Was am 30. März passiert, ist kein Streik, sondern ein risikobefreiter politischer Mediengag.
Von Gyula T. Máté
„Raus auf die Straße am 30. März!“ (…) Das ungarische Bildungssystem weist ernstzunehmende Probleme auf. Statt der Vorbereitung aufs Leben bereitet es die Schüler bloß auf Tests vor. (…) Deshalb müssen wir alle zusammenhalten: Lehrer, Schüler, Eltern und alle anständigen Staatsbürger müssen vor den Schulen protestieren. Keine Rede von Politik, alles auf ziviler Basis. (…) Null Politik, wirklich null! Nicht einmal den Namen des Premiers kennt man. Einen Quark! Verkaufen wir uns bitte nicht für blöd! (…)
In dieser Geschichte geht es nicht um Bildung
Natürlich wird niemand abstreiten, dass das ungarische Bildungswesen nicht gerade das Gelbe vom Ei ist. Doch ausgerechnet der testfixierte Unterricht, das idiotische Bologna-System, wurde von jenen liberalen und sozialistischen „Fachpolitikern“ eingeführt, die jetzt den „Kampf der Lehrer“ so enthusiastisch unterstützen. Schwer zu erklären ist immerhin, warum die derzeitige Regierung innerhalb von sechs Jahren nichts Effektives dagegen unternehmen konnte. Ich würde noch gerne verschiedene Pro- und Kontra-Argumente zum Grundlehrplan, zu den Lehrbüchern, zum hirnverbrannten zweistufigen Abitur oder eben zu den verschiedenen Fehlleistungen des fragwürdigen Schulfinanzierungssystems vorbringen. Ich würde auch über die Diskussion und die Lösungsfindung der Protestierenden, der Lehrkräfte und der Fachpolitiker schreiben. Ja, ich würde sogar auch erörtern, inwiefern der Streik der Lehrer und Schüler eine akzeptable Form der Druckausübung wäre.
Wenn es hier darum ginge
Im Moment scheint der Lehrerprotest jedoch nichts anderes zu sein, als ein neues Projekt der Macher von bunten Revolutionen. Diesmal ist der Anstrich eben nicht orange oder rosa, sondern kariert… Die zum Ausgenutztwerden prädestinierten Opfer sind dabei nicht die Bürger von Ländern, die nach größerer Freiheit und mehr Gerechtigkeit streben, sondern Lehrer, Schüler und Eltern. (…) Ich zweifle auch nicht daran, dass dies den sozialliberalen Politikern besonders gut gefällt, sowie es auch bei jeder Revolte Bürger geben wird, die ihre Prinzipien in das Geschehen selbst hineininterpretieren oder etwa Schaufensterplünderungen kaum erwarten können.
Was am 30. März passiert, ist kein Streik, sondern ein risikobefreiter politischer Mediengag. In manchen ungarischen und ausländischen Nachrichtensendungen wird darüber selbstverständlich in einem Ton berichtet, als ob das Meer „hohe Wellen schlüge“ und zum „gefährlichem Seegang“ ausholte. Aber das hier gleicht nicht einmal einer Pfütze! Hier riskiert niemand auch nur das Geringste. Zwischen acht und neun ein bisschen vor der Schule herumstehen? Mein Gott: eine unentschuldigte Stunde für den Schüler und im schlimmsten Fall eine Raucherpause für den Lehrer.
Ändert sich dadurch irgendwas im ungarischen Bildungswesen? Wird die Regierung nachgeben? Wird es Neuwahlen geben, wird Viktor Orbán gestürzt? Seien wir doch nicht albern!
Dieser „Streik“ ist allenfalls ein Test, wie das Orbán-Kabinett auf diese Art von Druckausübung reagiert. Und gewissermaßen natürlich auch eine Erpressung, damit Orbán nachgibt. Aber worin? Wenn wir von den Auftraggebern der bunten Revolutionen ausgehen, könnte dies die „Milderung“ des Standpunkts in der Migrationsfrage sein. Es könnte aber auch die Aufgabe der gegenseitigen Kooperation mit Russland sein oder die Verhinderung von noch engeren Kontakten zu China. Es könnte auch um die für die Multis zu erkämpfende „Regierungsgnade“ gehen, dass beispielsweise am Sonntag die Supermärkte wieder öffnen können.
Um eines geht es hier aber mit Sicherheit nicht: um die Verbesserung des ungarischen Bildungswesens und der Situation der Lehrer und der Schüler. Da hat sogar noch die Hypothese bessere Chancen, dass das ganze Karo-Projekt den Interessen der stockenden fernöstlichen Flanellhemdindustrie-Lobby dienen könnte. (Die protestierenden Lehrer waren zuvor von einem der Regierungsseite nahestehenden Bildungsexperten als „Karohemdträger“ verunglimpft worden – Anmerk. Red.)
Der hier in Auszügen wiedergegebene Kommentar erschien am 29. März auf dem Online-Portal der konservativen Tageszeitung Magyar Hírlap.
Aus dem Ungarischen von
Dávid Huszti