35 Jahre Erfahrung als Wirtschafts- und Finanzprognostiker im privaten Sektor sowohl als Wirtschaftsanalytiker für Entscheidungsträger, einschließlich Senator Jack Kemp, Leiter der republikanischen Vorwahlen während beider Reagan-Administrationen, haben ihn dahin geführt, die scholastische Wirtschaftstheorie wiederzuentdecken. Wie er sagt, habe diese die besseren Instrumente für die Vorhersage der Auswirkungen von wirtschaftlichen Strategien, da sie unsere Präferenz für Personen bei der Verteilung von Gütern mitberücksichtigt. Autor John D Mueller ist derzeit Direktor des Wirtschafts- und Ethik-Programmes am Ethics and Public Policy Center, Washington DC.
Beginnend mit der Frage worum es beim Wirtschaften überhaupt geht, legt der Autor für uns die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften dar, wie er sie in seinem Buch „Erlösung der Wirtschaftswissenschaften“ präsentiert.
Wirtschaftswissenschaften beschreiben, was Menschen den ganzen Tag tun. Wir produzieren, tauschen, verteilen und verbrauchen Güter und Leistungen. Wir könnten sagen, dass Wirtschaftswissenschaften eine Theorie von Vorhersehung ist: sie beschreiben, wie wir für uns selbst und die Personen, die wir lieben, sorgen, wobei wir begrenzte Mittel nutzen, die alternativen Zwecken dienen können.
Der Untertitel Ihres Buches deutet darauf hin, dass eines dieser Elemente in den Wirtschaftswissenschaften verloren ging und neu entdeckt werden muss?
Scholastische Wirtschaftswissenschaften begannen in der Mitte des 13. Jahrhunders als Thomas von Aquin zuerst diese vier Elemente integrierte, wobei er auf Aristoteles und Augustinus zurückgreift, um persönliches, privates und politisches Wirtschaften zu beschreiben. Das scholastische System ist umfassend, logisch komplett und sowohl mathematisch als auch empirisch verifizierbar. Es wurde mehr als fünfhundert Jahre lang auf höchstem Universitätsniveau unterrichtet, von etwa 1250 bis 1776. Die klassischen Wirtschaftswissenschaften begannen 1776, als Adam Smith versuchte, die vier scholastischen Elemente auf zwei zu reduzieren. Er ließ Augustinus‘ Theorie vom Nutzen, die den Verbrauch beschreibt, fallen und ersetzte dessen Theorie der Verteilung an Personen und Aristoteles‘ Theorie von gesellschaftlicher Verteilung durch die Annahme, dass jeder „nur sein eigenes Interesse verfolgt”.
Die derzeitige neoklassische Wirtschaftswissenschaft begann 1871, als drei Wirtschaftswissenschafter, unzufrieden mit den Schwächen in der Prognose, damit anfingen, die Theorie vom Nutzen wieder in die Theorie von Produktion und Verteilung einzugliedern. In meinem Buch prognostiziere ich, dass der neo-scholastische Ansatz in den nächsten Jahrzehnten zu einer erneuten Revolutionierung der Wirtschaftswissenschaften führen wird, und zwar durch die Wiedereinführung des verlorenen Ecksteins, der Theorie von persönlicher und gesellschaftlicher Verteilung. Damit werden die Wirtschaftswissenschaftler ein weiteres, unverzichtbares Element bekommen, welches Prognosen umfassender und empirisch zuverlässiger machen wird.
Welches sind die Hauptgedanken des scholastischen/neo-scholastischen Ansatzes?
Aquin umschrieb Aristoteles‘ „Endziel” durch seine Beobachtung, dass jeder Akteur ein Ziel verfolgt. Dies trifft in verschiedener Weise nicht nur auf Menschen zu, sondern beispielsweise auch auf einen Pfeil, der auf ein Ziel gerichtet ist. Augustinus ging von Aristoteles‘ Definition von Liebe aus – der Wille, jemandem etwas Gutes zu tun – und zog die Schlussfolgerung, die über Aristoteles hinausreicht, nämlich dass jede Person einer anderen Person oder anderen Personen zuliebe handelt. Wenn ich sage, „ich liebe Vanilleeiskrem” meine ich, dass ich mich liebe und dies durch den Verzehr von Vanilleeiskrem und nicht durch Erdbeereis zum Ausdruck bringe. Wir handeln also, indem wir auf zwei Ebenen eine Wahl treffen – bezüglich der Person(en) als Ziel und der Dinge als Mittel – wobei wir durch persönliche Liebe und Nützlichkeit geleitet sind.
Da Menschen soziale Wesen sind, „ist die menschliche Gesellschaft durch Transaktionen von Geben und Nehmen untereinander verbunden”, wie Augustinus notiert. Diese scheinbar ähnlichen Transaktionen sind grundsätzlich verschieden: Verkauf oder Geschenk. Wir verteilen unsere Güter ohne Gegenleistung an Personen, die wir besonders lieben, ansonsten verkaufen wir sie. Wir können immer vermeiden, andere ihrer Güter zu berauben. Daher drückt sich das Mindestmaß an Liebe zum einen in Wohlwollen und zum anderen im Maß an Gerechtigkeit beim Austausch von Gütern aus. Unsere Selbstliebe wird durch unseren eigenen Verbrauch an Gütern ausgedrückt, unsere Liebe zu anderen durch Zuwendungen. Hass wird durch Zufügen von Schaden und durch Verbrechen ausgedrückt. Das Gegenstück zu persönlichen Geschenken auf gesellschaftlicher Ebene ist, was Aristoteles „Gerechtigkeit bei der Verteilung“ nennt, eine Formel, die wir benutzen, um in Gemeinschaften wie Familie oder Staat gemeinsame Güter verteilen. Beide Arten sind Transferzahlungen und sind wegen ihrer Knappheit begrenzt verfügbar.
