„Ungarn ist ein unabhängiger, demokratischer Rechtsstaat“ – so legt es Artikel B der neuen ungarischen Verfassung aus dem Jahr 2011 fest. Im Gegensatz dazu bezeichnete der republikanische US-Senator John McCain Viktor Orbán Ende 2014 noch als „neofaschistischen Diktator“. Doch gibt es eine Wahrheit, die zwischen grauer Verfassungstheorie und Polarisierungen liegt? Lesen Sie im Folgenden unsere Analyse unter Rückgriff auf einen kürzlich von Politik- und Wirtschaftsprofessor Siegfried Franke gehaltenen Vortrag.
„Zum Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie“ lautete der Titel einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Andrássy Universität Budapest (AUB) organisierten Vorlesung am 30. März. Die Präsentation von Prof. Dr. Siegfried F. Franke, Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftspolitik an der AUB, erörterte das Thema aus einer politik- und rechtswissenschaftlichen Perspektive.
Eine wandelbare Staatsform
Der EU-Kommissar und ehemalige stellvertretende ungarische Ministerpräsident Tibor Navracsics sagte 2012: „Ich bin der Ansicht, dass es nicht das Standard-Demokratie- Modell gibt, sondern viele Formen und Varianten […], die sich ständig verändern und anpassen, um die Herausforderungen der Zeit zu meistern.“ Franke gibt Navracsics hinsichtlich des zweiten Teils der Behauptung Recht: Es gibt viele Ausprägungen der Demokratie, die historisch, kulturell und gesellschaftlich bedingt sind, und es erfolgen gegebenenfalls Anpassungen, um neuen Entwicklungen zu entsprechen, wie beispielsweise von parlamentarischer zu präsidialer Demokratie, so Franke.
Franke stellt jedoch im Gegensatz zu Navracsics die These auf, dass es ein Standardmodell der Demokratie gibt. Dazu unterscheidet er zwischen Demokratie als Regierungs- und als Staatsform. Erstere fragt danach, wie die Regierungsgewalt errungen und kontrolliert wird, Letztere etwa nach der inneren Gliederung des Staates. Das Standardmodell verknüpft in beiden Fällen die Demokratie mit dem Rechtsstaatsprinzip, so Franke. Grundzüge hierfür sind in der Verfassung festgeschrieben. Im Einzelnen müssen unter anderem das Staatsvolk bestimmt und Regeln zur Kontrolle der vollziehenden Staatsgewalt formuliert werden. Es existiert also ein Standardmodell – Navracsics’ Auffassung scheint allerdings in eine andere Richtung zu gehen.
Einführung der Todesstrafe verhindern
Ministerpräsident Viktor Orbán plädierte in einer Rede zur Lage der Nation im Februar 2015 für die Demokratie, allerdings „ohne jede Attribute“. Hierzu meint Franke, dass Demokratie kein reiner Mehrheitsmechanismus sein darf. Ansonsten würde etwa in schwerwiegenden Fällen die Einführung der Todesstrafe von der Mehrheit der Bevölkerung gefordert, kann aber von keinem zivilisierten Staat verantwortet werden. Es bedarf der materiellen Fundierung, also bestimmter Attribute, um sie zukunftsgerichtet und insbesondere rechtsstaatlich auszugestalten. Diese Attribute sind in der Verfassung enthalten, so Franke. Orbán jedoch legt offensichtlich auf solche Eigenschaften wenig Wert.
Weniger Freiheit gewünscht
Bereits im Sommer 2014 hatte der Regierungschef bei einer viel beachteten Rede in Siebenbürgen die „illiberale Demokratie“ beschworen. Fundamentale Prinzipien des liberalen Staats will er nicht verwerfen, diese Ideologie aber nicht zum zentralen Ansatz der Staatsorganisation machen – ein erfolgreiches Vorbild ist China, so Orbán. Der Premier spricht also von nicht weniger als einer Demokratie, die von weniger Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit flankiert wird.
Ist ein solches Staatsverständnis auch in die Tat umgesetzt worden? Hierfür gibt es durchaus Hinweise, etwa im Bericht der Nichtregierungsorganisation Freedom House von 2016, die die Freiheitlichkeit aller Staaten nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilt. Dabei werden auch die Vereinigten Staaten und Westeuropa kritisiert, folglich kann man den Bericht nicht als „westliche Verschwörung“ abtun. Der Report zeigt für Ungarn mit nunmehr 79 Punkten einen Abwärtstrend, wobei 0 die schlechteste und 100 die bestmögliche Bewertung sind. Damit hat das Land zwar noch den Status „frei“, dafür aber die schlechteste Punktzahl in der gesamten Europäischen Union (zum Vergleich: Bulgarien: 80; Deutschland: 95; Schweden: 100).
Festgemacht wird die Bewertung unter anderem an viel diskutierten Regelungen: Galt die ungarische Presse zum Regierungsantritt von Orbán 2010 noch als „frei“, wird sie seit den neuen Mediengesetzen von 2011 nur noch als „teilweise frei“ eingestuft. Weiterhin kritisiert werden unter anderem Einschränkungen der Rechte von Asylsuchenden, das neue Wahlsystem und die Folgen einer weitreichenden Regierungskorruption.
Der Index für China liegt übrigens bei 16. Orbán befindet sich also tatsächlich auf dem besten Weg, in solche Gefilde vorzudringen.
Orbán und Rousseau – Brüder im Geiste?
Doch wo hat Orbáns „illiberale Demokratie“ ihren Ursprung? Ein Ansatzpunkt wäre die politische Philosophie von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). In Rousseaus Modell steht das abstrakte Gemeinwohl vor den Privatinteressen. Die Bürger finden einerseits durch den Gesetzgeber, andererseits durch Erziehung oder, wenn diese scheitert, durch Zwang zum Gemeinwohl. Rousseaus Gemeinwohl könnte man in Orbáns „nationalem Interesse“ finden. Oft genug ist dieses aber nur eine Worthülse für all jene Fälle, in denen der Regierung die vernünftigen Argumente ausgehen. Dass Gesetzesvorschläge nur von der Regierung kommen sollen, zeigte sich eindrucksvoll, als Fidesz-KDNP kürzlich ein Programm zur Bekämpfung der Kinderarmut ablehnten – mit der Begründung, dass sie inhaltlich mit dem Projekt übereinstimmten, dies aber eine linke Kampagne sei (die Budapester Zeitung berichtete).
