Was für eine beachtliche Pole-Position Ungarn innerhalb der ehemaligen Ostblockländer einst innehatte, lässt sich unter anderem aus der Tatsache erahnen, dass Ungarn im Wendejahr 1989 bereits zum vierten Mal Austragungsort der Formel 1 war. In diesem Jahr wird der Hungaroring 30 Jahre alt und erfreut sich nach wie vor einer hohen Attraktivität und ausgezeichneter Zukunftsperspektiven.
Das hat nicht zuletzt etwas mit zwei weiteren Nullen zu tun: Seit diesem Jahr befindet sich der Hungaroring wieder zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum. Ende des Vorjahres hatte der Staat, dem bisher schon 80 Prozent gehörten, die letzten Juniorpartner ausbezahlt. Damit gehören nun auch mögliche Diskussionen um die Unterstützung des Hungarorings durch den Staat endgültig der Vergangenheit an. Die letzte derartige Auseinandersetzung gab es 2010.
2010 kam für den Hungaroring die Wende
Im gleichen Jahr kam es im Zuge des Machtwechsels von den Sozialisten zu den noch heute regierenden Jungdemokraten um Viktor Orbán auch beim Betreiber der Rennstrecke in Mogyoród, der Hungaroring Sport Zrt., zu einem Führungswechsel. Neuer Generaldirektor der mit 130 Hektar größten Sportimmobilie des Landes wurde der Spitzensportler Zsolt Gyulay. Während dieser bisher als Kanurennsportler für Ungarns Ansehen im Ausland gekämpft hatte, sollte sich der olympische Goldmedaillengewinner von 1988 in Seoul nun an der Motorrennsport- Front für seine Heimat einsetzen. Konkret sollte er nichts Geringeres vollbringen, als das Sorgenkind Hungaroring wohl zum ersten Mal in seiner Geschichte in die schwarzen Zahlen zu führen. „Um das zu erreichen, begannen wir das Wirtschaften unseres Unternehmens auf eine komplett andere Grundlage zu stellen“, erinnert sich Gyulay gegenüber der Budapester Zeitung an den Beginn seiner Konsolidierungsanstrengungen.
Unter seiner Führung sorgte das neue Management unter anderem dafür, dass der Hungaroring-Betreiber nicht nur als Kostenträger fungiert, sondern bei ihm auch sämtliche Einnahmen zu Buche schlagen. Bis dato war es nämlich gängige Praxis, dass die Hungaroring Sport Zrt. zwar für sämtliche Kosten rund um die Rennstrecke aufkam, die Einnahmen jedoch weitgehend bei externen Firmen die Kassen klingeln ließen. Diese eigenartige Konstruktion führte immer wieder zu finanziellen Schieflagen. „Als ich meinen Job hier antrat, war es ein Problem, unsere Rechnungen zu bezahlen“, erinnert sich Gyulay an die schwere Anfangszeit.
So wie die neuen Machthaber im ungarischen Parlament wenig zimperlich waren, als es 2010 galt, den Staatshaushalt wieder in Ordnung zu bringen, so entschlossen und zügig gingen auch Gyulay und sein Team beim Hungaroring vor. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: Bereits im zweiten vollen Geschäftsjahr unter der neuen Führung, also 2012 schrieb die Hungaroring Sport Zrt. schwarze Zahlen. „Auch der Staat kann ein guter Eigentümer sein“, unterstreicht Gyulay an dieser Stelle.
Verdopplung der Einnahmen
Möglich wurde die rasche Kehrtwende insbesondere durch ein besseres Kostenund Einnahmenmanagement. Außerdem wurde begonnen, die Rennstrecke und die dazugehörigen Immobilien intensiver zu nutzen. Innerhalb nur weniger Jahre gelang es, die Einnahmen aus der Nutzung der Rennstrecke gegenüber 2010 zu verdoppeln. Inzwischen hat die Auslastung der Rennstrecke die Kapazitätsgrenze erreicht. „An 210 Tagen des Jahres wird die Rennstrecke genutzt, viel mehr ist mit Blick auf die ungarischen Witterungsverhältnisse und die Restriktionen durch das Formel-1-Rennen nicht möglich“, so Gyulay. Eine bessere Nutzung der vorhandenen Gebäude sei hingegen durch deren derzeitigen Zustand und jenen der Infrastruktur limitiert.
Durch den geschäftlichen Erfolg des neuen Managements konnte sich der Staat inzwischen komplett aus der Finanzierung des operativen Geschäfts des Hungaroring-Betreibers zurückziehen. Inzwischen finanziert der Staat lediglich noch die nicht unerheblichen Lizenzgebühren, die an die Formula One Group für die Abhaltung des jährlichen Formel- 1-Rennens zu entrichten sind. „Mit Blick auf die zahlreichen positiven volkswirtschaftlichen Effekte ist diese Investition für den Staat jedoch ein sehr gutes Geschäft“, unterstreicht Gyulay.
