Von Zsolt Kapelner
Seit einiger Zeit ist es in Ungarn Sitte, die Demokratie dann und wann zu Grabe zu tragen. Die Wahlen sind nicht frei, dafür abgekartet, der Großteil der Bevölkerung ist im Parlament durch niemanden vertreten, mehr noch, es ist gar aussichtslos, dass sich daran etwas ändern wird. Und doch gehen in diesem Land jedes Jahr Abertausende in dem festen Glauben auf die Straße, dass sie in den sie betreffenden Dingen sehr wohl über ein Mitspracherecht verfügen. So, wie ich das sehe, ist dies ein viel deutlicheres Anzeichen für die Wiedergeburt der ungarischen Demokratie als ein Beweis für ihre letzten Stunden.
Der Clown-Aufstand 2011, die Millaund Studentenproteste 2012, die Demonstrationen gegen das neue Grundgesetz und der Hungermarsch 2013, 2014 die Anti-Internetsteuer-Demo, die Schüler-, Lehrer- und Elternproteste 2015 und 2016. Diese Bewegungen haben Tausende und Zehntausende auf die Straße gezogen, und wie wir sehen, dies in den vergangenen fünf Jahren sogar kontinuierlich.
Den Teilnehmern blieb aber oftmals ein schaler Nachgeschmack. Für viele ist die oben genannte Aufzählung nur eine Reihe des Scheiterns, da keine greifbaren Ergebnisse geblieben sind und es keine Fortsetzungen gab. (…)
Wer glaubt, dass die Demonstrationen der vergangenen Jahre wirklich nur eine Serie des Scheiterns waren, glaubt dies für gewöhnlich, weil danach keine Partei gegründet wurde. Die Bewegungen wurden nicht von einer zentralen Stelle oder einem Anführer zusammengefasst und traten danach nicht als eine organisiert funktionierende Einheit, mit einem auf alle Lebensbereiche ausgedehnten Programm auf. (…)
Es ist unbestritten, dass es nicht gelang, Hunderttausende auf die Straße zu bringen, das NER (Nationales Kooperationssystem – pol. Begriff der Umgestaltung der Gesellschaft der Regierung Orbán – Anm.) marschiert unaufhaltsam voran und auch ein Regierungswechsel scheint nicht in Sicht. Aber wann wäre es auch Ziel einer Demonstration gewesen, die Regierung zu stürzen oder das System von Grund auf umzugestalten? Glaubt der Gelegenheitsoppositionelle vielleicht, „Pressefreiheit“, „Nettax“ und „freie Wahl der Lehrbücher“ sind lediglich Euphemismen für „Orbán, verschwinde!“? Sollten wir die geschätzte Gruppe der Demonstranten nicht ernster nehmen?
Der gemeinsame Nenner der Demonstrationen der vergangenen fünf Jahre war nicht etwa der Regierungswechsel, ja nicht einmal der oppositionelle Geist. Es war ein ganz anderer Gedanke, der hinter ihnen stand. Nämlich, dass wir bei gesellschaftlich relevanten Fragen ein Mitspracherecht haben; dass in der Gesellschaft nur das sein darf, was das Volk will, aber vor allem: dass nicht sein darf, was das Volk nicht will. Genau das nennt man aber kurz: Demokratie!
Die Demonstrationen der vergangenen fünf Jahre sind einheitlich als eine demokratische Bewegung zu verstehen. Ein Regierungswechsel konnte schon allein deswegen nicht das Ziel der Bewegungen sein, weil keineswegs sicher war, dass sich danach in Ungarn demokratische Verhältnisse etablieren werden. Nichts garantiert, dass eine von Unzufriedenen gegründete Partei (oder Bewegung), die, so Gott will, auch noch an die Regierung käme, den Volkswillen auch nur um einen Deut besser vertreten würde als die derzeitige Garnitur – oder die vorherige. Es gibt keine Garantie dafür, dass durch die Bewegung jeder seiner Stimme Gehör verschaffen kann, auch die, die bisher weitgehend stumm geblieben sind: die Lehrer, die im Gesundheitssystem Arbeitenden, die Armen und die Obdachlosen.
Wenn aber das Volk mit nacheinander folgenden Demonstrationen erreichen kann, dass nicht ist, was es nicht will – sagen wir Nettax oder KLIK, und wer weiß, was die Zukunft noch bringt –, dann entsteht exakt die oben erwähnte Situation: Es herrscht Demokratie. Je öfter das Volk dies erreicht, umso stärker wird die Demokratie.