Der ungarische Staat sorgt mittlerweile auch dafür, dass seine Bürger in einer national-religiösen Richtung erzogen werden. Nur zwei von vielen Beispielen sind das als „nationales Glaubensbekenntnis“ geltende Grundgesetz und Schulbücher, in denen antisemitische Autoren wie Albert Wass vorkommen. Sicher, der ungarische Nationalismus ist kein neues Phänomen und seit Langem stärker als in anderen Ländern verankert. Klar ist auch, dass jeder Staat seinen Einwohnern gewisse Werte vermittelt. Dennoch: Eine solch umfassende Bürgererziehung in Schulen und Medien dürfte in der heutigen Europäischen Union einzigartig sein. Eine moderne Bildung hin zu unabhängigen, kritischen Bürgern sähe anders aus.
Orbán ist im Gegensatz zu Rousseau kein Verfechter der direkten Demokratie, worin Rousseau den Weg zur menschlichen Freiheit sah. Zudem ist es fraglich, inwieweit sich die jeweils vertretenen Konzepte von Religion unterscheiden. Jedoch hat es sich gezeigt, dass der Fidesz-Mann in vielen Punkten den Rousseau’schen Geist aufgreift.
Wertewandel nicht absehbar
Konsequent zu Ende gedacht führt Rousseaus Idee Franke zufolge zur totalitären Demokratie, in der sich die Mehrheitsentscheidung auf alle Lebensbereiche erstreckt. Vor einer solchen Tyrannei der Masse warnten schon Denker wie Aristoteles oder John Stuart Mill. Wird das Land der Magyaren eine solche Entwicklung erleben? Dies ist unwahrscheinlich, denn für vollends totalitäre Staaten wäre ein EU-Austritt vonnöten. Das wiederum würde die Fidesz-Regierung schon allein aus finanziellen Gründen nicht erwägen. Zudem muss für ausländische Investoren, von denen Ungarn stark abhängig ist, immerhin ein Mindestmaß an Rechtssicherheit bestehen bleiben. Eine mittelfristige Rückkehr zum Status quo ante wird es aber ebenfalls nicht geben, zu schwach ist die Argumentationsmacht der liberalen Opposition in der öffentlichen Debatte.
So wird sich Ungarn auf absehbare Zeit weiterhin an der EU reiben, sich China und ähnlichen Regimen annähern – und damit bestrebt sein, insbesondere sich selbst zu zeigen, dass es einen nationalen Sonderweg gehen kann. Wirtschaftliche Probleme wird eine solche Politik langfristig wohl kaum lösen, dafür schmeichelt sie der von Flüchtlingskrise, Gendermainstreaming und anderen „Zumutungen“ der modernen Welt geplagten ungarischen Seele.
„Bereits im Sommer 2014 hatte der Regierungschef bei einer viel beachteten Rede in Siebenbürgen die „illiberale Demokratie“ beschworen. Fundamentale Prinzipien des liberalen Staats will er nicht verwerfen, diese Ideologie aber nicht zum zentralen Ansatz der Staatsorganisation machen – ein erfolgreiches Vorbild ist China, so Orbán. Der Premier spricht also von nicht weniger als einer Demokratie, die von weniger Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit flankiert wird…..“ (S.Franke)
Lesen Sie lieber selber die oben genannte Rede von Viktor Orbán ! So kommen sie wahrscheinlich in der Erkenntnis weiter als Herr Wirtschaftprofessor. Es lässt mich schmunzeln, wie immer wieder behauptet wird, China sei gar Vorbild für Orbáns Ungarn. Derartig simple Auslegungen habe ich aber schon oft gehört. Da schreibt wohl wieder einer vom anderen ab. Auf dem Hintergrund des Dilemmas, in der sich die Regierung in Berlin wegen der Türkei befindet, kann man nur sagen. Deutschland und seine Vertreter sollten besser recherchieren und klüger schlussfolgern.
Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf der 25. Freien Sommeruniversität in Băile Tușnad (Rumänien) am 26. Juli 2014.
Übersetzt von Júlia Horváth, Lektorat PR. Pusztaranger
Die Epoche des arbeitsbasierten Staates bricht an
Ich wünsche allen einen guten Tag. Ich begrüße Sie hochachtungsvoll.
Als wir hier vor einem Jahr zusammenkamen, begann ich meine Rede damit, dass es das letzte Treffen in Tusnádfürdő vor den ungarischen Parlamentswahlen ist. Jetzt kann ich sagen, dass dies das erste Treffen in Tusnádfürdő nach den ungarischen Parlamentswahlen ist, und habe Ihnen allen die gute Nachricht zu verkünden, dass wir die Wahlen gewonnen haben. Mehr als das: Wir haben zweimal gewonnen! Denn es haben nicht nur Parlamentswahlen, sondern auch Europawahlen stattgefunden. Die hier Anwesenden wissen vermutlich, dass am 12. Oktober auch die dritten Wahlen in diesem Jahr stattfinden werden, die ungarischen Kommunalwahlen, die für das ungarische Staatsleben Gewicht und Bedeutung haben.
Erlauben Sie mir, meinen heutigen Vortrag mit einem zu Unrecht wenig beachteten Detail der letzten Parlamentswahlen zu beginnen. Als Ergebnis dieser Wahlen hat die in Ungarn regierende bürgerliche, christliche und nationale Kraft, d.h. Fidesz und die Christdemokratische Volkspartei, zwei Drittel der Parlamentsmandate bekommen, mit dem knappen Vorsprung von nur einem Mandat. Ich kann mich erinnern, dass wir uns vor Jahren darüber unterhielten, wie schön es wäre, welch edle Form der Rache es wäre, wenn die politischen Kräfte, die 2004 gegen die Wiedereinbürgerung [1] der außerhalb der heutigen ungarischen Staatsgrenzen lebenden Ungarn stimmten, ihre verdiente Strafe erhalten würden, wenn bei einer Parlamentswahl gerade mit den Stimmen der Auslandsungarn die Mehrheit oder Zweidrittelmehrheit zustande käme. Ich kann vermelden, dass hier der Verdacht besteht, dass es in der Politik doch ein moralisches Gleichgewicht gibt. Daran zweifeln wir oft mit gutem Grund, aber manchmal erhalten wir doch Bekräftigung. So ist jetzt eingetreten, dass wir dem mit den Stimmen der Auslandsungarn gewonnenen Mandat die Zweidrittelmehrheit der nationalen Kräfte im ungarischen Parlament verdanken. Wir danken allen, die es betrifft, der Vorsehung, den Wählern, den ungarischen Gesetzgebern, und letztendlich müssen wir in solchen Fällen auch denjenigen danken, die sich gegen uns gewandt haben, und uns die Möglichkeit gaben, dass das Gute gewinnt, denn wenn es kein Böses gäbe, wie könnte das Gute dann die Oberhand gewinnen?
