Noch immer gibt es keine Klarheit darüber, was genau vor zwei Wochen im Foyer des Nationalen Wahlbüros (NVI) geschehen ist. Mittlerweile sind auch Polizei und Staatsanwaltschaft mit der Angelegenheit befasst – jedoch teils anders, als erwartet.
Der Vorsitzende des Nationalen Wahlausschusses, András Pátyi, sprach am Donnerstag vergangener Woche im Kossuth Rádió über die rechtlichen Konsequenzen des Tumults. So müsse vorsichtig zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden werden. Zu dieser Ansicht gelangte der Ausschuss, nachdem er vergangene Woche Montag die Aufnahmen der Geschehnisse auswertete. Nyakó sei durch das Verhalten der jungen Männer zwar behindert worden, aber weder die Initiatorin der letztlich zuerst eingereichten Frage, Frau Erdősi, noch ihre vermeintlichen Begleiter hätten die Situation ausgenutzt.
NVI: Einreichung der Frage rechtmäßig
Wichtiger noch: Auch seitens des NVI konnte das NVI keine Versäumnisse feststellen, Nyakó sei nicht „vorsätzlich physisch” gehindert worden, die Frage von Frau Erdősi also zur Prüfung zulässig. Patyi selbst habe auf der Sitzung dafür plädiert, die zuerst eingereichte Frage nicht zuzulassen, da Frau Erdősi diese nicht eigenhändig in die Stechuhr geschoben hatte, was in der Vergangenheit schon zur Ablehnung von Fragen geführt hatte. Dieses Mal entschied sich die Regierungsmehrheit im Ausschuss allerdings dafür, diesem Fakt keine Bedeutung beizumessen.
Kurie sieht Rechtsbruch
Anderer Meinung war zum Ende der vergangenen Woche jedoch das höchste Gericht, die Kurie. Sie ging weiter als der Ausschuss und erkannte nicht nur an, dass die jungen Männer nicht nur rechtswidrig gehandelt hätten, sondern dass sie Nyakó auch aktiv daran gehindert haben, seine Referendumsfrage als erster abzustempeln. Die wichtigste Frage ist damit aber immer noch offen: Wird die Kurie die Frage von Frau Erdősi nach dieser Entscheidung trotzdem zulassen oder doch den Weg für die Initiative von Nyakó freigeben?
Auch die Staatsanwaltschaft dürfte die Entscheidung der Kurie mit Interesse verfolgt haben, denn knapp 20 Ermittlungsverfahren sind derzeit bezüglich der Geschehnisse im NVI anhängig. Deren Ziel ist es, herauszufinden, ob die Behinderung von Nyakó in der Tat mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden ist. Tatsächlich scheint es, als ob die Kurienentscheidung Bewegung in die Ermittlungen gebracht hätte. So teilte István Nyakó am vergangenen Freitag mit, die Polizei hätte ihn darüber informiert, die Ermittlungen aufgenommen zu haben. Nyakó selbst wurde bereits als Zeuge vernommen.
Zwei weitere Verfahren zeichnen sich derweil ab. Zwei der im NVI anwesenden jungen Männer haben Klage gegen den regierungskritischen TV-Sender atv eingereicht. Sie sehen ihre Persönlichkeitsrechte durch die gezeigten Videoaufnahmen verletzt, da sie diesen im Vorfeld nicht zugestimmt haben. Beide klagen nun auf eine Entschädigung von einer Millionen Forint pro Kopf. Was im ersten Moment wie eine Farce wirkt, könnte tatsächlich zum Präzedenzfall werden. Denn das Mediengesetz setzt den Schutz der Persönlichkeitsrechte hoch an und fordert eine ausdrückliche Zustimmung des Abgebildeten; einzige Ausnahme bilden hierbei Angelegenheiten von besonderem öffentlichen Interesse. Nun wird das Gericht feststellen müssen, ob dieses Interesse vorliegt – und ob nicht doch vom stillschweigenden Einverständnis des Lőrinc J. und Tibor Attila K. ausgegangen werden muss. Wie das Nachrichtenportal vs.hu bemerkt, hätten sich schließlich beide noch im NVI nicht dagegen verwahrt, von zahlreichen Kameras gefilmt und fotografiert zu werden. Mehr noch, einer der beiden gab beim Verlassen des NVI sogar eine kurze Erklärung ab. Bisher sind nur die beiden Klagen gegen atv bekannt.
Kubatov findet den Vorfall ebenfalls „unwürdig“
Derweil äußerte sich auch der tagelang nicht erreichbare Gábor Kubatov. Der stellvertretende Fidesz-Vorsitzende ist ebenso Vorsitzender des Fußballclubs FTC und Eigentümer des Fradi Sicherheitsdienstes, auf dessen Gehaltsliste mutmaßlich ein Großteil der kräftigen jungen Männer aus dem NVI stehen. Auf dem Münchener Flughafen gelang es der staatlichen Nachrichtenagentur MTI schließlich, den Clubeigner für ein Statement zu erwischen. „Anhand der Videoaufnahmen halte ich das Geschehene für unwürdig. Ich vertraue darauf, dass die betroffenen Stellen die gültigen Rechtsnormen schnellstmöglich ändern werden.” Damit wiederholte er fast wörtlich, was bereits auch andere Regierungsvertreter zur Causa NVI sagten.
Verfassungsschutz schaltet sich ein
Unerwartet schaltet sich nun auch der ungarische Verfassungsschutz ein. Am Mittwoch teilte dies Zsolt Molnár, sozialistischer Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Verfassungsschutz mit. Bernadett Szél, Abgeordnete der grünen Partei LMP betonte, dass hier, da nicht nur die Arbeit eines den Volkswillen repräsentierenden Instituts behindert wurde, sondern die Rechtsstaatlichkeit an sich, von einem „Thema der nationalen Sicherheit“ gesprochen werden müsse. Beide hoben hervor, dass die mehr als 20 eingegangenen Anzeigen deutlich zeigten, dass die Bevölkerung Antworten auf die Geschehnisse im NVI erwarte.
Auch Ádám Mirkóczki, Jobbik, und Szilárd Németh, Fidesz, verurteilten die Geschehnisse im NVI, kamen jedoch nicht umhin, sich gegenseitig noch mit Schuldzuweisungen zu überziehen. So verbat sich Mirkóczki, dass es Versuche gäbe, die „Fidesz-nahen, von Gábor Kubatov bezahlten Schläger” auf Biegen und Brechen der Jobbik zuzuordnen. Ausschussmitglied Németh ging darauf nicht weiter ein, sondern schrieb diese Äußerung dem „Verfolgungswahn des Jobbik-Abgeordneten” zu, schließlich hätte sich Kubatov bereits geäußert.
Von Oppositionsseite ist es nun auffällig still. Nach den ersten reflexartigen Aufschreien und der Sorge um den vermeintlichen Niedergang der Demokratie halten sich linke Oppositionspolitiker jetzt zurück. Vermutlich in der Überzeugung, der Sache sonst nur zu schaden. Immerhin sollten mehrere mit der Causa NVI befasste Gerichte und der Verfassungsschutz sowie das Höchste Gericht, die Kurie, doch in der Lage sein, in dieser immer absurderen und sehr durchsichtigen Posse Recht zu sprechen.