Am 23. April wäre Éva Janikovszky 90 Jahre alt geworden. Die Journalistin und Schriftstellerin prägte die ungarische Jugendbuchkultur wie keine andere. Ihre insgesamt 28 Bücher wurden bereits in 35 Sprachen übersetzt. Eine Erfolgsgeschichte, die bis über den Tod hinausreicht.
„Sie war nicht nur eine großartige Schriftstellerin, sondern auch eine barmherzige, liebende Mutter, die mich stets unterstützt und mich so akzeptiert hat, wie ich bin“, erzählt Janos Janikovszky in Gedenken an seine im Jahre 2003 verstorbene Mutter.
Éva Janikovszky war ein Multitalent in sämtlichen Lebensbereichen: Von 1944 bis 1948 studierte sie an der Universität der Wissenschaften Szeged Philosophie und Ethnographie. Im Anschluss folgte ein zweijähriges Studium an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest in den Bereichen Philosophie, Psychologie und Politische Ökonomie. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte Éva während ihrer Arbeit beim Móra Verlag in den 50er Jahren. In einer Zeit, in der Reformversuche entweder von den eigenen kommunistischen Regierungen unterdrückt oder von der sowjetischen Vorherrschaft blutig niedergeschlagen wurden, entschied sich Éva Janikovszky für pädagogisch wertvolle und ehrliche Kinderliteratur.
Humor auf verschieden Ebenen
1963 veröffentlichte Éva ihr erstes Buch mit dem Titel „Weißt du es auch?“ – die Berufe der Eltern und die Reaktionen der Kinder stehen hier im Vordergrund. „Einige Tätigkeiten existieren in dieser Form heute natürlich nicht mehr. Doch es geht darum, wie Kinder ihre Eltern durch deren Berufe wahrnehmen und wie sich das unterbewusst zum wichtigen Teil einer Vorbildfunktion manifestiert“, so Janos Janikovszky. Die Thematik der Erwachsenen-Kind-Beziehung zieht sich wie ein roter Faden durch all ihre Werke. Es geht um ganz alltägliche, banale Situationen im Leben eines Kindes. Konflikte mit den Eltern, allgemeine Herausforderungen auf dem Weg des Erwachsenwerdens: vom ersten Kindergarten- oder Schultag über Freundschaft, Gemeinschaft, Spiel und Arbeit. „Das macht die Bücher meiner Mutter zeitlos“.
Wie zeitlos die insgesamt 28 veröffentlichten Bücher tatsächlich sind, zeigt der kontinuierlich anhaltende Erfolg. 1973 erhielt Janikovszky den international renommierten Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Werk „Große dürfen alles“. Das Buch handelt von dem gängigen Kinderwunsch, so schnell wie möglich erwachsen zu werden, um all das machen zu dürfen, was die „Großen“ so machen. Veröffentlicht wurde es vom kleinen Anrich Verlag in Mülheim an der Ruhr, der durch die Publikation und schließlich durch die Auszeichnung einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte. Eine besonders große Ehre: Bis heute ist Éva Janikovszky die einzige Kinderbuchautorin, die mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Allein „Große dürfen alles“ wurde in 20 Sprachen übersetzt, vergangenen Monat erst ins Spanische.
Doch was ist das Erfolgsrezept der Kinderbücher? Wie können sie sich auf einem Markt durchsetzen, der überflutet ist von Neuerscheinungen – vor allem auch bereits in der jeweiligen Landessprache? „In erster Linie wird jede Thematik mit der nötigen Portion Humor behandelt. Das besondere daran ist, dass meine Mutter von jeher den idealen Spagat zwischen Kinder- und Erwachsenenhumor geschafft hat“, meint Janos Janikovszky. „Sie behandelte unerschöpfliche Alltagsthemen in einer Darstellungsweise, die sowohl Kinder als eben auch Erwachsene dazu bringt, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Und das immer mit einem zwinkernden Auge“. Eine weitere Grundvoraussetzung ihres Erfolges war die enge Zusammenarbeit mit dem Zeichner László Reber, der mit seinen minimalistischen und gleichsam aussagekräftigen Bildern viel Freiraum für Assoziationen lässt. Gepaart mit Janikovszkys Texten lässt sich die klare Harmonie, aber auch Ironie der beiden erkennen.
Erziehung durch wertvolle Literatur
Seit der Organisationsgründung im Jahre 1978 war Éva Janikovszky Vorsitzende des International Board on Books for Young People (IBBY), dem Internationalen Kuratorium für das Jugendbuch. Für die gemeinnützige Organisation zur Förderung der Kinder- und Jugendliteratur arbeitete sie bis 1995. Des Weiteren wirkte sie ab 1991 bei Bildungsprojekten der UNICEF mit und beteiligte sich an vielen kleineren ungarischen Literaturstiftungen und Verbänden. „Ihr Ziel war es, Kindern eine wertvolle Lerngrundlage zu bieten und sie im frühen Alter für Literatur zu begeistern“, erzählt Évas Sohn Janos. Durch ihre Kenntnisse als studierte Psychologin wusste die Schriftstellerin, wie wichtig Kinderbücher für die Entwicklung des Kindes sind. Die Kinder können ihrer Phantasie freien Lauf lassen und im gemeinsamen Lesen mit den Eltern ein enormes Potential in Bezug auf das Vermitteln von Geborgenheit und Sprachentwicklung absorbieren.