(Budapest Beacon)
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Was ich heute zu sagen habe, ist aber nicht mit den Wahlen verbunden. Unser Sitzungspräsident hat uns als Akteure des Systemwechsels vorgestellt, und er hat es getan, indem er die Wende zitierte. Das zeigt sehr gut, dass sie für unsere Generation das Generationserlebnis ist, an dem wir alles messen, von dem ausgehend wir alles interpretieren, was um uns herum vorgeht. Das scheint nur natürlich. Doch heute ist es für uns eher Nachteil als Hilfe. Der Systemwechsel ist natürlich als Erfahrung sehr wertvoll, denn die Politik ist – im Gegensatz dazu, was man manchmal denkt – kein spekulatives Genre, sondern muss aus erfahrenen Tatsachen, aus Erfahrungen aufgebaut werden. Diese Erfahrung ist heute´selbstverständlich immer noch wertvoll, aber inzwischen geht in der Welt eine genauso bedeutende Veränderung vor, wie es das Erlebnis der Wende war. Die intellektuelle Aufgabe, die vor uns liegt, besteht darin, in Bezug auf das Verstehen der Zukunft und auf die Diskussionen über den Weg in die Zukunft die Wende nur mehr als Erfahrung, aber nicht mehr als Referenzpunkt zu betrachten. Vielmehr müssen wir die globalen Machtverschiebungen im Finanzwesen, im Welthandel, sowie in machtpolitischer und militärischer Hinsicht, die 2008 zu Tage traten, zu unserem neuen Ausgangspunkt machen. Das ist die Aufgabe, die wir verrichten müssen. Dabei hilft uns, dass es Menschen gibt, die später geboren wurden als wir. Und für sie ist es schon seit Jahren schwierig, die Wende als Referenzpunkt zu betrachten, denn wer sagen wir 1985 geboren wurde und im Wendejahr 1990 gerade einmal fünf Jahre alt war, für den war es kein Erlebnis wie für uns, und er bleibt deshalb dem politischen Diskurs oft fern, weil er nicht einmal versteht, was die Anspielungen der Älteren bei der Interpretierung der Gegenwart und der Zukunft bedeuten. Ich glaube, es wäre von größerem Nutzen, wenn wir die Wende nun als abgeschlossenen historischen Prozess betrachten würden, als Schatzkammer der Erfahrungen, und nicht als Ausgangspunkt der Überlegungen über die Zukunft.
Als Ausgangspunkt für das Nachdenken über die Zukunft, denn, wenn ich es richtig verstehe, ist es jedes Jahr unsere Aufgabe, irgendwie gemeinsam zu verstehen versuchen, was um uns herum vor sich geht, seine wesentlichen Momente zu erfassen, und daraus vielleicht zu verstehen, was mit uns in der Zukunft geschehen wird. Wenn also das unsere Aufgabe ist, dann schlage ich vor, dass wir uns kurz daran erinnern, dass es im 20. Jahrhundert drei große Weltsystemwechsel gab: Am Ende des Ersten Weltkrieges, am Ende des Zweiten Weltkrieges, und 1990. Diese Veränderungen hatten gemeinsam – darüber konnte ich schon einmal hier, vor Ihnen reden –, dass, als sie eintraten, allen von einem Tag auf den anderen klar wurde, dass sie von nun an in einer anderen Welt leben würden als zuvor. Sagen wir nach Trianon war das hier ganz klar, aber auch in Budapest. Aber auch im Fall des Zweiten Weltkrieges. Wenn man sich umschaute und überall sowjetische Besatzungstruppen sah, dann wusste man, dass von nun an eine ganz andere Welt beginnen würde. Und auch 1990, als es uns gelang, die Kommunisten zu brechen und hinauszudrängen, war nach den ersten Parlamentswahlen klar, dass wir in einer neuen Welt leben würden: Die Berliner Mauer fiel, es gibt Wahlen, das ist schon eine andere Zukunft.
Die von mir als Ausgangspunkt meines heutigen Vortrags gedachte Behauptung lautet, dass heute in der Welt eine Veränderung ähnlicher Größenordnung vor sich geht. Als Manifestierung dieser Veränderung, das heißt, wie sie offensichtlich wurde, können wir die globale Finanzkrise von 2008, aber eher die westliche Finanzkrise identifizieren. Und die Bedeutung dieser Veränderung ist nicht so offensichtlich, weil sie von den Menschen anders wahrgenommen wird als die vorigen drei. Bei dem großen westlichen finanziellen Zusammenbruch von 2008 war nicht klar, dass wir von nun an in einer anderen Welt leben werden. Der Wechsel ist nicht so scharf wie in den vorangegangenen drei großen globalen Systemwechseln, sondern entfaltet sich irgendwie langsam in unserem Vorstellungsvermögen, und wie sich der Nebel auf die Landschaft senkt, senkt sich allmählich das Wissen auf uns herab, dass – wenn wir uns gut umsehen, und gründlich analysieren, was um uns herum vor sich geht –, dies eine andere Welt ist als die, in der wir vor sechs Jahren lebten, und wenn wir die Prozesse auf die Zukunft projizieren – was natürlich bestimmte Risiken birgt, aber eine grundsätzlich angebrachte geistige Arbeit ist – können wir gut sehen, dass die Veränderungen noch größer und umfassender ausfallen werden.
Nun, meine geehrten Damen und Herren!
