Die Budapester Organisation Haver möchte durch Aufklärung Toleranz gegenüber Juden schaffen. Seit über 10 Jahren besucht sie dazu regelmäßig Bildungsinstitutionen, um Jugendlichen Werte der jüdischen Kultur zu vermitteln. Engagement gegen den Antisemitismus – die Budapester Zeitung begleitet Haver auf seinem Besuch im Klassenzimmer.
„Was assoziiert ihr mit dem Judentum?“ Die Antworten auf diese Frage reichen von Geld über Gaskammer bis Tora. Es ist die Eröffnung zur Unterrichtseinheit von Haver. Schätzungsweise 100.000 Juden leben heute in Ungarn, sie sind die viertgrößte jüdische Gemeinde Europas. In Budapest erinnern die eisernen Schuhe am Ufer der Donau an den Holocaust. Die Deportation von 600.000 ungarischen Juden während des Zweiten Weltkrieges ist ein dunkles Kapitel der Vergangenheit. Antisemitismus ist aber auch in der Gegenwart noch ein spürbares Phänomen in Ungarn. Spätestens seit dem Einzug der rechtsextremen Jobbik ins Parlament hört man auch im öffentlichen Diskurs vermehrt rassistische Parolen. Haver, was auf Hebräisch sowie auf Ungarisch „Freund“ heißt, will den Dialog zwischen Juden und Nichtjuden fördern. Die Non-Profit-Organisation, die 2002 als kleines Projekt entstand, wächst stetig. Finanziert wird der Verband durch Spenden. Die Vereinigung spricht jährlich mit über 1.500 Schülern und Studenten. Ihre Mission führt sie in alle Teile des Landes, größtenteils besuchen sie jedoch Schulen in Budapest. Die Hauptstadt ist das Zuhause für die größte jüdische Gemeinde Ungarns. In Zukunft will die Organisation vermehrt in abgelegene Dörfer fahren, in denen die jüdische Population geringer ist. Die Großzahl der Lehrer wird durch das Internet oder Kollegen auf das Programm aufmerksam. Die Dienstleistung ist für Bildungsinstitutionen gratis, die Mitwirkenden arbeiten ehrenamtlich. Sie besuchen Universitäten und Gymnasien. In ihrem Programm soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem es keine Tabus gibt, indem auch die unschönen Dinge zur Sprache kommen und keine politische Korrektheit, sondern ein authentischer Meinungsaustausch herrscht.
Alternative Unterrichtsmethoden
„Die größte Herausforderung besteht darin, das Interesse der Jugendlichen zu wecken und ihnen die Wichtigkeit der Thematik zu vermitteln. Das ist nicht immer einfach. Wir waren schon in Klassen, wo niemand zugehört hat, wo wir gegen eine Wand sprachen. Wir müssen die Schüler aus ihrer Passivität locken. Bei uns gibt es keinen Frontalunterricht – die Schüler sitzen im Kreis. Es ist eine ungewohnte Situation, denn sie müssen sich aktiv an unserem Unterricht beteiligen“, erklärt Júlia Dés, Geschäftsführerin bei Haver. „Zudem besuchen wir die meisten Gruppen nur ein einziges Mal – in kurzer Zeit müssen wir so möglichst viel vermitteln. Viel lieber würden wir Kurse über eine längere Dauer geben.“ Die Vorkenntnisse der Schüler variieren stark. Nicht nur von Gegend zu Gegend, sondern von Klasse zu Klasse und von Schüler zu Schüler. Einzelne überraschen mit ausgeprägtem Wissen, andere haben noch nie von Israel gehört.
Der Wissensstand lässt sich an keinem Kriterium festmachen. Jeder Besuch birgt somit eine neue Herausforderung, jeder Gruppe gebührt individuelle Aufmerksamkeit. Studien an Universitäten zeigen besorgniserregende Befunde: Ein Fünftel der Studenten haben judenfeindliche Vorurteile. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass die Einstellung meist auf Unwissen zurückzuführen ist. Je größer die Bildungslücken zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, desto eher wird eine rassistische Haltung vorgefunden.
Haver arbeitet genau deshalb mit jungen Menschen – denn der Holocaust wird im regulären Schulplan meist nur in einer kurzen Unterrichtseinheit behandelt, dem Judentum wird separat keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Organisation agiert anders als der herkömmliche Lehrplan: Lektionen zum Holocaust werden nur in Klassen gehalten, die sich bereits mit der jüdischen Identität auseinandergesetzt haben.
