„Haben Sie eine Idee, die eine Milliarde Menschen positiv beeinflussen könnte?“ Falls ja, bewerben Sie sich doch im nächsten Jahr für den Global-Impact-Wettbewerb der Singularity University. In diesem Jahr stehen die Gewinner für die Region Zentral- und Osteuropa jedoch bereits fest. Am vergangenen Freitag setzte sich bei der Finalrunde in Budapest unter sieben Finalisten das polnische Start-up LUMO durch. Mit ihrer Idee werden sie das Leben von sehbehinderten Menschen nachhaltig verändern.
„Happy birthday to us!“, rief David Treyford am vergangenen Freitag in den verdunkelten Zuschauerraum der TESLA-Bar in Budapest. In diesem Jahr ist es das fünfte Mal, dass der jährlich stattfindende Global-Impact-Wettbewerb der Singularity University in der Region Zentral- und Osteuropa ausgetragen wird. „In Internetjahren läge unser Alter schon bei 25“, scherzt Treyford, der seit vielen Jahren als Geschäftsmann in Budapest tätig ist und die SU in dieser Region als Projektcoach vertritt.
Aufzuchtbecken für Weltverbesserer – Was ist Singularity University?
Bei der Singularity University, kurz SU, handelt es sich um eine 2009 von Ray Kurzweil und Peter Diamandis im Silicon Valley gegründete gemeinnützige Bildungsorganisation. Sie bietet Weiterbildungskurse im Umgang mit Zukunftstechnologien, innovative Partnerschaften und Accelerator-Programme für Start-ups an, die helfen sollen, die Zukunft zu gestalten und das Leben von Millionen von Menschen positiv zu beeinflussen.
Die Universität verdankt ihren Namen der Theorie der „Technischen Singularität“. Diese von Zukunftsforschern seit den 60ern auf Basis des immer schneller werdenden technischen Fortschritts beschriebene Idee, prognostiziert einen Augenblick in der Menschheitsgeschichte, an dem die technische Entwicklung sich derart aberwitzig beschleunigt, dass die Zukunft der Menschheit nach diesem Ereignis nicht mehr vorhersehbar ist. Obwohl dieser Zeitpunkt noch Jahrzehnte entfernt sein könnte oder auch nie eintreten mag, stufen die Macher der SU schon heute das Hinterherhinken eines Großteils der Gesellschaft hinter dem technischen Fortschritt als bedenklich ein. So wollen sie nicht nur Studenten, sondern gerade Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft helfen, einen Zugang zu modernsten Technologien zu erwerben.
Weltweit auf der Suche nach den innovativsten Denkern
Weltweit veranstaltet die SU Wettbewerbe, um die innovativsten Denker und kreativsten Start-ups auszuwählen, die mit einem Stipendium im Gesamtwert von 30.000 US-Dollar am Global-Solutions- Sommerprogramm der SU teilnehmen dürfen. Auch in diesem Jahr traten in der Region Zentral- und Osteuropa erneut sieben, zuvor sorgsam ausgewählte Finalisten an. Mit dabei waren Projekte aus Bulgarien, Rumänien, Polen, Kroatien und auch Ungarn, die sich mit Themenbereichen wie Abfallmanagement, der Effizienzsteigerung bei 3-D-Druckern oder etwa Gesundheit beschäftigten. Letzteres Thema nahm einen besonderen Stellenwert ein. So wollen etwas mehr als die Hälfte der in der Finalrunde des Wettbewerbs vorgestellten Projekte mit dem Einsatz moderner Technik zur Lösung gesundheitsrelevanter Probleme beitragen.
Technik, die Leben rettet
Ein Beispiel hierfür ist das aus Rumänien stammende Start-up SkinVision, das mit seiner einfach bedienbaren App zur Prävention von Hautkrebs beitragen will. Hautkrebs zählt in Westeuropa zu den häufigsten und gefährlichsten Krebsarten und ist jährlich für zahlreiche Todesfälle verantwortlich. Doch früh erkannt, sind die allermeisten Fälle heilbar. SkinVision erlaubt es seinen Nutzern, Muttermale mit dem Smartphone zu fotografieren und analysieren zu lassen. Nutzer können mit der App ebenfalls Fotos archivieren und so die Entwicklung der Hautflecken über einen längeren Zeitraum verfolgen oder Experten um ihre Meinung bitten.