Mithin kann es auch sein, dass in einer Mehrheitsgesellschaft die Demokratie nur durch stellvertretende Institutionen verwirklicht werden kann, dass direkte Demokratie schlicht unmöglich ist. Dies lässt mich vollkommen kalt. Was mich interessiert, ist, was hier und jetzt am ehesten dazu beiträgt, dass die Demokratie in Ungarn wieder stärker wird. Hier und heute ist dafür nichts anderes notwendig, als der Ausbau einer belastbaren demokratischen Kultur. Für so eine Kultur ist es tausendmal wichtiger, dass sich Demonstration an Demonstration reiht. Demonstrationen, die die Menschen eben nicht von sich entfremden und mit unglaubwürdigen Anführern und Ideologien aufwarten; und die jedes Jahr – auch nach fünf Jahren – noch zehntausende Menschen auf die Straße bringen und für ihre Teilnehmer das Grunderlebnis der Demokratie darstellen. Demonstrationen, die die Saat für den Anspruch säen, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen und ernst genommen zu werden. (…)
Diese Demonstrationen sind derzeit die authentischsten Einrichtungen der ungarischen Demokratie. Dies alles ist kein Vorspiel für eine zukünftige demokratische Partei, die dann erst einen Wandel bewirkt. Der Wandel ist bereits da – er steht auf dem von Erfolg und Niederlagen geprägten Weg und entwickelt sich auf Kosten von Opfern und Entschlossenheit. Aber in Ungarn lebt und erstarkt eine demokratische Kultur, in der das demokratische Individuum Grundvoraussetzung ist und nicht von Parteifarben abhängig.
Die ungarische Demokratie lebt, aber es steht nicht gut um sie: Sie steht im schweren und belastenden Kampf mit antidemokratischen Mächten. Sie braucht unsere Unterstützung. Und allem voran ist es unsere politische Pflicht, die wahren Vertreter der ungarischen Demokratie zu unterstützen – und nur sie.
Der Autor ist Blogger und Absolvent der CEU in Budapest. Sein hier in Auszügen erschienener Text wurde am 4. März auf dem linksliberalen Blog Kettős Mérce veröffentlicht.
Aus dem Ungarischen von
Elisabeth Katalin Grabow
Der Glaube an die demokratische Kraft, welche ja auch in Ungarn vom Volke ausgehen sollte, ehrt den Autor sehr. Doch sind gerade Begriffe wie „iliberale Demokratie“ und „Schutz des echten Ungarischen Brauchtums“ für mich Umschreibungen, den Volkeswillen autokratisch von oben herab zu erziehen. Wohin wird der Volkswille wohl hinführen wenn Demonstrationen scheinbar ins leere laufen? Die Geschichte zeigt: in Radikalisierung, Beispielsweise durch unüberlegte Protestwahl. Ich kann nur hoffen, das dies Ungarn erspart bleibt.
Wen der Autor Absolvent der CEU Budapest (Bekannter als Soros Universität in Budapest) Sollten auch Infos über Soros und seine NGO-s den Leser nicht vorenthalten werden.
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/andreas-von-r-tyi/ned-noch-eine-krake-aus-dem-ngo-netzwerk-des-mega-spekulanten-george-soros.html
Wenn man sich dieses Sammelsurium an Wunschdenken und wild in die Gegend interpretieren durchliest, bekommt man eine ziemlich genaue Vorstellung, welche Fehler die linksliberale Opposition macht und warum.
Die Leute haben das Recht, zu demonstrieren und sie haben sicherlich recht damit, dass in Ungarn einiges im Argen liegt. Doch wie bei ihren Vorgängern wird auch bei dieser Bewegung das Protestieren zum Selbstzweck. Was soll auch denn auch das Ziel sein? Eine weitere gescheiterte Farbenrevolution? Das Ersetzen des Machtmenschen Orbán durch einen Machtmenschen wie Merkel? In Ungarn wird gerade ein Mittelstand aufgebaut, in der westlichen Welt wird der Mittelstand gerade zu Grabe getragen, also welches Wirtschafts- und Gesellschaftssysten soll den „Orbanismus“ ersetzen?
Und ach ja, die Armen, Obdachlosen und Lehrer! Jede Partei weint um sie, so lange sie auf der Oppositionsbank sitzt und stellt sie nach dem Regierungsantritt auf der Arbeitsliste unter „Verschiedenes“.
Das Gegenmodell zum „Orbánismus“ ist der „Brüsselismus“. Erster ist im Glauben aller „modernen“ Europäer soetwas wie Diktatur – oder eine Vorstufe dazu. Hier gibt es kein Vertun. Sie sind sich alle sicher, ohne jedoch Ungarn oder Osteuropa und insbesondere die Zeit vor 2010 in Ungarn zu kennen. Zweiter ist von Lobbyisten der Wirtschaft in den Dreck gefahrene Bürokratie, die seit Jahren versucht, sich am eigenens Schpofe aus dem Sumpf zu ziehen und noch immer glaubt, die Grundzüge seiner Verfassung nicht ändern zu müssen.