Nur um Ihnen das Ausmaß dieser Veränderungen zu illustrieren, habe ich ohne System einige Sätze und Gedanken aus der westlichen Welt zusammengetragen – einige auch aus der östlichen –, die verblüffend sind. Wenn man diese Sätze aus der – bleiben wir dabei: liberalen – Weltanschauung von vor 2008 sieht oder hört, ist man verblüfft. Wenn man sie aber nicht von dort aus betrachtet, sondern aus diesen Sätzen herausliest, welch langen Weg wir in sechs Jahren zurückgelegt haben – im öffentlichen Diskurs, in den Themen, Formulierungen – dann werden diese Sätze, die ich gleich zitieren werde, helfen, zu verstehen, was für ein Umbruch heute in der Welt vor sich geht. Nur ganz kurz. In Amerika redet der amerikanische Präsident häufig und wiederholt davon, dass Amerika vom Zynismus durchdrungen ist, und die ganze amerikanische Gesellschaft, mit der Regierung an der Spitze, dem aus dem Finanzsystem stammenden Zynismus den Kampf ansagen muss. So etwas vor 2008 zu sagen, hätte unter Gentlemen den Ausschluss aus dem internationalen Diskurs nach sich gezogen. Noch dazu wären solchen Äußerungen aufgrund der Eigenheiten des finanziellen Systems ein gewisser übler Beigeschmack [2] zugeschrieben worden, was es besonders gefährlich gemacht hätte, solche Sätze auszusprechen. Heute hingegen erscheinen sie regelmäßig in der amerikanischen Presse. Oder der amerikanische Präsident sagt, dass Amerika in der Weltwirtschaft zurückfallen wird, wenn die hart arbeitenden Amerikaner zwischen Familie und Karriere wählen müssen. Oder der amerikanische Präsident redet offen von wirtschaftlichem Patriotismus. Er sagt Sätze, auf die in der provinziellen ungarischen Öffentlichkeit heute noch Prügel und Steinigung stehen. So spricht er beispielsweise offen darüber, dass die Großunternehmen, die Ausländer beschäftigen, ihren angemessenen Teil an Steuern bezahlen müssen. Oder er redet öffentlich davon, dass in erster Linie die Unternehmen unterstützt werden müssen, die Amerikaner beschäftigen. Das alles sind Töne, Gedanken und Sätze, die vor sechs bis acht Jahren unvorstellbar gewesen wären. Oder, um weiterzugehen: Laut einem hoch angesehenen Analysten verfällt die Kraft der USA als Soft Power, weil die liberalen Werte heute Korruption, Sex und Gewalt verkörpern und damit Amerika und die gesamte amerikanische Modernisierung diskreditieren. Dann gibt die Open Society Foundation eine Studie – das ist noch gar nicht lange her –, eine Analyse zu Westeuropa heraus, in der es heißt, dass Westeuropa so sehr mit der Lösung der Lage der Einwanderer beschäftigt war, dass es dabei die weiße Arbeiterklasse ganz vergaß. Oder der britische Ministerpräsident sagt, dass infolge der Veränderungen in Europa viele Nichtstuer [3] die Wohlfahrtssysteme belasten. Oder einer der reichsten Amerikaner, einer der ersten Investoren der Firma Amazon, behauptet, dass wir immer weniger in einer kapitalistischen und zunehmend in einer feudalen Gesellschaft leben, und wenn sich das Weltwirtschaftssystem nicht ändert, wird die Mittelklasse verschwinden, und – wie er sagt –, wird man die Reichen mit Heugabeln angreifen. Deshalb wäre statt des Wirtschaftsmodells, das von Oben nach Unten baut, ein aus der Mitte wachsendes Modell nötig. Ich will diese Gedanken nicht erklären, ich will hier nur die Neuartigkeit dieser Gedanken zitieren, von denen es vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre, dass man auch nur offen über sie redet. Oder, ebenfalls aus Amerika: Die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen ist drastisch gestiegen, weshalb die Kinder der in guten finanziellen Verhältnissen lebenden Familien einen unaufholbaren Vorsprung bei den Berufen haben, die gute finanzielle Verhältnisse versprechen. Und das sagt man in der Heimat der gesellschaftlichen Mobilität [4]. Oder, um noch etwas anderes zu sagen: Ein anderer hoch angesehener Analyst sagt, dass das Internet – das von der liberalen Welt seit vielen Jahren als Symbol der Freiheit angesehen wird – von den Großunternehmen kolonialisiert wurde, und ihm zufolge ist heute die größte Frage, ob es den Kräften des Kapitalismus, das heißt den großen, internationalen Firmen gelingt, die Neutralität des Internet zu beseitigen. Ich gehe noch weiter und erzähle Ihnen von einer weiteren positiven, unserem Herzen nahestehenden, unerwarteten Entwicklung: Der britische Ministerpräsident, der immer peinlich darauf bedacht ist, dass seine politische Bewegung nicht als christdemokratisch qualifiziert wird, stellt sich vor die Öffentlichkeit hin und sagt, dass das Christentum ein besonders wichtiger Bestandteil des britischen Wertesystems ist, und dass Großbritannien trotz seiner Multikulturalität im Herzen ein christliches Land ist, und man darauf stolz sein muss.
Meine geehrten Damen und Herren!
Die Frage ist, ob sich die vielen Veränderungen, die um uns herum vor sich gehen, in einer Beschreibung zusammenfassen und ordnen lassen, ob wir einige wesentliche Momente all dessen herausgreifen können, um das alles zu verstehen. Natürlich ist es möglich, und es wird heute sehr viel darüber nachgedacht und noch mehr geschrieben. Es sind zahlreiche Bücher dazu erschienen. Ich möchte Ihnen jetzt einen einzigen solchen, die Welt erklärenden Gedanken empfehlen. Meiner Meinung nach kann die provokativste und spannendste Frage, die im letzten Jahr im westlichen gesellschaftlichen Denken an die Oberfläche gelangt ist, folgendermaßen zusammengefasst werden, selbstverständlich vereinfacht: Der globale Wettbewerb zwischen den Nationen, Kräftegruppen und Bündnissen wurde durch ein neues Element ergänzt. Denn bisher haben alle vom Wettbewerb in der Weltwirtschaft geredet – die Globalisierung, die Internationalisierung der Wirtschaft hat es notwendig gemacht, dass man viel darüber spricht und schreibt, dass man es analysiert, deshalb kennen wir fast alle Detailfragen dieses Wettbewerbs in der Weltwirtschaft. Wir können ungefähr sagen, was eine Nation oder eine wirtschaftliche Interessengruppe wie die Europäische Union in der internationalen Wirtschaft wettbewerbsfähig macht, oder wodurch sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Jedoch sind viele der Meinung, und ich gehöre zu dieser Gruppe, dass das heute nicht die Hauptfrage ist. Es bleibt natürlich weiterhin eine wichtige Frage. Solange man von Geld und Wirtschaft lebt, und das wird sich auf kurze Sicht nicht ändern, wird das immer eine wichtige Frage bleiben. Aber es gibt einen noch wichtigeren Wettlauf. Ich würde es so formulieren: Es ist der Wettlauf um die Erfindung der Staatsform, die am besten fähig ist, eine Nation erfolgreich zu machen. Da der Staat nichts anderes ist als die Organisationsform der Gemeinschaft – die in unserem Fall mit den Staatsgrenzen nicht unbedingt deckungsgleich ist, worauf ich später noch zurückkommen werde – kann das bestimmende Moment in der heutigen Welt vielleicht so formuliert werden, dass ein Wettlauf um die Organisationsform der Gemeinschaft, des Staates vor sich geht, der am besten fähig ist, eine Nation, eine Gemeinschaft international wettbewerbsfähig zu machen. Das ist die Erklärung dafür, meine Damen und Herren, dass das “Schlagerthema” im heutigen Denken das Verstehen derjenigen Systeme ist, die nicht westlich, nicht liberal, und keine liberale Demokratien, vielleicht nicht einmal Demokratien sind, und trotzdem Nationen erfolgreich machen. Die “Stars” der internationalen Analysen sind heute Singapur, China, Indien, Russland, die Türkei. Und ich glaube, unsere politische Gemeinschaft hat dies vor Jahren richtig erahnt, gefühlt, und diese Herausforderung vielleicht auch intellektuell verarbeitet, und wenn wir daran zurückdenken, was wir in den vergangenen vier Jahren gemacht haben, und was wir in den kommenden vier Jahren machen werden, dann ist das auch aus dieser Richtung zu interpretieren. Das heißt: Indem wir uns von den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien lossagen und uns von ihnen unabhängig machen, versuchen wir, die Organisationsform der Gemeinschaft, den neuen ungarischen Staat zu finden, der imstande ist, unsere Gemeinschaft in der Perspektive von Jahrzehnten im großen Wettlauf der Welt wettbewerbsfähig zu machen.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Um dazu imstande zu sein, mussten wir 2010, und besonders heutzutage mutig einen Satz aussprechen, der in der liberalen Weltordnung, ähnlich wie die vorher hier zitierten Sätze, zur Kategorie der Blasphemie gehörte. Wir mussten aussprechen, dass eine Demokratie nicht notwendigerweise liberal sein muss. Etwas, das nicht liberal ist, kann noch eine Demokratie sein. Mehr als das: wir mussten auch aussprechen, und es konnte endlich ausgesprochen werden, dass die nach dem staatlichen Organisationsprinzip der liberalen Demokratie aufgebauten Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten höchstwahrscheinlich nicht imstande sein werden, ihre globale Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, vielmehr werden sie einen Rückschlag erleiden, wenn sie nicht zu grundlegenden Veränderungen fähig sind.
