Beim Improvisationstheater ist der Zuschauer gleichzeitig auch ein bisschen Regisseur, Drehbuchschreiber und Dramaturg, denn es sind seine Ideen, die bestimmen, in welche Richtung sich die Vorführung entwickelt. Wenn die Spieler dabei ihre Sache gut machen, dann ist das aus dem Moment geborene Ergebnis meist überraschend witzig. Gemessen an diesem Maßstab, macht die Impro-Gruppe „Momentán“ ihre Sache sogar besonders gut. Vorhang auf für die Budapest Improv Show!
„Und jetzt noch ein Ort“, ruft Improvisationsleiter Pál Göttinger in den gut gefüllten Zuschauerraum. Dicht an dicht, Reihe um Reihe sitzen hier Expats und Touristen aus aller Herren Länder, aber auch Ungarn, die ihre Englischkenntnisse auffrischen wollen. An diesem Abend hat sich sogar eine ganze Schulklasse zur englischsprachigen Vorstellung im IMPRÓ-Theater in der im VI. Bezirk befindlichen Ó utca eingefunden. Die Jungen und Mädchen lassen sich schnell von der gelockerten Stimmung mitreißen und werfen fieberhaft immer neue Vorschläge ein. „Es soll in Narnia spielen“, meldet sich ein Fan der Märchenwelt C. S. Lewis‘ zu Wort. „Nein, auf dem Eiffelturm“, hält ein anderer entgegen. Am Ende einigt man sich mit dem Improvisationsleiter, der sowohl für das Sammeln der Vorschläge verantwortlich ist, als auch den Schauspielern anzeigt, wann eine Szene beginnt und endet, auf die Zitadelle am Budapester Gellért-Berg. Zusammen mit der dort befindlichen Freiheitsstatue gehört sie zu den Wahrzeichen der Stadt.
„100 Prozent spontan“
Jetzt läutet Pál Götting die Glocke und gibt die Bühne frei für Bence Harsányi, Bálint Rada, Sára Montvai, Levente Molnár und Zsuzsi Várady. Inspiriert durch die Idee des Publikums stellt sich Zsuzsi spontan auf einen der fünf Stühle, die auf der ansonsten leeren Bühne stehen und beginnt die Freiheitsstatue zu mimen. Sie tut dies mit einer Ernsthaftigkeit, die vielen im Publikum bereits erste Lacher entlockt. Doch das ist erst der Anfang: Auf einer improvisierten „Parkbank“ zu ihren Füßen führen ihre Schauspielerkollegen das Publikum in immer neue Welten. Da entfalten sich dramatische Szenen, in denen verloren geglaubte Geschwister wieder zueinanderfinden, Touristen ihre Eindrücke über die Freiheitsstatue teilen oder eine Verlobung ein tragisches Ende nimmt. Alles, was auf der Bühne passiert ist „100 Prozent spontan und nicht geprobt“, versichert Zsuzsi Várady, Gründungsmitglied der insgesamt neunköpfigen Improvisationstheatergruppe „Momentán“.
Übung macht den (Impro-)Meister
Denn proben könne man für solch eine interaktive Show auch gar nicht, fügt Bence Harsányi, ebenfalls Gründungsmitglied des Momentán-Ensembles, hinzu. Das Einzige, das man machen könne, sei bestimmte Fähigkeiten zu trainieren. Zu den Fähigkeiten und Eigenschaften, die einen guten Impro-Spieler ausmachen, gehören seiner Meinung nach vor allem eine gewisse geistige Beweglichkeit, die es dem Spieler ermöglicht, auf neue Situationen zu reagieren oder etwa spontan den Satz seines Gegenübers zu beenden, aber auch Offenheit und Akzeptanz gegenüber ungewöhnlichen Ideen.
„Es ist wichtig, dass man seinem ersten Einfall vertraut, statt alle Ideen erst einmal umfassend zu evaluieren. Sonst vergeht schnell zu viel Zeit“, ergänzt Zsuzsi Várady, „doch auch Verspieltheit, Neugier auf die eigene Umgebung und Freude am Spielen gehören einfach dazu.“ Anregungen für die Figuren, die sie in den verschiedenen Szenen der Show mimt, hole sich Várady am liebsten im echten Leben: „Wenn ich tagsüber auf Arbeit einem Charakter begegne, der mich fesselt, dann nutze ich das am Abend in unserer Show.“ Zwar handelt es sich bei den Jungs und Mädels des Momentán-Ensembles um Vollblut-, jedoch nicht um Vollzeit-Impro-Spieler. Sie alle haben einen zweiten Job und sind im zivilen Leben Übersetzer, Dramaturgen, Lehrer, Kommunikationstrainer oder etwa Radiomoderatoren.
„Seit 13 Jahren improvisieren wir zusammen“
Ganze acht Shows im Monat spielt das Momentán-Ensemble in seinem eigenen Haus, dem IMPRÓ-Theater. Gegründet hat sich die Truppe bereits 2003 und ist damit die dienstälteste Performancegruppe ihrer Art. „Kennengelernt haben wir uns alle auf einer Schauspielschule für Jugendliche. Dort haben wir uns oft mit Improvisationsübungen aufgewärmt. Irgendwann hatten wir einfach die Idee, daraus eine richtige Show zu machen“, erzählt Várady. Zu Beginn traten sie mit ihren Shows noch hauptsächlich vor Freunden und der Familie auf, doch schnell wuchs das Publikum. Bis die Truppe 2010 schließlich ihr eigenes Spielhaus beziehen konnte. Doch auf Englisch improvisieren sie erst seit Oktober 2015. „Immer wieder haben wir Anfragen bekommen, ob wir nicht auch englische Shows spielen können. Teilweise haben wir das zuvor auch schon getan, doch erst seit letztem Jahr ist mit der Budapest Improv Show eine englischsprachige Vorstellung zum festen Bestandteil unseres Programms geworden“, erzählt Bence Harsányi.
Mit ihren immer anderen Improvisationsspielen ist die Budapest Improv Show ein abendfüllendes Programm. Musikalisch begleitet werden die Impro-Spieler auf dem Keyboard von László Pirisi, der durch seine unglaubliche Flexibilität überrascht. In Sekundenschnelle findet er den richtigen Toneffekt, egal welche Szene seine Kollegen am vorderen Bühnenrand gerade fabrizieren. Neben der englischsprachigen Budapest Improv Show, spielt das Momentán-Ensemble noch weitere sieben ungarischsprachige Shows, die jeweils einen anderen Aufbau und ein anderes Thema haben.
Falls auch Sie jetzt Lust bekommen haben, die Budapest Improv Show einmal live zu erleben, bietet sich bereits am Freitag, den 29. April, die nächste Chance. Weitere Informationen zur Künstlergruppe und ihren zahlreichen Angeboten finden Sie unter www.momentantarsulat.hu.
Katrin Holtz