Die konservative Wochenzeitung Heti Válasz ließ in der vergangenen Woche den Stadtplaner und offenen Liget-Projekt-Kritiker István Schneller mit seinem ehemaligen Ausschusskollegen, dem Staatssekretär für Denkmalschutz, László L. Simon, debattieren. Wir bringen Auszüge des Gesprächs.
Heti Válasz: Warum haben Sie gemeinsam mit Zsófia Csomnay und Pál Lővei beschlossen, zukünftig nicht mehr am Hauszmann-Ausschuss teilzunehmen, der sich mit der städtebaulichen Erneuerung des Burgviertels beschäftigt?
István Schneller: Als wir vor anderthalb Jahren gebeten wurden, an dieser Arbeit teilzunehmen, nahm ich die Aufforderung mit Freuden an. (…) Nach einiger Zeit haben wir jedoch festgestellt, dass die Regierung die relevanten Entscheidungen unabhängig von uns trifft. Drastischer ausgedrückt: Wir wurden nur als Bio-Kulisse benötigt. (…)
László L. Simon: Ich wundere mich sehr über deine Worte, weil wir die Bedingungen bereits vom ersten Moment an geklärt hatten. (…) Der Ausschuss kam zustande, um der Regierung intellektuellen Input zu geben. Wir haben nicht mehr und nicht weniger versprochen als das – und das ist keinesfalls wenig, wir sprechen hier von einer wichtigen Aufgabe. (…)
István Schneller: (…) Unser Brief (in dem sie ihren Austritt mitteilen – Anm.) hat drei Ebenen. Zum einen kritisieren wir die Funktionsweise des Ausschusses, die ich bereits beschrieben habe; zum anderen haben wir ausgesprochen große Bedenken was die konzeptionelle Umsetzung des ganzen Projektes betrifft. Zuletzt sind dann da noch die stilistischen Fragen, ab wann ein Gebäude eine Daseinsberechtigung hat und welche Gebäude überhaupt wieder aufgebaut werden sollen. Wir halten beispielsweise weder das Hauptquartiergebäude noch den Marstall für solche.
László L. Simon: Du gehst elegant über einen sehr wichtigen Satz hinweg, dabei ist das ein schwerer Vorwurf, der dort mitschwingt. Ihr behauptet, wir würden gezielt Geschichte fälschen wollen und nie dagewesene Gebäude in der Burg planen. Heben wir noch einmal klar hervor: Das ist nicht wahr, wir wollen lediglich originalgetreue Rekonstruktionen. (…)
Heti Válasz: Als einer der Gründe für den Austritt benennen Sie weiterhin, die „völlig erfolglosen Versuche”, andere städtebaulichen Vorhaben zu beraten, die Sie für „oft unbegründete und unsinnige” Projekte halten.
László L. Simon: István Schneller sagte selbst oft, wir müssen uns mit den städtebaulichen Planungen gesamtheitlich befassen. (…) Im Ausschuss sagte István auch öfter, wir sollten nichts überstürzen. Ich aber denke, wir Ungarn haben seit 70 Jahren auf diesen Moment gewartet. Vor 70 Jahren wurde eines der wichtigsten symbolischen Gebäude des Landes zerbombt, und seitdem wurde nichts unternommen, um es wieder instand zu setzen. Und wir hatten ein Vierteljahrhundert, um wieder in Ordnung zu bringen, was in Zeiten des Kommunismus mit den Gebäuden angestellt wurde.
István Schneller: Ich habe nicht gesagt, dass man die ganze Stadt durchplanen sollte, dies gehört selbstverständlich in die Kompetenz der Hauptstadt und nicht zum Hauszmann-Ausschuss. Als Stadtplaner halte ich es jedoch für überraschend, dass István Tarlós und seine Mitarbeiter die Regierungspläne schlicht zur Kenntnis nehmen, ohne eine eigene Meinung dazu zu haben und so tun, als wäre ihre einzige Aufgabe, die Stadt am Laufen zu halten. (…) Ich denke an die Stadt als System, in dem so große, aufeinander wirkende kulturelle Investitionen nicht ad hoc entschieden und umgesetzt werden sollten. Der Zusammenhang zwischen dem Liget Budapest-Projekt und dem Umzug der Nationalgalerie im Rahmen des Hauszmann-Plans sind unbestreitbar (…).
Heti Válasz: Lehnen Sie nicht eben wegen des Liget Budapest-Projekts sämtliche Großinvestitionen der Regierung ab?
István Schneller: Ich sage nicht, dass dies eine Rolle spielt, immerhin streite ich seit 2013 mit dem Ministerialbeauftragten László Báan über dieses Projekt, das ich für schädlich und fehlgeplant halte. Weltweit ist es für kulturelle Investitionen bezeichnend, dass sie versuchen, alten, heruntergekommenen Gebäuden neues Leben einzuhauchen, statt Museen in öffentliche Parks zu stopfen. Ein Beispiel: Das Tate Modern in London war früher ein altes Elektrizitätswerk und ist heute ein Museum von Weltrang, das mit einer Fußgängerbrücke mit der südlichen Seite der Themse verbunden ist. So wurde das South Bank Viertel an den Blutkreislauf der Stadt angeschlossen, auch das Shakespeare- sche Globe Theatre wurde dort nachgebaut….