Wo kommt die Moral ins Bild?
Augustinus betont, dass es natürlich ist, dass wir uns selbst lieben. Alle anderen moralischen Normen stammen von den zwei Hauptgeboten ab, da diese einen Maßstab geben, in welchem Maße unsere Liebe richtig geordnet ist. Wenn ein Gut ausreichend zur Verfügung steht, könnten und sollten wir es gleichmäßig mit allen teilen. Bei Gütern wie Zeit und Geld, die laut Augustinus „weniger werden, wenn sie geteilt werden”, ist dies nicht möglich. Deshalb kann „liebe deinen Nächsten wie dich selbst” nicht immer bedeuten: im selben Maß wie dich selbst. „Da man nicht allen Gutes tun kann”, folgert Augustinus, „muss man all diejenigen speziell berücksichtigen, die durch die Umstände von Zeit und Ort in näherer Verbindung mit uns stehen”.
Auf der Staatsebene sprechen wir von Korruption, wenn die Gerechtigkeit beim Austausch und/oder bei der Verteilung verletzt wird. Im ersten Fall ist dies einfacher zu verfolgen, da Bedingungen in Verträgen festgelegt werden. Im zweiten Fall ist dies schwieriger. Oft genug fehlt ein Konsens darüber, welche Werte und Prinzipien bei der Verteilung zur Anwendung kommen sollen. Ist dieses Problem vermeidbar?
Wie James Madison erklärt, ist die Bildung von Interessensgruppen endemisch für repräsentative Regierungen. Eine Interessensgruppe ordnet das allgemeine Interesse, das alle umfasst, ihren eigenen, engeren Interessen unter. Interessensgruppen hängen von Ideologien ab. Hannah Arendt beschreibt diese zutreffend als die Schaffung einer fiktiven Welt. Jede Interessensgruppe versucht Gerechtigkeit so neu zu definieren, dass die Lasten möglichst der anderen Gruppe und Leistungen der eigenen Gruppe zufallen. Kollektivisten versuchen, die Gerechtigkeit auf die Verteilung zu beschränken, so, als ob alle Güter Gemeingüter wären, während Individualisten sich auf Gerechtigkeit im Austausch beschränken wollen, als ob es keine Allgemeingüter gäbe. Beide Annahmen sind falsch. Aber wir missverstehen Madison, wenn wir glauben, dass dies nur auf die anderen zutrifft.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Grundprinzipien für die Regelung von Märkten und Staatsausgaben.
Die Regulierung von Märkten ist keine Raketenwissenschaft. Die meisten Übertretungen haben entweder mit Stehlen und/oder mit Lügen zu tun. Diese Verfehlungen müssen angesprochen und geregelt werden. Es gibt vier Grundregeln für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die Gerechtigkeit sowohl beim Austausch als auch bei der Verteilung gewährleisten: 1. Die allgemeine Finanzierung des Staates, wie etwa der Verteidigung, erfolgt zu einem gleichen Anteil aus Steuern auf Arbeitseinkommen und auf Vermögenseinkommen. 2. Die Finanzierung von Leistungen mit speziellerem Ziel, wie Renten, erfolgt aus Steuern auf Arbeitseinkommen, während Leistungen zur Vermögensbildung aus Vermögenssteuern erfolgen. 3. Die Kreditaufnahme erfolgt nur für Investitionen in Staatseigentum. 4. Die Finanzierung von Staatsaufgaben darf nicht durch das Drucken von Geld erfolgen.
Sie haben den Zusammenhang von Ideologie und Verteilung erwähnt. Mit den Gedanken Ihres Buches im Hinterkopf könnte man die politische Krise bei der Regelung des Migrations- bzw. Flüchtlingsstromes als das Dilemma des vorausschauenden Haushaltsvorstandes im Zangengriff zweier Ideologien begreifen. Auf der einen Seite steht ein waghalsiger sentimentaler Humanismus. Dieser hält nur undifferenzierte Wohltätigkeit für moralisch korrekt. Am anderen Ende befindet sich ein profitorientiertes Wirtschaftskalkül. Konflikte, menschliches Leid und Chaos können zu größeren Profiten beitragen. Chaos schließt auch ein, dass viele eine moralische Verpflichtung zur Hilfeleistung verspüren, jedoch kein verlässliches, realitätsnahes und weises Bezugssystem für praktisches moralisches Verhalten haben. Können Ihre Ergebnisse diese Diskussion wieder auf den Boden der Tatsachen und Fairness bringen?
Solange wir die zeitlose Logik des „liebe deinen Nächsten wie dich selbst” mit knappen Mittel respektieren, bin ich zuversichtlich, dass wir Lösungen finden, die sowohl wirtschaftlich uninformierten Moralismus wie auch moralisch herzlosen ‚Economismus‘ vermeiden.