Ein Jahr lebte das Experiment, nun dürfen die Ungarn und ihre Gäste wieder allsonntags shoppen gehen. Über Risiken und Nebenwirkungen dieser etwas feige anmutenden politischen Entscheidung äußerten sich die Betroffenen.
Von den Verbrauchern ist bekannt, dass sie mehrheitlich für den Sonntagseinkauf sind – nicht zuletzt dieser sture Wille hat die Regierung zum Einlenken gebracht. Was aber sagen die Gewerkschaften dazu, dass nun auch im Einzelhandel wieder die ungarische Realität einkehrt? Die Regierung hat mit dieser politischen Entscheidung den Einzelhandel auf den Kopf gestellt, klagte der Gewerkschaftsverband MASZSZ. Es wäre gescheiter gewesen, auf die Hinweise von Seiten der Arbeitgeber und der Gewerkschaften zu hören, statt einmal mehr ohne jegliche fachliche Konsultation zu handeln.
Der Landesverband der Arbeiterräte (MOSZ) forderte – wenn schon die Bedürfnisse der Gesellschaft die Ladenöffnung am Sonntag verlangten –, den Schutz der Arbeitnehmer im Handel in den Vordergrund zu rücken. Die Rückkehr zu den haltlosen Zuständen vor Inkrafttreten des Gesetzes sei ganz sicher nicht wünschenswert; so wurden die Arbeitnehmer bis zu zwei Monaten ohne Gewährleistung entsprechender Erholungstage beschäftigt. Für einen effektiven Schutz müsste das Arbeitsrecht strenger ausgelegt werden.
Was wird mit den Zuschlägen?
Ähnlich wie die linke Opposition fordern auch die Gewerkschaften einen Sonntagszuschlag von 100 Prozent, den die Regierung momentan aber nicht für machbar ansieht – die Rückkehr zum Zustand vor dem 15. März 2015 wird Sonntagszuschläge von 50 Prozent mit sich bringen. Gefordert wird des Weiteren, dass Sonntagsarbeit nicht verbindlich vorgeschrieben werden könne.
Neben den oben genannten Bedenken benannte die Gewerkschaft der Handelsangestellten (KASZ) auch spezifische Probleme wie den allgemeinen Arbeitskräftemangel, der wegen der ohne irgendwelche Übergangszeiten in Kraft tretenden Regelung noch akuter werden dürfte. Damit aber werden die ohnehin überlasteten Arbeitnehmer noch stärker unter Druck gesetzt, zumal in einer Branche, die niedrige Löhne und eine riesige Fluktuation kennzeichnen. Laut KASZ werden die Handelsmitarbeiter für die Sonntagarbeit mit 2.-3.000 Forint über dem Normaltarif abgespeist, was unanständig wenig sei. Unklar ist die Auswirkung des veränderten Systems der Öffnungszeiten auf die Tarifabschlüsse, die noch ausstehenden ebenso wie die bereits – unter anderen Bedingungen – abgeschlossenen.
Gute Chancen für Lohnerhöhungen
Analysten glauben derweil, sobald die Geschäfte wieder sieben Tage die Woche (und bei Bedarf auch über Nacht!) geöffnet sind, wird dies positive Effekte auf Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung ausüben. Nach Angaben des Statistischen Amtes mussten im vergangenen Jahr 2.500 Kleinhändler schließen – entgegen der offiziellen Propaganda machte der Ladenschluss also nicht etwa den Multis am meisten zu schaffen. Vermutlich handelt es sich zu einem Gutteil um kleine Läden, die in Einkaufszentren oder Hypermärkten im Fahrwasser der Branchenriesen ein gutes Auskommen hatten.
Auf die Statistiken verweisen auch die Anhänger des Ladenschlusses: Demnach hielt der Expansionskurs im Einzelhandel an, der im vergangenen Jahr um insgesamt 5,6 Prozent zulegte. Die Bevölkerung passte sich somit schnell den neuen Gegebenheiten an; im Sommer lag die Wachstumsdynamik auf Augenhöhe mit jener der letzten Monate bei sonntäglich geöffneten Einkaufszentren. In der zweiten Jahreshälfte fiel der Schwung jedoch zurück, dabei wurden gerade in diesem Zeitraum zehntausende Kassen im Einzelhandel online an die Steuer- und Finanzbehörde NAV gebunden. Eine eindeutige Aussage ist aus diesen Zahlen somit nicht abzulesen.
Dass die Arbeitgeber von heute auf morgen mehr Arbeitskräfte benötigen, könnte den ohnehin streikbereiten Gewerkschaften derweil entgegenkommen. Experten sehen in diesem Augenblick sehr gute Chancen für massive Lohnerhöhungen in dem Sektor, dessen Arbeitnehmer bislang eher stiefmütterlich behandelt wurden. Vielleicht ist damit auch zu erklären, dass die von der Regierung einst mit dem Sonntagsverkaufsverbot ins Visier genommenen Multis gar nicht so begeistert von der jähen Wende sind. Die Diskontketten Lidl, Aldi und Penny versprechen nicht mehr als ein gesetzkonformes Verhalten, Spar möchte flexibel auf die Nachfrage reagieren. Bisher hat einzig der Sportartikelanbieter Hervis verkündet, bereits an diesem Sonntag öffnen zu wollen.