In den frühen Montagmorgenstunden war es endlich so weit: Nachdem viele Ungarn bereits seit Monaten den unaufhaltsamen Erfolgskurs des ungarischen Holocaustdramas gespannt verfolgten, wurde „Son of Saul“ schließlich mit einer der höchsten Auszeichnungen der internationalen Filmwelt geehrt: einem Oscar in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“.
„And the Oscar goes to ‚Son of Saul‘, Hungary.“ Im entzückendsten kolumbianischen Englisch erlöste Fernsehstar Sofía Vergara schließlich das Team rund um den ungarischen Regisseur László Nemes Jeles aus ihrer unerträglichen Anspannung. Es folgten Jubel und eine kurze Dankesrede des gerade einmal 39-jährigen Nemes Jeles, der doch eigentlich mit seinem Debütwerk noch am Anfang seiner Karriere stehen müsste und trotzdem an diesem Tag vielleicht bereits deren Höhepunkt erreicht hat. Denn sehr viel höher geht es für eine europäische Produktion im Filmbusiness nicht: Der „Große Preis der Jury“ in Cannes, der Golden Globe und nun auch noch der Academy Award, “Son of Saul” (ungarisch “Saul fia”) hat sie alle abgeräumt.
Völlig gefasst und regelrecht gelassen wirkte Nemes Jeles, als er das Podium bestieg. In seiner Dankesrede wandte er sich vor allem an Hauptdarsteller Géza Röhrig. Dieser brillierte in der Rolle des ungarischen Juden Saul Ausländer, der im Sonderkommando des Vernichtungslager Auschwitz gezwungen ist, Menschen in die Gaskammern zu treiben. „Mit ihm und der fantastischen Crew, die an diesem Film gearbeitet und an ihn geglaubt hat, als es noch kein anderer tat, möchte ich diesen Oscar teilen”, so Nemes Jeles in seiner Ansprache und fügte hinzu: „Selbst in den dunkelsten Stunden der Menschheit kann es noch eine Stimme in uns geben, die uns erlaubt, menschlich zu bleiben. Das ist die Hoffnung dieses Films.“ Des Weiteren dankte der Regisseur seiner Heimat Ungarn für die Finanzierung durch den nationalen Filmfonds sowie Sony Pictures für ihre Unterstützung beim Vertrieb des Films.
„Son of Saul“ ist der neunte ungarische Film in der Geschichte der Academy Awards, der für einen Oscar nominiert wurde und erst der zweite, der diese Auszeichnung auch tatsächlich erhielt. Erstmalig konnte Regielegende István Szabó vor 35 Jahren mit seiner deutsch-ungarischen Koproduktion „Mephisto“ einen Oscar für Ungarn gewinnen. Zuletzt wurde 1988 mit „Hanussen“ – ebenfalls von Szabó – ein ungarischer Film nominiert. Entsprechend groß war der Siegestaumel in einigen Budapester Lokalen, die für die Liveübertragung der Oscarverleihung aus Los Angeles sogar ihre Öffnungszeiten bis in die frühen Morgenstunden verlängert hatten.
„Es ist ein großer Tag für den ungarischen Film“, schrieb Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am Montagmorgen in einem Post auf seiner Facebook-Seite. Auch er gratulierte den Filmemachern zu ihrem Erfolg.
Katrin Holtz