Geehrte Damen und Herren!
Die Lage präsentiert sich folgendermaßen: Wenn wir von hier betrachten, was um uns herum vorgeht, gingen wir immer davon aus, dass wir drei Formen der Staatsorganisation kannten: Den Nationalstaat, den liberalen Staat, und den Wohlfahrtsstaat. Und die Frage ist, was kommt jetzt? Die ungarische Antwort ist, dass die Epoche eines auf Arbeit basierten Staates anbrechen kann, wir wollen eine auf Arbeit basierte Gesellschaft organisieren, die, wie ich vorhin bereits erwähnte, das Odium auf sich nimmt, klar auszusprechen, dass sie nicht liberaler Natur ist. Was bedeutet all das?
Geehrte Damen und Herren!
Das bedeutet, dass wir uns lossagen müssen von den liberalen Prinzipien und Methoden der Gesellschaftsorganisation, und überhaupt vom liberalen Verständnis der Gesellschaft. Das werde ich jetzt nur in zwei Dimensionen ansprechen, ich will mich nicht auf einen längeren Vortrag einlassen, es nur kurz ansprechen, um die Brisanz der Frage zu verdeutlichen. Der Ausgangspunkt der liberalen Gesellschaftsorganisation hinsichtlich der Beziehung zwischen zwei Menschen baut auf den Gedanken auf, dass wir alles tun dürfen, was die Freiheit des anderen nicht einschränkt. Auf diesen gedanklichen, ideellen Ausgangspunkt wurde die ungarische Welt der zwanzig Jahre vor 2010 aufgebaut – wobei übrigens das in Westeuropa allgemeingültige Prinzip akzeptiert wurde. Es waren aber zwanzig Jahre notwendig, um heute in Ungarn das Problem formulieren zu können, dass dies zwar ein intellektuell sehr anziehender Gedanke ist, aber nicht klar ist, wer bestimmt, von wo an etwas meine Freiheit einschränkt. Und weil sich das nicht von selbst ergibt, muss es jemand definieren, entscheiden. Und da wir niemanden beauftragt haben, das zu entscheiden, haben wir im alltäglichen Leben ständig die Erfahrung gemacht, dass es vom Stärkeren entschieden wurde. Wir haben ununterbrochen gespürt, dass der Schwächere niedergetrampelt wird. Die aus der gegenseitigen Anerkennung der Freiheit der Anderen entspringenden Konflikte werden nicht aufgrund irgendeiner abstrakten Gerechtigkeit entschieden, sondern der Stärkere hat immer recht. Immer der stärkere Nachbar bestimmt, wo die Einfahrt ist, die Bank bestimmt, wie hoch die Zinsen des Kredites sind, und ändert diese im Prozess, und ich könnte die Reihe der Beispiele fortsetzen, die die ausgelieferten, schwachen Personen und Familien, die im Vergleich zu anderen wirtschaftlich anfälliger waren, in den vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich als zentrales Lebensereignis prägten. Dazu schlagen wir vor, und wir versuchen, die ungarische Staatstheorie auf den Gedanken aufzubauen, dass nicht dies das Organisationsprinzip der Gesellschaft sein soll. Das kann man nicht in Gesetze fassen, wir reden hier von einem geistigen Ausgangspunkt. Das Organisationsprinzip der ungarischen Gesellschaft soll nicht sein, dass man alles darf, was die Freiheit von anderen nicht einschränkt, sondern das Prinzip soll sein: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu. Und wir versuchen im ungarischen öffentlichen Denken, im Bildungswesen, in unserem eigenen Benehmen und an unserem eigenen Beispiel diese Welt, die wir ungarische Gesellschaft nennen können, auf diese Basis zu stellen. Wenn wir uns den gleichen Gedanken hinsichtlich der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft anschauen – denn bisher habe ich von der Beziehung zwischen einzelnen Individuen gesprochen -, dann sehen wir, dass die in den letzten zwanzig Jahren aufgebaute ungarische liberale Demokratie sehr vieles nicht leisten und durchführen konnte. Wozu sie unfähig war, habe ich in einer Liste zusammengestellt:
Die liberale Demokratie war unfähig, offen auszusprechen, und die jeweiligen Regierungen notfalls mit konstitutioneller Kraft dazu zu verpflichten, mit ihrer Arbeit der Nation zu dienen. Und überhaupt: sie hat den Gedanken des nationalen Interesses generell in Frage gestellt. Sie hat die jeweiligen Regierungen nicht dazu verpflichtet, anzuerkennen, dass die außerhalb Ungarns lebenden Ungarn zu unserer Nation gehören, und zu versuchen, diese Zusammengehörigkeit mit ihrer Arbeit zu stärken. Die liberale Demokratie, der liberale ungarische Staat hat das Gemeinschaftsvermögen nicht geschützt. Wir hören jetzt gerade das Gegenteil – als würde sich bei einigen Akquisitionen – darauf werde ich noch zurückkommen, denn zuletzt hat der ungarische Staat gerade auch eine Bank gekauft -, aus den Interpretationen zeichnet sich scheinbar das Bild ab, dass der ungarische Staat zunehmend auch solche Vermögenswerte an sich zieht und zum Allgemeingut qualifiziert, mit denen er gegen das in Europa akzeptierte Verhalten verstößt. Wenn wir uns jedoch anschauen, wie groß der Anteil des Allgemeingutes in den einzelnen Ländern der Europäischen Union ist – vor Kurzem hat die Financial Times dazu eine Liste veröffentlicht -, dann finden wir Ungarn ganz am Ende der Liste. In allen Ländern – vielleicht mit Ausnahme von zweien – ist der Anteil des Vermögens in öffentlichem Besitz größer als in Ungarn. Wir können also ruhig behaupten, dass die liberale Demokratie sich auch im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten und im Vergleich zu uns als unfähig erwiesen hat, das zur Selbsterhaltung der Nation notwendige öffentliche Vermögen zu beschützen. Desweiteren hat der liberale ungarische Staat das Land nicht vor der Verschuldung beschützt. Und er hat die Familien nicht beschützt, hier denke man an das System der Fremdwährungskredite. Der liberale Staat hat die Familien nicht davor beschützt, zu Kreditsklaven zu werden. Folgerichtig lassen sich die Wahlen von 2010 – besonders im Lichte der Wahlerfolges in 2014 – in die Richtung interpretieren, dass die ungarischen Bürger im großen globalen Wettlauf, bei dem es darum geht, den Staat mit der größten Wettbewerbsfähigkeit zu erschaffen, von ihrer politischen Führung erwarten, die neue Organisationsform des ungarischen Staates zu finden, herauszuarbeiten, zu schmieden, die nach dem liberalen Staat und nach der Epoche der liberalen Demokratie die ungarische Gemeinschaft erneut wettbewerbsfähig macht – selbstverständlich unter Berücksichtigung der Werte des Christentums, der Freiheit und der Menschenrechte -, und diejenigen unerledigten Aufgaben und nicht eingehaltenen Verpflichtungen, die ich aufgezählt habe, verrichtet und respektiert.
