Auch gut zwei Wochen nach dem bedenklichen Duell im Nationalen Wahlbüro – Muskeln gegen Demokratie – sind die Hintergründe dieser Straftat noch immer unklar. Bisher gelang es nicht, dem oder den Verantwortlichen auf die Spur zu kommen. Keiner war’s! Selbst von Seiten derjenigen, die am meisten davon profitieren würden, wenn es in der Frage der Sonntagsöffnung zu keinem Referendum käme, übt man sich in Entrüstung und Unverständnis. Sogar der Präsident des Fußballvereins, dessen Sicherheitsdienst die kräftigen Referendums-Verhinderer zugeordnet werden, findet den Vorfall „unwürdig“.
Zwar ist das Nachwende-Ungarn nicht gerade dafür berühmt, dass Straftaten mit politiknahen Akteuren jemals befriedigend aufgeklärt werden, in diesem Fall wäre es aber schon höchst interessant zu erfahren, wer hier so viel Dummheit besessen hat, um eine politische Meinungsverschiedenheit auf eine derart kurzsichtige Weise auszutragen. Dass die Glatzen nicht selber auf die Idee gekommen sind, sich dem sozialistischen Referendums-Initiator in den Weg zu stellen, darf bei allen Unklarheiten wohl als gesicherte Tatsache angenommen werden. Die Sozialisten scheiden als Urheber ebenfalls aus. Egal, wie sehr sie jetzt von dieser Aktion profitieren, ein so virtuoses Spiel über die Bande traut man ihnen gegenwärtig wirklich nicht zu.
Der Fidesz-Versuch, den Fehltritt dem einzigen echten Rivalen Jobbik in die Schuhe zu schieben, ist zwar ein origineller, allerdings ziemlich fragwürdiger Versuch, einen Verantwortlichen außerhalb des eigenen Lagers zu finden. Spekulationen hin oder her, jetzt sind die Organe des Rechtsschutzes gefragt, Licht in dieses dunkle Kapital der ungarischen Demokratie zu bringen. Man kann gespannt sein, wie ergebnisoffen die Staatsanwaltschaft vorgehen wird und ob ihr Ermittlungseifer nur zu einem Bauernopfer oder mehr führen wird. Genauso gespannt kann man derzeit auch darauf sein, wie das Verfassungsgericht den Versuch der Nationalbank bewertet, öffentliche Gelder mal so eben verschwinden zu lassen.
Spannend bleibt weiterhin zu sehen, ob es die ambitionierten Aufräumer des Sozialministeriums tatsächlich schaffen, die möglicherweise völlig fehlkonstruierte, aber ganz sicher missgemanagte Schulverwaltungszentrale KLIK zu sanieren, und von einem Fluch der Schulen in deren Segen zu verwandeln. Was hat überhaupt zu diesem KLIKDebakel geführt? Wurde diese Behörde nicht ausreichend im Staatshaushalt berücksichtigt? Und wenn doch, wohin sind dann die Gelder geflossen, die jetzt an allen Enden fehlen?
Ebenso interessant bleibt zu sehen, wie der Staat das Verhältnis zu seinen Lehrern und natürlich auch den Mitarbeitern des Gesundheitswesens wieder in den Griff bekommt. Natürlich ist man auch darauf neugierig, wie der Kampf der neuen Simicskas um Reichtum und Einfluss weitergeht. Immerhin können hier schon kleinste Details tiefere Einblicke in interessante Machtkonstellationen geben. Welcher Potentat ist gerade im Aufsteigen begriffen? Bei wem hat es sich damit schon wieder erledigt?
All das sind für politisch interessierte Bürger durchaus spannende Fragen und Entwicklungen. Zumindest, wenn man auf der aufklärenden Seite der Barrikade steht. Auf Teilnehmer der anderen Seite könnte jeder erhellende Lichtstrahl eher unangenehm wirken. Zumal es bei vielen Konfliktherden auch keine klaren und sauberen Lösungen gibt. Man stelle sich nur einmal vor, der Fidesz hätte etwas mit den Vorgängen im Nationalen Wahlbüro zu tun. Selbst, wenn es sich dabei nur um irgendeinen unteren Wasserträger handelt, der in einem Akt vorauseilenden Gehorsams etwas Gutes für sein Lager tun wollte, dürfte es für den Fidesz schon eine recht knifflige Angelegenheit sein, ohne größere Blessuren aus dieser Nummer wieder herauszukommen.
Auf Seiten der Opposition gibt es nicht von ungefähr Stimmen, die einen Zusammenhang sehen wollen zwischen den vielen schwelenden Bränden und dem am Mittwoch plötzlich aus dem Hut gezauberten Flüchtlingsnotstand und der erneuten Fokussierung auf eine externe Gefahr. Die da, wir hier und dazwischen ein schöner großer Zaun. Und wenn er nicht ausreicht, dann wird er eben erweitert. Endlich mal wieder klare Verhältnisse! Schön klar geht es auch an der Front Ungarn versus Brüssel und seiner bedrohlichen Zwangsquote zu. Da kann man als innenpolitikgeplagter Ministerpräsident mal wieder so richtig durchstarten und aufatmen. Warum soll man sich als erfolgreicher und respektierter Außenpolitiker überhaupt noch mit der mühseligen Innenpolitik, mit undankbaren Pädagogen, lästigen Oppositionellen und streitenden Einflussjägern abplagen?
Vielleicht ist ja genau diese Einstellung eine der Hauptursachen der immer zahlreicheren innenpolitischen Problemzonen Ungarns.