Am Freitagabend schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Die Ungarische Nationalbank (MNB) veröffentlicht, wofür die von ihnen gegründeten Stiftungen öffentliche Gelder ausgegeben hatten. Genau dies wurde bisher auf verschiedensten Wegen versucht, zu verhindern. Sogar per Gesetz sollten die Gelder der Stiftungen ihren „ Charakter als öffentliche Gelder“ verlieren. Bei den nun bekanntgewordenen Daten wird verständlich, warum.
Sechs Stiftungen sind es, die am Freitag die mit ihnen geschlossenen Verträge offenlegten. Dies taten sie jedoch keineswegs freiwillig, sondern wurden rechtskräftig von einem Gericht dazu verpflichtet. Der MSZP-Politiker Bertalan Tóth hatte noch im Februar in zweiter Instanz eine Klage auf Herausgabe von Daten von öffentlichem Interesse gewonnen. Seitdem schlägt die Causa MNB immer höhere Wellen.
Geheimhaltung per Gesetz
Die nun veröffentlichten Daten umfassen alle Verträge, die bis zum 31. März diesen Jahres von den Stiftungen geschlossen worden sind. Und obwohl der erste Versuch, die Verträge der MNB geheim zu halten, an Staatspräsident János Áder scheiterte, versuchte die sich selbst als nationalkonservativ bezeichnende Regierung aus Fidesz und KDNP diesen Dienstag erneut, zumindest einen anderen Teil der Informationen rund um die Nationalbank zu verheimlichen.
Im am Dienstag rasch verabschiedeten Gesetz heißt es, dass zwar die Stiftungen der MNB ihre Verträge offenlegen müssen, die Firmen der Nationalbank dazu jedoch nicht verpflichtet werden können. Die nun verabschiedete Version dürfte nach dem skandalösen ersten Versuch, der verfassungsrechtlichen Vor-Prüfung durch den Staatspräsidenten jedoch standhalten. Auch der Vorsitzende des Amtes für Datenschutz und Informationsfreiheit, Attila Péterfalvi äußerte keinerlei Bedenken zum Gesetz, dabei war er es, der den ersten Entwurf im März mit am schärfsten kritisierte. Insbesondere die zum geflügelten Wort avancierte Formulierung „verliert seinen Charakter als öffentliches Geld“ hatte damals für viel Empörung gesorgt. Doch von solchen Verschleierungsversuchen scheint das Gesetz nun gesäubert.
Fragwürdige Verträge
Doch zurück zur MNB. Denn die seit Freitag zugänglichen Daten werfen viele Fragen auf. So finden sich bei allen sechs Stiftungen mehr als fragwürdige Verträge. Die Onlineplattform des Wochenmagazins hvg stellte die markantesten Fälle zusammen. So kaufte beispielsweise die Pallas Athene Domus Innovationsstiftung (PADI) nicht nur Ferienhäuser aus Steuergeldern, sondern auch Kunstwerke im Wert von insgesamt mehr als 150 Millionen Forint.
Ein weiteres Filetstück findet sich in den Verträgen der Stiftung Pallas Athene Domus Animae (PADA). Denn diese finanzierte die Veröffentlichung des Buches „Schach und Poker“ mit rund 60 Millionen Forint. Darin geht es um das Wirken des MNB-Präsidenten. Also eben jenes György Matolcsy, der gleichzeitig auch Vorsitzen- der des Kuratoriums der PADA ist, und der nach Aussage des Pressesprechers der Nationalbank, Balázs Hídvégi, nicht für die Überwachung der Verwendung der Stiftungsgelder zuständig ist. Die aufschlussreiche Lektüre wollte man übrigens nicht nur den Ungarn vorbehalten, sondern ließ das Werk für je brutto fast zehn Millionen in die ukrainische, rumänische, tschechische und polnische Sprache übersetzen.
Nicht nur diese Veröffentlichung ließen sich die Stiftungen viel kosten. Die monatliche Analyse „Heimische und globale wirtschaftliche und finanzielle Trends“ der BanKonzul Kft. wurde von gleich fünf Stiftungen bestellt – ein und dieselbe Analyse wohlgemerkt. Für monatlich 750.000 Forint erhielten die Stiftungen die Informationen. Als Begründung, warum die Analyse nicht zwischen den Häusern weitergereicht und so Steuergelder hätten gespart werden können, lautet die offizielle Erklärung: Die Analyse kann nicht vervielfältigt werden. So weit, so unglaubwürdig. Wirklich interessant wird es aber, wenn man betrachtet, wer hinter der BanKonzul Kft. steht – kein geringerer als György Matolcsys Cousin Tamás Szemerey. Dessen Name taucht auch noch in einem weiteren Zusammenhang auf, der für ungleich mehr Wirbel sorgt. Denn zu Szemerey gehört auch der New Wave Production Verlag, der unter anderem für die Nachrichtenportale Origó und vs.hu verantwortlich ist.
„Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel“
Mehr als eine halbe Milliarde Forint erhielt der Verlag in den vergangenen Jahren an staatlichen Zuschüssen. Noch am Freitagabend gab die Redaktion der Portals vs.hu eine Erklärung heraus. Zwar wären Artikel über Ausschreibungen finanziert gewesen, jedoch sei nie inhaltlich oder fachlich Einfluss auf die Arbeit der Journalisten genommen worden. Sie betonen weiter, dass sich jeder selbst von der ausgewogenen Berichterstattung des Portals überzeugen könne. Und tatsächlich ist das Portal vs.hu für seine gründlich recherchierten und sauber wiedergegebenen Artikel auch unter ungarischen Kollegen anerkannt.
Trotzdem nahmen beim Portal schon am Freitag erste Kollegen ihren Hut. Die Kündigungswelle erinnerte fast an die Geschehnisse bei Origo, nachdem der Chefredakteur, András Pethő „in beidseitigem Einverständnis“ die Redaktion verließ (als Gründe werden bis heute seine Enthüllungen zu Kanzleramtschef János Lázárs Reisekosten und dessen vermeintliche Intervention beim Inhaber Magyar Telekom vermutet – die Budapester Zeitung berichtete). Die erste, die sich vom Portal verabschiedete war Hajnalka Joó. Die einstige Index-Reporterin war es, die nur kurz zuvor die auf gerichtlichem Wege eingeklagten Dokumente des regierungsnahen Politik- Thinktanks Századvég veröffentlichte. (In diesen wurden vollkommen unbrauchbare Vergleiche und Daten zu überteuerten Preisen prädentiert.) Mehr als ein halbes Dutzend ihrer Kollegen reichte seitdem beim Verlag von vs.hu die Kündigung ein. Joó teilte am Montag via Facebook die Gründe für ihre Entscheidung mit: „Die Redaktion ist unabhängig (wer etwas anderes behauptet, der lügt), aber die von der MNB gestohlenen, pardon, ‚abgesonderten‘ Gelder – von denen ich im Übrigen keine Ahnung hatte – sind weder mit meinem Geschmack, noch mit meinem beruflichen Ethos vereinbar.“
Sándor Joób arbeitete erst seit dem 1. März für das Portal, doch auch er verabschiedete sich zu Beginn der Woche. Auch er nutzte Facebook, um sich zu erklären. Der Journalist wird sein von vs.hu erhaltenes Gehalt in Gänze an wohltätige Organisationen spenden, um so „den öffentliches- Geld-Charakter“ seines Gehalts wiederherzustellen. Doch auch er nimmt seine Kollegen beim Portal in Schutz: „Die Arbeit aller bei vs.hu verdient Respekt, sie haben eine ausgewogene, niveauvolle und mit der Regierung kritisch umgehende Zeitung herausgebracht, sie taten, was die Aufgabe des Journalisten ist. (…) Meinen Lohn möchte ich nun deswegen nicht statt ihrer, sondern in ihrem Namen der Gesellschaft zurückzahlen.“
Fragen zur Causa MNB unerwünscht
Doch nicht nur bei vs.hu hat die Causa MNB direkte Auswirkungen. Am Montag erteilte Parlamentspräsident Kövér Videojournalisten von insgesamt vier Nachrichtenorganen Hausverbot auf unbestimmte Zeit. Die Videoreporter von 24.hu, hvg.hu, Népszabadság und Index hätten, so die offizielle Begründung, bewusst und entgegen mehrfacher Aufforderung zur Unterlassung an Orten gedreht, an denen dies innerhalb des Parlaments nicht gestattet ist.
Tamás Fábián und Ferenc Bakró-Nagy von Index berichteten, sie hätten am Montag genau dort gedreht, wo sie auch sonst die zur Sitzung eilenden Abgeordneten im Laufschritt befragen würden. Allerdings war am Montag auch Regierungschef Orbán im Haus, weshalb die Pressebeauftragten des Parlaments vermutlich nachdrücklicher als sonst auf die Einhaltung der Hausregel pochten. Allerdings, zitiert das Portal seine Kollegen, sei es von dort, wo die offizielle Drehgenehmigung gelte, nahezu unmöglich, Abgeordnete vor Kamera und vor allem Mikrofon zu bekommen. Deswegen seien sie auch nicht der Aufforderung nachgekommen und hätten die Abgeordneten auch an „verbotenen Orten“ nach ihrer Meinung zu der Causa MNB befragt. Das Hausverbot auf unbestimmte Zeit folgte noch am Montagabend und erreichte die Redaktionen am Dienstagmorgen.
Tatsächlich sind zahlreiche Videos auf eben diesen Portalen veröffentlicht worden, die zeigen, dass es keineswegs das erste Mal war, dass außerhalb des äußerst eng begrenzten Pressekorridors gedreht wurde. Dennoch reagierte der, auch sonst nicht für seine Feinfühligkeit bekannte Kövér ausgerechnet diesmal so außergewöhnlich hart. Ob dies mit dem Thema der Videointerviews, also den Geldern der MNB, zusammenhängt, ließ Kövér beim Aussprechen des Hausverbots im Dunkeln.