Zurück im Klassenzimmer
Was bedeutet es, eine jüdische Identität zu haben? Was ist Identität überhaupt? Die Schüler beginnen zu erzählen, was ihre Identität bildet. Manche bezeichnen sich als Sportler, andere als Ungarn oder Musiker. Das Judentum wird nicht nur als Glaubensgemeinschaft vorgestellt, sondern als eine kunterbunte Kulturgemeinschaft. Die Haver-Mitarbeiter erklären, dass „Jude zu sein“ für jeden Menschen etwas anderes bedeutet. Für einige zählt die Gemeinschaft, für andere die Tradition für wieder andere der Zusammenhalt – die Religion steht aber nicht immer im Vordergrund. In der besuchten Klasse reagiert man mit Staunen: „Ich dachte immer, wenn man jüdisch ist, muss man religiös sein. Ich war auch verblüfft, als sie uns erzählt haben, dass die deportieren Juden zum Teil nicht gläubig waren.“
Weiterhin werden den Schülern Fotografien von Gesichtern präsentiert. Ein blauäugiges Mädchen, ein älterer Herr mit Bart, ein dunkelhäutiger Junge. Die Porträtierten könnten verschiedener nicht sein. „Was glaubt ihr, welche dieser Menschen sind Juden?“ Laut beginnt die Klasse zu diskutieren. „Auf meiner Fotografie ist bestimmt keine Jüdin“, verkündet jemand, „die hat ja rotes Haar.“ Ein anderer glaubt zu wissen: „Ich habe einen Juden, der hat sogar eine Kippa an!“ In Wahrheit sind aber alle abgebildeten Personen jüdischer Abstammung. Ein einfaches Beispiel veranschaulicht die heutige Diversität der jüdischen Diaspora, welche sich über die ganze Welt erstreckt. Die besuchte Schule liegt in einem kleinen Dorf, anderthalb Stunden von Budapest entfernt. Das riesige Schulhaus ist der Mittelpunkt des Örtchens. Trotz der großen Schülerzahl gibt es hier kaum Juden. Die Wände zieren ungarische Flaggen und volkstümliche Objekte. Es wird gekichert – eine blonde Jüdin, das war für die Schüler bisher unvorstellbar. Es wird immer lauter, es wird gejauchzt und geplaudert, die Unruhe wird größer. Es braucht die Anstrengung des Lehrers und der Haver-Mitarbeiter, um die Schüler zu bändigen.
Leise hört man eine Stimme: „Von wo kamen die Juden überhaupt? Sind sie quasi eine andere Menschenart?“ Es sind Fragen wie diese, die geklärt werden sollen. „Wichtig war uns von Anfang an, dass die Mitarbeiter, die Institutionen besuchen, selbst Juden sind“, meint Dés. Vielerorts kommen die Jugendlichen durch uns zum ersten Mal mit Juden in Kontakt.
„Feiert ihr eigentlich auch Weihnachten? Wollt ihr eure Kinder jüdisch erziehen? Wurdet ihr je diskriminiert, weil ihr Juden seid?“, mit solchen Erkundigungen können sich die Jugendlichen so direkt an Mitglieder der jüdischen Gesellschaft richten. Das Judentum erhält ein Gesicht in Form von jungen Personen, die den Dialog an Schulen vorantreiben.
Juden als Teil der Gesellschaft
Der größte Nährboden für judenfeindliche Parolen findet sich an Orten, an denen Schüler nie mit ihnen in Kontakt kamen, wo man nicht über genug Wissen zum Judentum verfügt, um antisemitischen Vorurteilen kritisch entgegen zu treten. Der fremde, mit Stereotypen beladene Jude, soll aus dem Gedächtnis der Schüler verschwinden. Am Ende der Lektion werden sie erneut befragt und siehe da: Es wurden neue Gedankenverbindungen geschaffen. Der sagenumwobene Jude wird immer mehr zu einer Person aus Fleisch und Blut. Eine Person der ungarischen Gesellschaft.
Mehr Informationen zu Haver finden Sie unter www.haver.hu oder www.facebook.com/HaverAlapitvany
„Die größte Herausforderung besteht darin, das Interesse der Jugendlichen zu wecken und ihnen die Wichtigkeit der Thematik zu vermitteln. Das ist nicht immer einfach.“
Als hätte man mir die Worte aus dem Mund gerissen die schon immer da waren, alternativ hätte ich es auch sagen können. Das nennt man heute Alternative Unterrichtsmethoden. WOW
Es tut mir wirklich leid und weh wenn ich mir überlege wie-viel Vereine jetzt noch beweisen müssen das sie aus Fleisch und Blut sind und ich bin froh das wenigstens die Juden es zu Menschen schaffen. Doch was machen wir mit den Moslems sind die nicht auch Menschen. Oder wäre das eine Überforderung von Kindern wenn es plötzlich noch Moslems gibt auch aus Fleisch und Blut. Aber dass erst in der nächsten Lektion auch mit altennaiven Unterrichtsmethoden. Hatten denn die Roma schon eine Chance zu beweisen das sie Menschen aus Fleisch und Blut sind.
Denn so scheint die Vorstellung, wenn man sich als Jude ausweisen kann wenigstens die Bestätigung, vor allen anderen Minderheiten, ein Mensch zu sein, der bewiesen hat, aus Fleisch und Blut zu sein. Die größte Herausforderung besteht darin, jetzt den Jugendlichen noch dafür zu wecken, dass es Obdachlose gibt und ja die sind jüdisch und katholisch und muselmanisch et cetera und doch Mensch aus Fleisch und Blut. Armselig, aber eine Unterrichts-Methode.