Das Gegenmodell zum Orbánismus würde erst einmal mit einer fairen und gut informierenden Pressse beginnen, die es hüben wie drüben nicht gibt. Zweitens müsste man versuchen, der Vertragsunion, die überall gebroche wurde (insbesondere immer wieder durch Deutschland), auf die Beine zu helfen und in einem jahrelangen Prozess eine Sozialunion einzuführen, damit die Union als Ganzes funktionieren kann. Die gewaltigen Unterschiede zwischen Ost und West auch über 25 Jahre nach der Wende sind Ausdruck einer Spaltung, in Ausbeuter und Ausgebeutete, Liberale und Konservative, Kosmopoliten und Nationale, Arme und Reiche. Flüchtlinge gehen dahin, wo es die Kohle gibt.
Lieber Ferenc, kann Ihnen da zu 100 % Zustimmen! Solange es in dieser tollen EU eine dermaßen große Differenz bei den Löhnen gibt kann von einer Union der Gleichen keine Rede sein. Da verwundert es auch nicht, das die ärmeren Oststaaten keine Asylanten aufnehmen möchten und dafür auch noch Geld aufwenden sollen! Solange die EU keinen einheitlichen Lebendsstandart zustande bringt und nur daraus besteht das Plätze und Baudenkmäler überall schön erneuert werden, kann sie mir gestohlen bleiben. DRECKS EU!!! DIESER „VEREIN“ IST SO SINNLOS UND ÜBERFLÜSSIG UND DIENT NUR DAZU DIE ABGEHALFTERTEN POLITIKER ALLER LÄNDER ÜBERHOCH ZU BEZAHLEN!!! ZUSTANDE BRINGEN SIE SOWIESO NICHTS!!!
Der Kopp ist wirklich eine der besten Quellen, aber für viele wahrscheinlich ehrlicher als die Mainstream-Medien.
Und Drecks-EU??? Man könnte hierauf eher provokativ fragen, ob Sie auch einer derjenigen sind, die entweder ordentlich mitpartizipieren an den Millionen, die die EU in den letzten Jahren gen Osten transferiert hat oder dann einer derjenigen sind, die auf das Geschreie der abgehalfterten lokalen Kleptokraten reinfallen.
Auf der einen Seiten permanent gegen die EU wettern, aber dennoch nicht nein sagen, wenn es um’s Geld geht. In diesem Zusammenhang kann man der EU jedoch vorwerfen, dass hier viel zu oft, aufgrund welcher Gründe auch immer – die sind eh bekannt, einfach beide Augen verschlossen werden, statt dafür zu sorgen, dass das Geld auch tatsächlich dort ankommt, wo es hinsoll.
Und des weiteren bringen auch die Politiker hier in Ungarn nicht gescheites zustande, ausser, wie oben bereits geschrieben, sich selber zu versorgen und den anhang gleich mit.
In dem Zusammenhang muss ich aber auch leider zugeben, dass ich derzeit nirgendwo jemanden sehe, der zum einem:
– die Spaltung in den Gesellschaften aufhält
– Ehrlichkeit, die aber auch nicht jedem gefallen und jeden Wunsch erfüllen wird
– vorauschauend agiert und nicht nur auf seine Wiederwahl fixiert ist
…
Achso – wenn ich den Koppverlag lese, dann kann ich auch gleich „Fix und Foxi“ lesen.
Attila Varga sagt was im Grunde viele denken, die vorherigen waren auch nicht besser.
Ferenc Kohlbass sagt Orbán macht es besser unter der Überschrift „Warum erlebt die ungarische Demokratie eine Wiedergeburt?“ er bevorzugt den „starken Mann“ der die Demokratie ablehnt oder in dem orbánischen System eine Demokratie entdecken will, die von einem Mann bestimmt wird. Nein, das war nicht der Grund, es war einzig Der, das es die Vorherigen auch nicht besser machten.
Turo Rudi verflucht alles, was nicht seiner Meinung ist wie auch andere … hier ist der Demokrat Zuhause.
Zsolt Kapelner meint„Nämlich, dass wir bei gesellschaftlich relevanten Fragen ein Mitspracherecht haben; dass in der Gesellschaft nur das sein darf, was das Volk will, aber vor allem: dass nicht sein darf, was das Volk nicht will. Genau das nennt man aber kurz: Demokratie!“ Ja könnte man meinen, doch so einfach ist das nicht. Das „Volk“ rief auch schon hängt ihn. Was außer Humanismus kann das Fundament von Demokratie sein?