Nun, meine Damen und Herren!
Was also heute in Ungarn geschieht, kann so verstanden werden, dass die politische Führung heute einen Versuch unternommen hat, die persönliche Arbeit und das persönliche Interesse der Menschen, die anerkannt werden müssen, in eine engere Beziehung zum Leben der Gemeinschaft, zur Nation zu stellen, und diese Beziehung zu erhalten und zu stärken. Mit anderen Worten, die ungarische Nation ist nicht einfach eine bloße Ansammlung von Individuen, sondern eine Gemeinschaft, die organisiert, gestärkt, ja sogar aufgebaut werden muss. In diesem Sinne ist also der neue Staat, den wir in Ungarn bauen, kein liberaler Staat, sondern ein illiberaler Staat. Er verneint nicht die Grundwerte des Liberalismus, wie die Freiheit, und ich könnte noch weitere Beispiele nennen, macht aber diese Ideologie nicht zum zentralen Element der Staatsorganisation, sondern enthält einen von dieser abweichenden, eigenen, nationalen Denkansatz.
Geehrte Damen und Herren!
Als Nächstes muss ich darüber sprechen, welche Hindernisse wir überwinden müssen, um all das verwirklichen zu können. Es ist leicht möglich, dass das, was ich sage, in diesem Kreis evident wirkt, aber wenn das alles in ein politisches Programm und in politische Arbeit umgesetzt werden muss, ist dem gar nicht so. Ich zähle hier nicht alle Hindernisse auf, sondern werde nur einige erwähnen, um genau zu sein zwei, nicht einmal unbedingt die wichtigsten, aber die interessantesten. Das Verhältnis zwischen Berufspolitikern versus Zivile. Der Staat muss offensichtlich von jemandem, von der dazu ermächtigten, gewählten Führung organisiert und gelenkt werden. Aber am Rande des Staatslebens erscheinen immer zivile Organisationen. Die ungarische NGO-Szene zeigt jetzt ein sehr eigentümliches Bild. Die Zivilen sind nämlich – im Gegensatz zu Berufspolitikern -, solche Menschen, bzw. solche Gemeinschaften, die sich von unten organisieren, auf eigenen finanziellen Füssen stehen und selbstverständlich ehrenamtlich operieren. Wenn ich mir aber die NGO-Szene in Ungarn anschaue, die regelmäßig in der Öffentlichkeit auftaucht – wie es auch die Diskussionen um die Norwegischen Stiftungen gerade zutage gebracht haben -, dann sehe ich, dass wir es hier mit bezahlten politischen Aktivisten zu tun haben. Und diese bezahlten politischen Aktivisten sind zudem vom Ausland bezahlte politische Aktivisten. Aktivisten, die von bestimmten ausländischen Interessengruppen bezahlt werden, von denen man sich nur schwer vorstellen kann, dass sie dies als soziale Investition betrachten. Viel begründeter ist die Auffassung, dass sie durch diese Strukturen zu gegebener Zeit und in bestimmten Fragen Einfluss auf das ungarische Staatsleben ausüben wollen. Wenn wir also statt dem liberalen Staat unseren nationalen Staat neu organisieren wollen, ist es sehr wichtig, uns klar zu machen, dass wir es hier nicht mit Zivilen zu tun haben, sich uns keine Zivile entgegenstellen, sondern bezahlte politische Aktivisten, die versuchen, in Ungarn ausländische Interessen durchzusetzen. Aus diesem Grund ist es sehr angemessen, dass im ungarischen Parlament ein Ausschuss mit der Aufgabe zustande gekommen ist, die ausländische Einflussnahme ununterbrochen zu beobachten, zu dokumentieren und zu veröffentlichen, damit wir alle, auch Sie, genau wissen können, wer die wahren Akteure hinter den Masken sind.