Mit der Prävention von Todesfällen durch Zuckerschock wiederum befasst sich das Start-up DASSIST, welches eine Echtzeitüberwachung der Zuckerwerte von Diabetespatienten mittels am Körper angebrachtem Micro-Needle- Patch ermöglicht. Falls die Zuckerwerte unter einen kritischen Wert sinken, wird der Nutzer durch einen Alarm darauf aufmerksam gemacht, im Notfall werden Nachrichten an Bekannte oder den Hausarzt geschickt.
Bei vielen der vorgestellten Projekte handelte es sich um Kombinationen aus neu entwickelter oder modifizierter Hardware und webbasierter Benutzeroberfläche, aber manche setzten auch gänzlich auf die Entwicklung von Anwendungen. Beispielsweise das Start-up Printivate, das durch einen neuen Algorithmus Abfälle bei 3-D-Druckern reduzieren möchte.
Der ungarische Finalist ususty wurde von seinem Gründer Dániel Német vorgestellt. Német und sein Team entwickelten ein System, mit dem man laut eigenen Aussagen „Müll smarter und Recycling sexy“ machen wolle. „In der Zukunft wird unsere Gesellschaft immer mehr auf Recycling angewiesen sein, nicht nur, weil uns die bisher unberührten Rohstoffe fehlen werden, sondern auch, weil wir immer mehr konsumieren und daher immer mehr Müll produzieren“, erklärt Német. Durch ein Sensorsystem, das messen soll, an welchem Punkt der Stadt, wie viel Müll von wem verursacht wird, will ususty eine bessere Datengrundlage für die Abfalllogistik ermöglichen. Auch ein Gewinnspiel oder Anreizmodelle für das ordnungsgemäße Recyceln sollen so in Zukunft möglich werden.
Diese Idee hat die Jury umgehauen
Auch wenn die meisten Ideen, die im Finale des Global-Impact-Wettbewerbs vorgestellt wurden, das Publikum in Staunen versetzten, hieß der Gewinner des Abends LUMO. Das polnische Startup entwickelte ein Gerät, dass es Sehbehinderten erlaubt, grafische Informationen zu lesen. Dabei wird die Oberfläche einer Seite, die beispielsweise ein Diagramm zeigt, von dem handlichen Apparat eingescannt und in Vibrationen oder Töne umgesetzt. Das gilt nicht nur für Formen, sondern sogar für Farben. In Kombination mit einem Stift ermöglicht LUMO den Blinden, sogar selbst Zeichnungen anzufertigen. Wenn LUMO großflächig verfügbar wäre, würde dies das Betätigungsfeld von Sehbehinderten enorm erweitern.
Bisher wurde angenommen, dass ein Studium der Geometrie sowie vieler Natur- oder Ingenieurswissenschaften ohne Augenlicht unmöglich sei, da dabei visuelle Informationen, Schemata und Zeichnungen eine große Rolle spielen. Und das, obwohl nachgewiesen ist, dass auch Menschen, die von Geburt an blind sind, Perspektive und Bewegung verstehen und somit in der Lage wären, mit Hilfe von Rückmeldungen eine Zeichnung anzufertigen.
LUMO soll nun die Möglichkeit bieten, Sehbehinderte auch in diesen Feldern zu integrieren. Als Teil ihrer Präsentation zeigte LUMO ein Anwendervideo, das verdeutlicht, was für neue Welten das System für blinde Menschen eröffnet und wie viel es diesen Menschen geben kann. Auch darum hat sich die Jury dafür entschieden, dieses Start-up zur Teilnahme am Sommerkurs der SU nach Kalifornien zu schicken. Das LUMO- Team hofft dort auf neuen Input zur Entwicklung ihrer Idee und eine Grundlage für den Launch ihres Produktes.