Wenn man die wirtschaftlichen Ergebnisse zugrunde legt, steht Ungarn eine bessere Bonität zu. Jedenfalls nach dem Standpunkt des Wirtschaftsministeriums, wo man sich enttäuscht zeigte, weil die Ratingagentur Moody´s am vergangenen Freitag erst gar nicht die Frage behandelte, ob Ungarn endlich den Ramschstatus verlassen darf.
Dabei hat Moody´s den Ungarn gegenüber gewissermaßen etwas wiedergutzumachen, war doch dies die erste unter den drei maßgeblichen internationalen Ratingagenturen, die im November 2011 dem Land den Investmentgrade wegnahm. Nach fünfzehn Jahren fand sich das Nachwende- Ungarn damit zum zweiten Mal im Ramschstatus wieder: Ende 1996 hatte ebenfalls Moody´s als erste Ratingagentur die Leistungen des Bokros- Sparpakets anerkennend das Land wieder für Anleger empfohlen. Wenn es stimmt, dass die Pionierrolle auf Moody ´s zugeschnitten ist, müssen wir uns wenigstens noch bis zum 8. Juli gedulden – dann werden in diesem Hause die ungarischen Staatsschulden das nächste Mal überprüft. Bis dahin bleibt das Prädikat „Ba1“ in Kraft.
Der Wirtschaftsführung in Budapest wäre es freilich lieber, würden Standard & Poor´s (am 18. März) oder Fitch Ratings (am 20. Mai) die ungeschriebenen Spielregeln missachten und dem Land bzw. seinen Anlegern ihren Segen schenken. Im Analystenkonsens nimmt die Wahrscheinlichkeit eines positiven Szenarios laufend zu – mittlerweile darf man davon ausgehen, dass Ungarn den ersehnten Status 2016 gleich bei zwei der drei großen Agenturen erhalten wird.
Da sich die Wartezeit nach dem „schwarzen Freitag“ aber weiter in die Länge zieht, ist es angebracht, neben den tausend guten Gründen für eine Aufwertung jene Argumente kontra Ungarn ins Feld zu führen, die Anlegern überall auf der Welt den Schweiß auf die Stirn treiben. Denn neben dem Hurraoptimismus der ungarischen Regierung finden sich auch Aspekte, die die Erfolgsgeschichte des Landes weniger glänzend aussehen lassen.
Unvernünftig hoher Schuldendienst
Es geht dabei gar nicht in erster Linie um die unverändert hohen Staatsschulden, in deren Hinsicht Budapest seit Jahr und Tag den sinkenden Trend kommuniziert. Dabei ist es nur eine notwendige, aber noch lange nicht hinreichende Bedingung, dass die Staatsschulden eines Landes sinken müssen, wenn diese ein Volumen von drei Vierteln am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausmachen. Das häufig zitierte Maastricht-Kriterium schreibt nicht von ungefähr eine Obergrenze von 60 Prozent am BIP vor. Wer sich schwerer verschuldet, muss hohe Belastungen im Schuldendienst bewältigen, die den Spielraum der Wirtschaftspolitik einengen. Ohne die jährlich 3-4 Prozent am BIP erreichenden Zinszahlungen hätte Ungarn beispielsweise gar kein Defizit mehr in seiner Haushaltsplanung. Vermutlich sind Kredite (und also Schulden) wie das Salz in der Suppe der internationalen Wirtschaft, es kommt nur halt auf vernünftige Relationen an. Wenn über die Hälfte der Erlöse aus der Einkommensteuer de facto gleich an die Kapitalgeber weitergereicht werden muss, ist das vielleicht nicht das vernünftige Maß.
Ungarn in den Augen der internationalen Märkte attraktiver zu machen, hat viel mit der Verantwortung des Staates zu tun. Die Europäische Kommission fordert verstärkte Anstrengungen der Regierung, das Länderrisiko zu senken. Beim Kreditversicherer Euler Hermes zum Beispiel besitzt Ungarn den Status eines Landes mit „mittlerem Risiko“, im Gegensatz zu den übrigen Visegrád-Staaten Polen, Slowakei und Tschechien, die allesamt über ein geringes Risiko – ebenso wie Deutsch- land und Österreich – verfügen. Als ungarische Schwächen werden unter anderem das weiterhin schlechte Investitionsklima im Zuge der seit 2010 praktizierten Wirtschaftspolitik, die schwierigen Beziehungen zu IWF und EU, aber auch der anfällige Wechselkurs des Forint genannt.
Nicht unbedingt ein Pluspunkt in der Bonitätsbewertung ist das potenzielle Wachstum Ungarns. Es wird von Brüssel mittelfristig auf im Schnitt weniger als zwei Prozent angesetzt. Das ist zwar mehr als in der konjunkturschwachen Europäischen Union im Durchschnitt erbracht werden, doch relevanter erscheint auch hier wieder der Regionalvergleich. Und im Kreis der seit 2004 in die Gemeinschaft aufgenommenen „Oststaaten“ Europas ist Ungarn mit diesem Wachstumspotenzial nicht mehr als Mittelmaß.
