Nach dem Abitur „Work and Travel“ in Australien machen? Das war Annemarie Witschas „zu Mainstream“, wie sie sagt. Durch den Freiwilligendienst „kulturweit“ kam die 19-Jährige nach Budapest. Ihren Aufenthalt in der ungarischen Hauptstadt nutzt sie auch dafür, über Deutschsein, die eigene Sonderrolle und Weltverbesserung nachzudenken.
Wie kommt man eigentlich als junge Deutsche von Dresden nach Budapest? Annemarie meint: „Mir war schon relativ früh klar, dass ich nach dem Abi ins Ausland möchte. Mich hat die Idee, die Welt von einer ganz neuen, nichtdeutschen Perspektive zu erleben, total fasziniert. Dafür muss man nicht besonders weit fahren.“ Zunächst hatte die Dresdnerin den Balkan als Gegenstück zum westlichen Europa im Blick. Letztendlich wurde ihr aber eine Stelle in Budapest angeboten, wo sie nun seit September für ein Jahr arbeitet. Doch wie sieht die Arbeit der Freiwilligen in der Praxis aus?
Arbeiten mit Blick auf Budapest
Eine viertelstündige Busfahrt vom Széll Kálmán tér führt den Budaer Hügel bergauf, an Luxusvillen und kleinen Waldstücken vorbei, bis sich der Blick über die Stadt ausbreitet und man an der Deutschen Schule Budapest ankommt. Die Schule unterrichtet deutsche und ungarische Schüler von der 1. bis zur 12. Klasse, wobei Letztere intensiv Deutsch lernen. Eine Freiwillige ist, auch wenn die Schule schon mehrere Jahre am Programm teilnimmt, hier noch immer etwas Ungewöhnliches. Annemarie wird eher als Praktikantin bezeichnet. Da Freiwillige ohne Lehramtsausbildung keine Unterrichtsstunden halten dürfen, gibt sie hauptsächlich Deutsch-Nachhilfestunden oder hilft bei der Gestaltung der Nachmittagsangebote. „An der Schule werden alle möglichen Traditionen gefeiert – Herbstfest, Weihnachten, Fasching, aber eben auch die Bandweihe, die es in Deutschland nicht gibt.“ Auch Aktuelles spielt eine Rolle: „Neulich fragte mich eine 10-Jährige, ob ich ihr die Flüchtlingskrise erklären könne. Da war ich natürlich erst einmal überrascht.“
Wer ist hier deutsch?
„Ein bestimmtes Bild Deutschlands an der Schule zu vermitteln, ist bei mir schwierig. Denn nicht nur Schüler und Lehrer sind deutsch, sondern auch das Schulsystem“, sagt Annemarie. „Also habe ich zusätzlich noch einer ungarischen Schule, dem Városmajori-Gymnasium, meine Unterstützung angeboten. Als einzige deutsche Muttersprachlerin habe ich dort eine besondere Kompetenz und damit eine Sonderrolle inne.“ Den älteren Schülern möchte die Dresdnerin zeigen, dass Deutsch nicht nur im Lehrbuch existiert, sondern eine lebendige Sprache ist. Deswegen hört sie mit ihren Schülern deutsche Musik, zum Beispiel die Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z., oder diskutiert mit ihnen über aktuelle politische Themen, wie Feminismus. Annemarie setzt sich auch mit dem eigenen Deutschsein auseinander: „Ich habe das Gefühl, meine ungarische Freundin ist viel deutscher als ich. Sie ist total korrekt und spült sogar die Plastikbecher aus, bevor sie sie wegwirft. Das zeigt auch, wie überholt die Klischees vom überkorrekten Deutschen sind.“
Ankommen ohne Kulturschock
„Ich habe mich einfach und ohne Kulturschock in Ungarn einleben können. Es ist im internationalen Zentrum Budapests in vielen Bars fast schon überraschender einen Ungarn zu treffen als einen Deutschen“, berichtet Annemarie. Was ihr aber im Vergleich zu Deutschland aufgefallen sei, ist die höhere Obdachlosigkeit – und mehr Liebe. „In der Öffentlichkeit und in den Schulen sieht man oft leidenschaftliche Pärchen, und auch Freunde tauschen ständig ein „púszi“ (deutsch: Küsschen) aus.“ Gefreut habe sie sich über Nachbarn, die bei ihrem Geburtstag hochkamen. Aber nicht, um sich über die Lautstärke zu beschweren, sondern um ihr zu gratulieren. Das Ziel, das interkulturelle Verständnis zwischen Deutschland und Ungarn zu fördern, findet Annemarie etwas hochgegriffen. „Die Welt mit kleinen Taten verbessern? Versuchen wir das nicht alle? Ich bin schon zufrieden, wenn meine Schüler ein paar Vokabeln erfolgreich gelernt haben.“
Ein Freiwilligendienst für junge Deutsche
Für Auslandsaffine wurde vom Auswärtigen Amt und der Deutschen UNESCO-Kommission 2009 der Freiwilligendienst „kulturweit“ ins Leben gerufen. Dabei werden junge Deutsche im Ausland im Kulturbereich, also unter anderem in Schulen und Zweigstellen des Goethe-Instituts, eingesetzt. Einsatzmöglichkeiten gibt es in Mittelund Südosteuropa, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Südamerika, Asien und Afrika. Ziel ist es dabei, im Einsatzland ein modernes Deutschlandbild zu vermitteln und gleichzeitig den interkulturellen Austausch anzuregen.
Finden Sie weitere Informationen zum Austauschprogramm „kulturweit“ unter www.kulturweit.de
Das deutsch sein im preußischen Sinn, Heinrich Hölty schreibt …
„Üb’ immer Treu und Redlichkeit,
Bis an dein kühles Grab;
Und weiche keinen Fingerbreit
Von Gottes Wegen ab.
Dann wirst du, wie auf grünen Aun,
Durchs Pilgerleben gehn;
Dann kannst du, sonder Furcht und Graun,
Dem Tod’ ins Auge sehn.“
Jan, Sie kommen doch aus Preußen, was halten Sie von der ersten Strophe. Das sind doch keine deutschen Tugenden mehr. Treu und Redlichkeit und Gottes Wege, heute stellt sich die Frage treu aber wem, redlich wie viel redliche gibt es in Preußen und Gottes Wege bestimmt man selbst.
Durchhaltevermögen, Regionale Vielfalt, Soziale Marktwirtschaft, ein öffentliches Schulsystem, das gut ist, Gemütlichkeit, eine starke Provinz schafft Ideen, Kompromisse finden, pragmatisch sein, den Müll trennen, Standhaft bleiben, pünktlich sein, was man von den Deutschen nicht lernen kann. Das ist heute deutsch sein, doch ich nehme das nicht so ernst. Nur das mit der Redlichkeit, das wäre nicht schlecht. http://tinyurl.com/z3ywudc