Schuldenfrei ins vierte Jahrzehnt
Derweil wirtschaftet er so erfolgreich, dass seine Firma sogar in der Lage war, die im letzten Jahr begonnene und in diesen Tagen vollendete, komplette Erneuerung des Asphalts – die erste seit der Eröffnung des Hungarorings – aus selbst erwirtschafteten Mitteln zu finanzieren. Immerhin eine Investition in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Forint. Mehr noch: Abgesehen davon, dass es das neue Management geschafft hat, dem Staat nicht mehr auf der Tasche zu liegen, kann die Hungaroring Sport Zrt. in ihrem 30. Jubiläumsjahr noch mit einer weiteren Null aufwarten, nämlich null Schulden, da in diesem Jahr die letzte Rate eines Großkredits getilgt werden kann.
„Diese Altlast hatten unsere Entwicklungsmöglichkeiten bisher stark eingeschränkt“, bedauert Gyulay. Aufgenommen wurde der Kredit im Jahre 2003 zur Finanzierung der letzten größeren Rekonstruktionsarbeiten. In deren Rahmen entstand unter anderem der Millennium Tower und wurde die Start-Zielgerade um 202 Meter verlängert, wodurch die Streckenlänge auf rund 4.383 Meter wuchs. Außerdem gab es Erneuerungen bei den Boxen und beim Hauptgebäude. Seitdem geschah – abgesehen von den erwähnten Asphaltierungsarbeiten – nur wenig. „Insbesondere die Tribünen sind noch nahezu im Zustand von 1986, also in keinem guten. Bisher konnten wir hier nur partielle Reparaturen vornehmen, ebenso beim Strom-, Gas- und Wassernetz. Damit kommen wir jetzt aber nicht mehr weiter. Wir brauchen eine komplette Erneuerung.“
Grundlegende Erneuerung der Gebäude
Gut, dass der Staat das ähnlich sieht. So wurde bereits im vergangenen Jahr der Beschluss für eine komplette Erneuerung der noch renovierungsbedürftigen Teile des Hungarorings gefasst. Die Chancen stehen gut, dass mit der Verwirklichung dieses Vorhabens bereits im ersten schuldenfreien Jahr, also 2017, begonnen werden kann. Schon jetzt würde an entsprechenden Plänen gearbeitet. Danach würde an der Stelle der in die Jahre gekommenen Gebäude um die Haupttribüne ein ultramoderner Immobilienkomplex entstehen. Darin werden nicht nur die bisherigen Funktionen unterkommen; es entstehen auch Räumlichkeiten für neue geschäftliche Möglichkeiten, um den Hungaroring-Betreiber in die Lage zu versetzen, zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Diversifizierung der Einnahmen
Bei der Diversifizierung der Einnahmen sei man übrigens schon jetzt ganz gut vorangekommen. „Während die Formel 1 im Jahr 2010 noch für etwa 95 Prozent unserer Einnahmen verantwortlich war, sind es inzwischen ‚nur‘ noch 80 Prozent“, so Gyulay. Rund ein Fünftel der Einnahmen würden also bereits mit anderen Motorsportereignissen oder Firmenevents verdient. Damit sei man momentan aber auch schon an die Grenzen gestoßen. „Mit den derzeit vorhandenen Immobilien können wir nicht viel mehr dazuverdienen.“ So sei es also nicht nur im Interesse der Zufriedenheit der Zuschauer, sondern auch aus geschäftlichem Kalkül notwendig, die zentralen Gebäude durch moderne zu ersetzen und dadurch neue Nutzungsmöglichkeiten zu eröffnen.
So soll etwa ein modernes Konferenzzentrum entstehen. Sogar über ein Museum zur Geschichte des Automobilstandortes Ungarn mit seinen gegenwärtigen „Leuchttürmen“ Audi, Mercedes, Opel und Suzuki werde nachgedacht. „Wir können uns vorstellen, uns zu einer Art Showroom des Automotiv-Standorts Ungarn zu entwickeln. Unsere Besucher sollen bei uns an 365 Tagen im Jahr etwas zu sehen bekommen beziehungsweise gute Gründe dafür haben, uns zu besuchen“, wirft Gyulay einen Blick in die Zukunft. „Der Hungaroring soll das ganze Jahr hindurch ein Erlebniszentrum rund ums Automobil sein und zum Herzen der ungarischen Automobilindustrie wer- den“, visioniert Gyulay. „Wir hoffen, dass die Großinvestition spätestens 2017 beginnen kann.“ Derzeit gebe es zwar noch keinen Beschluss über den Baubeginn, man sei aber zuversichtlich. Erst recht bei der aktuellen Eigentümerstruktur.
„Mehr als nur eine Formel- 1-Rennstrecke“
Was die Belegung durch internationale Wettkämpfe betreffe, sei man derzeit zufrieden. Neben dem großen Formel 1-Rennen vom 22. bis 24. Juli gibt es noch drei weitere Rennen: die Internationale Tourenautomeisterschaft WTCC (22.-24. April), das Europäische Camion-Rennen ETRC (26.-28. August) und die Deutsche Tourenwagen-Master DTM (23.-25. September).
