufgegeben, später verschwanden auch seine konservativen Ecken und Kanten im Nebel. Alle zusammen sind Machtparteien. Anstatt Ideen, Gedanken und Visionen dominieren Interessen.
Ohne die Weltanschauung und die Ideologie von Jobbik bewerten zu wollen, steht fest: Dies reichte für 15-20 Prozent. Der Unterschied ist aber, dass diese Unterstützer im Umfang von 15-20 Prozent wirklich geschlossen und aus Überzeugung hinter ihrer Partei stehen. Sie glauben wirklich, was sie hören. Wenn Gábor Vona das in Klammern setzt oder aufgibt, dann spielt er mit dem Glauben seiner Anhänger. Gleichzeitig kann er auf einen Übertritt der enttäuschten Fidesz-Anhänger – aus vielerlei Gründen – nicht wirklich bauen. Ein Wählertausch ist weder ein Kinderspiel noch ist er schnell durchführbar.
Wenn die Jobbik in ihrer bisherigen Form bliebe, kann sie nicht wachsen. Wenn sie sich verändert, und zwar drastisch, kann sie viel verlieren. Gleichwohl kann sie sich im letzteren Fall aber auch glatt zum koalitionsfähigen Partner mäßigen. Nun, auch das wäre eine legitime Zielsetzung.
Der hier erschienene Kommentar erschien am 23. Februar auf dem Online- Portal der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet.
Aus dem Ungarischen von
Dávid Huszti