Ich erwähne ein weiteres Hindernis bei der Neuorganisierung des Staates. Wenn ich die Europäische Union erwähne, tue ich das nicht, weil ich denke, dass man innerhalb der Europäischen Union keinen illiberalen, auf nationale Grundlagen gestellten neuen Staat aufbauen könnte. Meiner Meinung nach ist das möglich. Unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union schließt das nicht aus. Es ist zwar richtig, dass sehr viele Fragen auftauchen, sehr viele Konflikte entstehen, das konnten Sie in den vergangenen Jahren verfolgen, sehr viele Schlachten müssen ausgetragen werden, aber das ist nicht, woran ich jetzt denke, sondern an ein anderes Phänomen, das Sie in dieser Form wahrscheinlich noch nicht kennen. Als der Vertrag zwischen der EU und Ungarn ausgelaufen ist, der für sieben Jahre die finanziellen Beziehungen zwischen der Union und Ungarn festlegte – er ist in diesem Jahr abgelaufen -, und als der Abschluss des neuen Vertrages für weitere sieben Jahre auf der Tagesordnung stand, was gerade jetzt vor sich geht, brach eine heftige Diskussion aus. Und dann musste ich so einige Tatsachen, Daten hinzuziehen, um die Natur dieser Diskussion verstehen zu können. Was sah ich? Ich sah, dass diese Menschen – und ich rede hier von einigen hundert Menschen -, deren Arbeit es ist, über die EU-Mittel für die Entwicklung der Wirtschaft oder für den Aufbau der Gesellschaft zu verfügen, die Ungarn von der EU zustehen – nicht als Geschenk, sondern die uns vertraglich zustehen – dass diese Menschen also ihr Gehalt unmittelbar von der Europäischen Union beziehen. Das heißt, in Ungarn ist eine Exterritorialität entstanden. Und dann ging aus den Zahlen hervor, dass diese Menschen im Vergleich zu den Gehältern im ungarischen Regierungssektor vier, fünf, manchmal achtmal so hohe Gehälter bekommen. Das heißt, Ungarn hat sieben Jahre lang so gelebt, dass über die größten Summen, die zur Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft zur Verfügung stehen, solche Menschen verfügten oder entschieden, die von anderen bezahlt wurden, und dafür das Vielfache von dem erhielten wie die Menschen, die in der ungarischen Staatsverwaltung arbeiten. Ähnlich gelagert ist Folgendes: Von hundert Forint, die von dort in das ungarische wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben flossen, konnten 35 Prozent [Edit: für soft costs] abgerechnet werden. Also Dinge, die nicht in engem Zusammenhang mit der eigentlichen Zielsetzung und Aufgabe standen, sondern verbunden waren mit Vorbereitung, Analyse, Planung, allerlei Dinge, Beratung, und so weiter.
Jetzt ist eine Diskussion zwischen der Union und Ungarn entstanden, weil wir dieses System geändert haben, und die Regierung eine Entscheidung getroffen hat, wonach derjenige, der über die EU-Gelder verfügt, in dieser neuen Staatskonzeption, in der Konzeption des illiberalen Staates vom ungarischen Staat angestellt sein muss, und dass er für diese Arbeit nicht mehr bekommen kann als der Mensch, der in der gleichen Kategorie in der ungarischen Staatsverwaltung arbeitet. Und es können keine 35 Prozent, 35 Forint von Hundert für [Edit: soft costs] ausgegeben werden, weil das in den nächsten zwei Jahren 15 Prozent nicht überschreiten darf. Von hundert höchstens fünfzehn! Das sind alles Entscheidungen, die an sich natürlich als politische Fragen erscheinen, doch in Wirklichkeit geht es hier nicht um einzelne politische Entscheidungen, sondern darum, dass die Neuorganisierung des ungarischen Staates im Gange ist, im Gegensatz zur Logik der illiberalen [sic!] Staatsorganisation der letzten zwanzig Jahre. Es ist eine staatliche Neuorganisation auf der Grundlage der nationalen Interessen im Gang. Die Konflikte, die vor uns auftauchen, entstehen nicht aus Zufall oder Dummheit – obwohl auch das manchmal vorkommen kann -, sondern es sind im Grunde genommen Diskussionen, die mit dem Neubau, mit dem Prozess der Selbstdefinition eines Staates notwendigerweise einhergehen.
Nun, geehrte Damen und Herren!
Zum Schluss möchte ich Ihnen im Hinblick auf die Zukunft einen Satz sagen, der von einem so hohen Amtsträger vielleicht etwas dürftig erscheinen mag. Das Wesen der Zukunft ist Folgendes: Alles kann passieren. Und „alles” ist ziemlich schwer zu definieren. Es kann passieren, meine geehrten Damen und Herren, dass im Luftraum eines Nachbarstaates von Ungarn ein Passagierflugzeug abgeschossen wird. Es kann passieren, dass aus unverständlichen Gründen mehrere Hundert Menschen sterben – sprechen wir es aus, im Wesentlichen in Folge einer Terroraktion. Es kann passieren, meine Damen und Herren, dass in den Vereinigten Staaten – ich habe einen Bericht von gestern gesehen -, vielleicht der Senat der Vereinigten Staaten, oder der Senat und der Kongress zusammen, beschlossen haben, den Präsidenten der Vereinigten Staaten wegen kontinuierlicher Übertretung seiner Befugnisse zu verklagen. Und wenn man dahinter schaut, stellt sich heraus, dass der amerikanische Präsident nicht einfach nur verklagt wird, sondern der amerikanische Präsident schon öfters wegen Überschreitung seiner Befugnisse verurteilt wurde. Stellen Sie sich vor, dass in Ungarn das Parlament den Ministerpräsidenten wegen Überschreitung der Befugnisse verklagen würde, und das Gericht ihn dann auch verurteilen würde. Wie lange könnte ich im Amt bleiben, meine Damen und Herren? Diese Beispiele bringe ich nur, weil wir in einer Welt leben, in der alles geschehen kann. Es kann zum Beispiel sogar geschehen, dass wenn die entsprechenden Gerichtsverfahren auslaufen, ungarische Bürger von den Banken Gelder in Höhe von mehreren hundert Milliarden Forint zurückbekommen werden, die die Banken ihnen nicht hätten wegnehmen dürfen. Sogar das kann geschehen, meine geehrten Damen und Herren! Damit wollte ich nur darauf hinweisen, dass eine genaue, oder annähernd genaue Zukunftsprognose nahezu unmöglich ist. Es kann geschehen, um zum Schluss noch ein erfreuliches Beispiel zu nennen, dass die ungarische Regierung, die die Wahlen gewonnen hat, vor den Wahlen verkündet, dass mindestens 50 Prozent des ungarischen Finanzsystems in ungarischer Hand sein müssen. Nicht in staatlicher Hand, sondern in ungarischer Hand. Es vergehen drei Monate nach den Wahlen, und es kommt so. Denn in letzter Zeit ist es so gekommen – der ungarische Staat kauft eine Bank zurück, die nie hätte an Ausländer verkauft werden dürfen, und damit sind über 50 Prozent des Bankensystems in ungarischem nationalen Besitz.
Nun stellt sich nur noch die Frage, meine Damen und Herren, aber diese Frage zu beantworten steht nicht mir zu, ob wir uns fürchten müssen vor einer solchen Situation, in der alles geschehen kann, oder ob uns gerade das mit Zuversicht erfüllen sollte? Da die gegenwärtige Weltordnung nicht gerade nach unserem Geschmack ist, meine ich, dass die Epoche des „alles kann geschehen”, die vor uns liegt, laut vielen zwar Unsicherheiten birgt, und auch Probleme daraus entstehen können, aber dass sie für die ungarische Nation auch mindestens genauso viele Möglichkeiten und Chancen bringt. Statt der Angst, statt sich abzukapseln und zurückzuziehen, rate ich der ungarischen Gemeinschaft im Karpatenbecken und der auf der ganzen Welt verstreuten ganzen ungarischen nationalen Gemeinschaft zu Mut, voraussehendem Denken, nd vernünftigem, aber tapferen Handeln. Nachdem alles geschehen kann, ist es leicht möglich, dass unsere Zeit kommt.