Ein positiver Rückenwind für die DTM ergebe sich übrigens aus der Präsenz der beiden großen Automobilwerke von Audi und Mercedes in Ungarn, sowie aus der Tatsache, dass BMW in Ungarn ebenfalls viel produzieren lässt. So ist es kein Wunder, dass sich für die Top-Manager dieser drei, in der DTM vertretenen deutschen Automarken auch die Meisterschaft auf dem Hungaroring immer mehr zu einem wichtigen Treffpunkt entwickelt. Ebenso natürlich auch für deren Zulieferer. Dass sich bei der DTM, ebenso wie am Formel-1-Wochenende, auch zahlreiche Spitzenvertreter des Staates einfinden, versteht sich von selbst. „Gute Geschäfte kann man nicht nur im Fußballstadion und auf dem Golfplatz anbahnen“, so Gyulay vielversprechend.
Neben diesen vier Wettkämpfen richtet die Hungaroring Sport Zrt. auch noch zwei Events aus: zum einen die große Formel-Eins-Präsentation am 1. Mai im Budapester Stadtzentrum entlang der Donau sowie die Flugschau Red Bull Air Race zum Nationalfeiertag am 20. August. „Mit diesen vier internen und zwei externen Motorsport-Ereignissen sind wir derzeit sehr zufrieden.“ Lediglich mit dem Motorrad Grand Prix würde Gyulay noch liebäugeln. „Dieser Wettkampf zieht ein ganz anderes Publikum an und könnte daher für uns interessant sein.“ Auf jeden Fall sei es aber entscheidend, dass der Hungaroring schon jetzt viel mehr ist, als nur der jährliche Austragungsort des Großen Preises von Ungarn. „Der Hungaroring und die Formel-1-Rennstrecke sind keine Synonyme“, kritisiert Gyulay die häufig anzutreffende Reduzierung seiner Anlage auf nur den einen, wenn auch ihren bekanntesten Zweck.
Immer die wirtschaftliche Ratio im Blick
Prinzipiell gelte es, mit Bedacht und Umsicht, Rennen nach Budapest zu holen. Man müsse immer realistisch einschätzen, ob mit einem Rennen auch ausreichend Ticketeinnahmen generiert werden können oder nicht. Es komme nicht einfach nur darauf an, möglichst viele Rennen an den Hungaroring zu holen, sie müssen sich auch rechnen. „Wenn man sich zu viele Rennen organisiert, kann es leicht dazu kommen, dass man am Ende unter einen zu großen Einnahmendruck gerät“, so Gyulay. Und zum Staat zu rennen, weil man sich verkalkuliert habe, sei für ihn keine Option.
Die Gefahr sich zu verspekulieren, bestehe übrigens auch bei den Investitionen, die seiner Auffassung nach ganz realistisch an zukünftigen Einnahmenpotenzialen bemessen sein sollten. Als warnende Beispiele gelten in der Branche die Formel-1-Rennstrecke in der Türkei und der Nürburgring.
Beste Beurteilung und Zukunftsperspektiven
Von einem solchen Schicksal ist der Hungaroring inzwischen wieder weit entfernt. Mehr noch: Mit der Austragung von 30 Formel-Eins-Rennen ohne Unterbrechung befindet er sich neben Monte Carlo und Monza weltweit in der Spitzengruppe der Formel-1-Rennstrecken. Generell habe Budapest in Formel-1-Kreisen einen ausgezeichneten Ruf. „Unsere Gäste mögen Budapest. Der Hungaroring hat eine absolut positive Beurteilung“, so Gyulay stolz. Er schätzt, dass sich der Hungaroring als Gesamtpaket weltweit in der Top Vier der Formel-1-Rennstrecken befindet.
Dafür verantwortlich sei unter anderem die Beschaffenheit des Ringes selber, aber auch seine Nähe zur international beliebten Großstadt Budapest. Auch das Timing des Rennens – mitten in der Urlaubsperiode – dürfte natürlich zur Attraktivität des Formel-1-Rennens auf dem Hungaroring beitragen. Geschätzt werde aber auch der fachliche Hintergrund der ungarischen Mitarbeiter. Das gehe so weit, dass ungarische Formel-1-Experten inzwischen weltweit Einladungen zu Trainings und Vorträgen erhalten, um von deren Know-how und Erfahrungen zu profitieren.
Wegen all dieser Gegebenheiten, aber auch der eingangs erwähnten beruhigenden Eigentümer-Situation sei es kein Wunder, dass sich die Zusammenarbeit mit der Formula One Group inzwischen sehr gut und langfristig gestalte. Derzeit gebe es einen Vertrag bis 2021. Gyulay ist sich sicher, diesen Vertrag in diesem Jahr bis 2026 verlängern zu können. Bei so viel Planungssicherheit wird wohl auch der Tag nicht mehr fern sei, an dem er zum ersten Spatenstich für die geplante Großinvestition ansetzen kann.