Schade ist, dass die Gutenachtgeschichte in vielen Familien durch Fernseher, Computer, Smartphone oder Tablet ersetzt wurde. Éva Janikovszky sah ihre eigenen Werke stets als Inspirationsquelle und Bildungsmittel, die pädagogisch wesentlich wertvoller sind als die Second und Third Screens dieser Tage. Die Liebe zu Büchern muss also erst wieder entflammen, indem sie neu erlernt wird. „Früh habe ich mitbekommen, wie Geschichten aus Büchern das Gefühlsleben eines Kindes positiv beeinflussen können. Fähigkeiten werden geschult, Wissen und Sprachschatz werden erweitert, der allgemeine Ausdruck wird verbessert, Kreativität und Vorstellungskraft werden angeregt“, so Janos. Ein gutes Kinderbuch zeichnet sich also dadurch aus, dass die kindliche Neugier auf spielerische und spannende Weise geweckt wird – gemeinsam mit dem Antrieb, die Welt zu entdecken und verstehen zu wollen. Dieses frühzeitige Nutzen von Bildungsmitteln fördert auf lange Sicht das Sozialverhalten und das Selbstvertrauen. „Kinder sind noch ganz im Erleben und Fühlen und weniger im Verstand. Für die Figuren und Personen aus den Büchern entwickeln sie Sympathien oder Abneigungen, was ein wichtiger pädagogischer Prozess ist.“ Die Kinderbücher müssen natürlich immer altersentsprechend sein, um das Kind weder zu über- noch zu unterfordern. Daher schrieb Éva Janikovszky ihre Bücher auch für verschiedene Altersklassen.
Éva Janikovszky übte ihren Beruf mit Leidenschaft aus, was ihr Sohn Janos noch heute oft zu hören bekommt: „Wenn ich durch Ungarn reise und Menschen treffe, die in der Vergangenheit mit meiner Mutter zusammengearbeitet haben, schwärmen sie in höchsten Tönen von ihr und loben ihre Warmherzigkeit und ihren Elan. Als Sohn erfüllt mich das natürlich mit Stolz – zumal sie durch diese positiven Geschichten für mich so präsent und lebendig wirkt, dass ich das Gefühl habe, dass ihre Werke sie am Leben halten“. Éva reiste für ihre Lesungen besonders viel in Deutschland herum, vor allem in Berlin, Stuttgart, Hamburg und München. Während der Lesungen in Kindergärten, Schulen und Bibliotheken sprach sie mit allen Beteiligten deutsch. Doch lies es sich die Autorin auch nie nehmen, sämtliche Termine innerhalb Ungarns wahrzunehmen. „Meine Mutter hätte nie eine Einladung abgelehnt. Egal, wie spontan die Anfrage kam, sie setzte sich in den nächsten Zug oder Bus, um so schnell wie möglich ins noch so kleine Dorf zu gelangen“. Nicht umsonst erinnern sich die Menschen noch 30 Jahre später an die Herzblut-Kinderautorin, die schließlich auch Chefredakteurin des Móra Verlags wurde.
Heute ist ihr Sohn Janos Janikovszky Vorsitzender des Móra Verlagshauses. Doch wie sieht die Zukunft der literarischen Meilensteine von Éva Janikovszky aus? Wie können diese großartigen Werke in der Nachwelt bestehen bleiben? „Auf die fortlaufenden Publikationen in den unterschiedlichsten Ländern und Sprachen sind wir sehr stolz, keine Frage. Die Bücher sind teilweise Selbstläufer, sieben Bücher wurden im letzten Jahr in China verlegt, sechs in Japan. Ich kann es immer noch nicht glauben, wenn ich die Ausgabe in chinesischen Zeichen in der Hand halte. Auch Estland, Spanien und Polen kamen in 2015 mit hinzu. Nichtsdestotrotz würde ich mir mehr Popularität der Bücher hierzulande wünschen“, so Janos.
Beeindruckend, dass Éva Janikovszky die einzige ungarische Autorin ist, deren Bücher in vier Sprachen auf dem ungarischen Markt erschienen sind – auf Ungarisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Dies betrifft 15 ihrer Werke. „Es gibt kaum ungarische Literatur in deutscher Sprache. Dabei leben so viele deutschsprachige Familien in Ungarn. Für deren Kinder können diese Bücher eine tolle Möglichkeit für den Spracherwerb sein.“ Aber auch umgekehrt, für ungarische Kinder, die Deutsch lernen möchten, macht es Sinn, die Bücher von Janikovszky zu lesen und zu rezipieren. Auch deutsche Unternehmen bringen immer mehr Familien nach Ungarn, die sich nach Abendritualen einer Gutenachtgeschichte für ihre Kinder sehnen – und zur Literatur aus der neuen Heimat greifen möchten.
„In den Buchläden werden die Werke langsam zur Rarität, daher empfiehlt es sich, online zu bestellen“, sagt Janos Janikovszky abschließend.
Wer sich für zeitlose Kinderliteratur interessiert, die generationsübergreifend Erfolg hatte, wird auf der Webseite vom Móra Verlag fündig. Alle Bücher in deutscher Sprache und mit einem Preisrabatt von 25 Prozent finden Sie unter: www.mora.hu/konyvek/nemet-deutsch-713
Éva Janikovszky
Attila József-Preis (1977)
Jugendpreis (1979)
Deutscher Jugendbuchpreis (1983)
Preis „Für die Kinder” (1985)
SZOT-Preis (1985)
IBBY-Preis (1986)
polnischer Jugendbuchpreis (1988)
Literaturpreis des Künstlerfonds (1994)
Kossuth-Preis (2003)