Ich danke Ihnen für Ihre werte Aufmerksamkeit.
„Damit hat das Land (Ungarn) zwar noch den Status „frei“, dafür aber die schlechteste Punktzahl in der gesamten Europäischen Union (zum Vergleich: Bulgarien: 80; Deutschland: 95; Schweden: 100).“
SCHWEDEN hat 100 Punkte !! Juhu !! Hat aber in einem wichtigen Bereich seine Freiheit verloren.
Auch wenn ihnen der Bayernkurier nicht passt, hier Fakten !! zu SCHWEDEN. Wie demokratisch Schweden doch ist – oder vielleicht einfach nur dämlich.
http://www.bayernkurier.de/ausland/11489-das-ende-der-willkommenskultur
Gar nicht frei, der Kalauer von Herrn Federer:
„Festgemacht wird die Bewertung unter anderem an viel diskutierten Regelungen: Galt die ungarische Presse zum Regierungsantritt von Orbán 2010 noch als „frei“, wird sie seit den neuen Mediengesetzen von 2011 nur noch als „teilweise frei“ eingestuft. Weiterhin kritisiert werden unter anderem Einschränkungen der Rechte von Asylsuchenden, das neue Wahlsystem und die Folgen einer weitreichenden Regierungskorruption.“
Ich bin so frei zu bemerken, dass sich die deutsche Medienvielfalt maßgeblich von der ungarischen Medienvielfalt unterscheidet, im negativen Sinne. Und Schweden hat vielleicht 100 Punkte bei der erfolgreichen Vergewaltigungen schwedischer Frauen durch Einwanderer. Wie sehr die Schweden vom Regierungs-Medienkomplex verarscht wurden, zeigt sich schon heute.
Abgesen davon ist mir schleierhaft, wie man sich alleine auf die „wissenschaftlichen“ Erkenntnisse und Methoden von Freedom House berufen kann. Der größte Witz aber ist die Behauptung, Orbán würde sich an China orientieren. Können sie vergessen, den Herrn Federer und den Professor von der Andrássy. Lesen sie lieber Orbáns Rede von Tusnádfürö selber.
Der Rechtsstaat (Merkel) hat gesiegt, bevor das Recht (§ 103) irgendwann abgeschafft wird.
Der Weg für ein gesondertes Strafverfahren gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan ist frei.
Peinlich, wenn in D nun die Diskussion um den Rechtsstaat erst richtig losgeht. Gehört sich nicht. Wenn gegen Orbán jemand die Worte „Ziegenficker“ losgelassen hätte, die Sache wäre im Sande verlaufen. Deutschland ist ein opportuner Selbstbefriediger und Heuchler.
„….. Das Standardmodell verknüpft in beiden Fällen die Demokratie mit dem Rechtsstaatsprinzip, so Franke. Grundzüge hierfür sind in der Verfassung festgeschrieben… “
Wenn Sie also das reine Rechtsstaatsprinzip auf die EU übertragen, wird es abenteuerlich. Aber vielleicht ist das gerade das Problem der EU. Es existieren keine Gesetze zwischen den Staaten, aber Verträge, die es einzuhalten gilt, als wären sie Gesetzte: Maastricht, Schengen, Dublin, … Nur ein Staat kann Gesetze erlassen. Oder liege ich da falsch ?? Jeder hat im eigenen Sinne passend ausgelegt oder durchgeführt . Und der Bestrafungsmechanismus funktioniert so nicht wirklich. Nun gibt es einige große Staaten, die mehr Einfluss haben als andere (Deutschland), und solche kleinen, die ganz eigene Probleme lösen müssen, die andere nicht haben oder hatten (Ungarn).
Ganz abenteuerlich wird es aber, wenn große Staaten sich herausnehmen, Verträge zu demolieren, wie die BRD in den 90ern beim Maastricht – Vertrag, heute aber den dicken Max spielen, glauben, sie könnten Vorbild sein.
Das Rechtsstaatsmodell wäre das ideale Modell, denke ich. Aber es ist nicht das einzige Grundmodell. In allen Staaten ist es mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Schwach, was der Professor oben sagt. Die ersten Demokratien, (Griechenland) oder in der Neuzeit (USA) gingen noch von rassistischen Prinzipien aus, in denen Sklaverei üblich war. Erst vor ein paar Jahrzehnten hat sich das geändert. Die strikte Befolgung von Gesetzten ist für den Eimer, wenn die Gesetzte eines Staates oder deren Verfassung nicht taugen. So in der Schweiz, wo noch vor Jahren die Frauen nicht wählen konnten.
Wichtiger als die 100 % Rechtssaatlichkeit ist ohnehin die geistig-moralische Verfassung eines Landes und ihrer Politiker. Und die war unter Gyurcsány und seinen Banausen sicher nicht besser als heute. Davon schreibt aber keiner von diesen Deppen im Westen. Wenigsten hat Orbán den Staatshaushalt konsolidiert (nachdem Gyurcsány beinahe den Staatsbankrott geschafft hat). Gesunde Staatsfinanzen – das ist die beste Voraussetzung für Fortschritt in Ungarn. Aber natürlich habe ich auch da meine großen Zweifel, wenn ich mir anschaue wie selbstherrlich in Ungarn Politiker sind.
@Nyúl Péter
Schon mal etwas von kurz und knapp auf den Punkt gebracht? Sie erwarten doch nicht wirklich, daß sich irgendjemand ihre ellenlange Litanei durchliest?
Auf den Punkt,
oder vielleicht lieber Flucht in die Vereinfachung ?
Oh mein Gott, sollten Sie, Miklós, wirklich nicht gemerkt haben, dass es sich um Orbáns Rede von Tusnádfürdö handelt, mit der viele im Westen versuchen nachzuweisen, dass Ungarn heute Russland und China zum Vorbild hat und dass Orbán dass Liberale in der Demokratie abschaffen möchte.
Der Punkt ist folgender: Sie haben Orbáns Worte offenbar alle nicht gelesen – genau wie Sie, darf ich vermuten. Versuchen Sie es nochmal. Warum sollte ich ihnen das Vergnügen des Originaltextes nehmen?
Ich antworte für den schlafenden Nyúl, Herr Miklós.
die Litanei ist nicht von ihm, sondern von VO, damit Sie sehen, was er tatsächlich gesagt hat.
WO LASSEN SIE DENN DENKEN ?