László L. Simon: „Auch das Shakespeare- sche Globe Theatre wurde dort nachgebaut” – obwohl es nicht eine überlieferte Zeichnung davon gibt! Das Globe wurde vor 400 Jahren zerstört und es gibt keinerlei Aufzeichnungen davon. Du bringst eine zweifelhafte Rekonstruktion als gutes Beispiel an.
István Schneller: Zugegeben, ein Eigentor, aber Shakespeare ist einzigartig, und ihr wollt nicht das Globe nachbauen. Um auf den Kern zurückzukommen: Mein Vorschlag ist, im Rahmen von Museumsbauprojekten alte, verfallene, aber wunderschöne Bauten in Budapest zu retten und so ein breitgefächertes kulturelles Netz über die Stadt zu spannen, das für Touristen und Einheimische gleichermaßen interessant zu entdecken ist und in dem Budapest als Unikat selbst auch als Museum fungiert.
Heti Válasz: Sie schreiben, es sei geradewegs eine Sünde, die kulturellen Institutionen aus der Burg heraus und stattdessen Regierungsinstitutionen hinein zu holen. Warum?
László L. Simon: Wenn ich solche Unterstellungen lese, fällt es mir schwer, gutgläubig zu bleiben. Ich wiederhole: Im Königspalast wird ein Palastmuseum entstehen, er behält also seine kulturelle Funktion, die Rekonstruktionen dienen dem Tourismus. (…) Die Ministerien werden nicht in den Palast ziehen, nicht ein Ministerium wird dort zu finden sein, wie auch bisher nicht.
István Schneller: Das Innenministerium soll aber in die Országház utca ziehen, das Amt des Ministerpräsidenten an den Szent György tér und das Finanzministerium an den Szentháromság tér. Ich weiß, im Ausschuss hatten wir keine Möglichkeit, dies zu besprechen, diese Dinge kenne ich aus einem Regierungsbeschluss.
László L. Simon: Wenn ihr wisst, dass die Ministerien in die Bürgerstadt (polgárváros – Wohnhäuser innerhalb der Burgmauern, aber außerhalb des Palastgeländes – Anm.) ziehen sollen, warum schreibt ihr dann in eurem Brief, dass sie in den Palast ziehen sollen?
István Schneller: Diese Ministerien ziehen tatsächlich in die Bürgerstadt, aber wenn auf einmal so viele Verwaltungsgebäude in die Burg ziehen, dann verändert sich damit das gesamte Budaer Burgviertel. Die kulturelle Dominanz geht verloren, selbst dann, wenn der Palast ein Museum bleibt. (…) Außerdem wickeln all diese Institute relativ viel Besucherverkehr ab. Was, beispielsweise, wenn der Innenminister die Polizeichefs des Landes zusammenruft? Wie werden die zahllosen Autos durch das Wiener Tor passen und sich durch die stillen, verkehrsberuhigten Gassen des Burgviertels zwängen?
László L. Simon: Überhaupt nicht. Die Verkehrssituation der Burg ist auch heute schon eine Katastrophe (…), deswegen möchte die Regierung bedeutende infrastrukturelle Entwicklungen vornehmen. (…)
Heti Válasz: Halten Sie Hauszmann wirklich für bedeutungslos und sinnlos?
István Schneller: Nicht Hauszmann selbst, schließlich hat er mehrere gute Bauten verwirklicht, sondern den Hauszmann- Palast, ein neobarokker Palast, der nicht einmal sein herausragendstes Werk ist. (…) Hauszmanns Palast war bereits zu seiner eigenen Zeit altmodisch. Es wäre etwas vollkommen anderes, wenn er nicht zerstört worden wäre (…). Aber es ist nichts davon geblieben, nicht ein Saal.
László L. Simon: Wir sind in einer schwierigen Situation, da wir als Fachleute oft politische oder zumindest über unser Fach hinausreichende Meinungen vertreten müssen. Ich hingegen versuche, als Politiker die Meinung der Fachleute zu vertreten. Zsófia Csomay bringt es hingegen fertig, die Umbauten aus den Zeiten des Sozialismus als „demokratischen Umbau des Palastes” zu bezeichnen. Ging in den 50er und 60er Jahren tatsächlich ein demokratischer Umbau vonstatten? Als das Arbeitermuseum in den Palast gesteckt wurde. (…)
István Schneller: Ich kann akzeptieren, dass bestimmte Bereiche des Palastes rekonstruiert werden sollen, aber ich halte die Präferenzen für falsch. Es wäre zu erwarten gewesen, dass ihr 40, in Würde ergraute Architekten, Kunsthistoriker und Museologen zusammenruft und sie wahre Alternativen aufzeigen.
Das hier in Auszügen erschienene Interview erschien am 31. März in der gedruckten Ausgabe der konservativen Wochenzeitung Heti Válasz.
Aus dem Ungarischen von
Elisabeth Katalin Grabow