Ein effizienterer Arbeitsmarkt könnte in dieser Hinsicht viel bewirken. Tatsächlich hat die Orbán-Regierung die Arbeitslosigkeit drastisch reduziert und deutlich mehr Menschen in die Welt der Arbeit geführt. Mit den öffentlichen Arbeitsprogrammen greift sie aber massiv in Strukturen ein, verzerrt Angebot und Nachfrage und kann dennoch nicht die erhofften Effekte verbuchen: Nur wenige dieser Menschen erlangen im Zuge der Programme die Befähigung, den Anforderungen des primären Arbeitsmarktes gerecht zu werden.
Kein Feingespür für Rechtssicherheit
Anleger haben allen Unkenrufen zum Trotz einen eigenen Kopf zum Nachdenken. Im Falle Ungarns wird sie stutzig machen, wie der Staat hierzulande regulatorisch eingreift. Wenn erst das Ende des Ramschstatus erreicht ist, werden wir sagen können, Ungarn hat seine internationale Kreditfähigkeit zurückerlangt, obwohl es keinen Respekt vor dem regulatorischen Umfeld zeigt. Verträge werden nicht geachtet, der Staat greift sogar in private Verträge ein, das Parlament verabschiedet Rechtsnormen, die rückwirkend in Kraft treten. Eigentum gilt nicht als sicher, der Staat rüttelt unter den fadenscheinigsten Begründungen permanent am Status quo.
Wie sehr die Politik das Feingespür für Rechtssicherheit vermissen lässt, haben die jüngsten Wochen drastisch gezeigt, als nacheinander mehrere Gesetze im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht wurden. Im novellierten Post- ebenso wie im Notenbankgesetz wird die Neugierde der Öffentlichkeit auf einen Mindeststandard beschränkt, der hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Gelder den Straftatbestand der Veruntreuung praktisch aushebelt.
In einem Orbán-Ungarn, in dem alle demokratischen Kontrollgremien mit Parteisoldaten besetzt wurden, klagt der Staatliche Rechnungshof, selbst kleinere Nonprofitfirmen nicht kontrollieren zu können, weil sich diese wenig kooperativ zeigen. In den aufgedeckten Fällen geht es nicht selten um Milliardenbeträge, die belegfrei abgezweigt wurden, ohne dass jemand Rechenschaft ablegen wollte oder musste. Die vogelfreien Gesellschaften profitieren nicht zuletzt davon, dass sie mitunter jährlich einem anderen Ministerium zugeordnet werden. Der Reformeifer der Regierung erschöpft sich dabei nicht im Umbauen von Strukturen, sondern es werden für immer neue Aufgaben immer neue Institutionen geschaffen.
Freie Hand für Orbán und seine Minister
Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ministerien sind ein weiterer Punkt, der gegen Rechtssicherheit spricht. Das quasi als Finanzressort agierende Wirtschaftsministerium von Mihály Varga empörte sich über einen Vorstoß des Kanzleramtes von János Lázár, wonach der Regierungschef oder auch einzelne Minister monatlich im Staatshaushalt anfallende Überschüsse sozusagen im Alleingang verwenden dürfen. Das darf als Angriff auf die Oberhoheit des Finanzministers über die Haushaltsplanung betrachtet werden, selbst wenn es bei diesem Vorschlag nicht um grenzenlose Vollmachten jenseits des Budgets geht. Zumal Parlamentspräsident László Kövér schon vor Jahren ankündigte, der Fidesz wolle perspektivisch aus dem Zeitalter der Gesetzgebung ins Zeitalter der Verordnungen gelangen, um das Parlament zu entlasten und die Regierungsarbeit effizienter gestalten zu können. Was in einer anderen Lesart bedeutet, dass Ministerpräsident Viktor Orbán und seinem Kabinett freie Hand gewährt wird. Als ob das Parlament mit seiner gelähmten und gespaltenen Opposition heute dem Willen der Regierungsparteien irgendwelche Steine in den Weg rollen könnte.
Natürlich mag Orbán Politik machen, wie er es für richtig befindet, die demokratische Legitimierung besitzt er ja nun einmal. Allerdings müssen seine PR-Gurus zur Kenntnis nehmen, dass für die eigenen Wähler gedachte Botschaften von der Senkung der Wohnnebenkosten bis zur nationalen Eindämmung der Migrationskrise an den internationalen Märkten nicht verfangen. Insgesamt ist es aber auch erstaunlich, dass die ungarische Regierung heute so erpicht auf das Werturteil der Ratingagenturen ist, die man zur Jahreswende 2011/12 am liebsten gemeinsam mit dem IWF zum Teufel gejagt hätte.