Wer weiß, worüber sich Premier Orbán im Moment mehr ärgert. Darüber, dass er derzeit mit der Flüchtlingskrise innenpolitisch nur noch wenig punkten kann? Oder darüber, dass er sich vom selbstgebastelten, aber an sich bedeutungslosen Koalitionspartner KDNP breitschlagen ließ, dessen verrückte Idee mit dem Sonntagsschluss umzusetzen?
Diese Idee war von Anfang an so mehrheitsunfähig wie volkswirtschaftlich sinnlos. Sie war höchstens dazu geeignet, das Selbstbewusstsein der künstlich am Leben gehaltenen KDNP etwas zu streicheln. Und für den Premier vielleicht dafür, sich der eigenen Durchsetzungskraft zu vergewissern. „Da schaut, wenn ich will, dann geht ihr sonntags einfach nicht mehr einkaufen!“ Nur blöd, dass Orbáns Untertanen die Kröte zwar notgedrungen schluckten, sich aber die Vorstellung, wie schön es ist, auch sonntags einkaufen gehen zu können, einfach nicht abgewöhnen wollen.
Gut ein Jahr später ist diese Vorstellung bei sehr vielen Ungarn noch immer so vital, dass ein faires Referendum in dieser Frage sicher ein ebenso absehbares Ergebnis hätte, wie derzeit etwa eine Volksbefragung über die Ansiedlung muslimischer Quotenmigranten in Ungarn. Mit der sonntäglichen Wiedereröffnung der Geschäfte hätte sich dann aber logischerweise auch der einzige handfeste Sinn des Sonntagsschlusses erledigt, nämlich die Allmacht von Orbáns Willen unter Beweis zu stellen. Das darf natürlich nicht sein! Wo kämen wir denn da hin!
Und so sind die Entscheidungsträger des Fidesz seit einem Jahr krampfhaft damit beschäftigt, das Zustandekommen eines Referendums in dieser Frage mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten zu verhindern. Vor zwei Wochen mussten sie jedoch am Ende ihres Lateins angelangt sein. Nach über einem Jahr erfolgreichen Abwehrkampfes bestand durchaus die reale Gefahr, dass ein Vertreter der Opposition in der heiklen Sonntagsschlussfrage ganz legal ein Referendum in die Wege hätte leiten können.
Unerhört! Da hat man nun schon so lange an den gesetzlichen Rahmenbedingungen für Referenden herumgeschraubt und die zuständige Behörde mit loyalem Personal besetzt und dann so etwas! Da kann ja bald jeder dahergelaufene Unbefugte kommen und die weisen Entscheidungen der Regierung in Frage stellen! Die Angst vor einem Dammbruch und vielleicht sogar jene unterer Fidesz-Chargen vor dem Zorn ihres Allerobersten ließ schließlich jemanden auf die fatale Idee kommen, dem Willen ihres obersten Dienstherren mittels physischer Drohkulisse Nachdruck zu verleihen.
Um ein von vornherein verlorenes Referendum mit unabsehbaren negativen Folgen zu verhindern, wurden mal so eben nebenbei zusätzliche, ebenso unabsehbare und negative Folgen provoziert. Jetzt hat die Regierung gleich zwei Probleme am Hals. Und mindestens 20 Klagen und zahlreiche peinliche Fragen. Etwa nach dem Auftraggeber der lächerlichen Posse im Nationalen Wahlbüro (NVI). Und wie die Justiz jetzt mit diesem strafrechtlich relevanten Vorfall umgehen soll. Dass die „Sonntags-Frage“ für Orbán-Gegner durch den Vorfall nun noch mobilisierender geworden ist, lässt die Glatzen-Aktion ebenfalls in einem, für die Regierung kontraproduktiven Licht erscheinen.
Alles in allem ist der Regierung durch den Vorfall jetzt möglicherweise ein größerer Schaden entstanden, als hätte sie – so wie vor anderthalb Jahren in der Internetsteuerfrage – nun auch in der Sonntagsfrage einfach eingelenkt. Sie hätte einfach nur eine neue „volkswirtschaftliche Studie“, eine entsprechende Bitte seitens einer Gewerkschaft oder sonst irgendeine Begründung heranziehen und die Sonntagsöffnung kurz entschlossen wieder legalisieren brauchen. Damit wäre diese Steilvorlage für die Opposition im Nu vom Tisch gewesen. Welches politische Kapital kann die Opposition heute schon noch aus der von der Regierung fallengelassenen Internetsteuer ziehen? So gut wie keins!
Zu den problematischen Konsequenzen des NVI-Vorfalls wird sicherlich auch die Frage gehören, wie man wieder Ruhe in die eigenen Reihen bekommen will. Schließlich gehört es nicht gerade zu den bürgerlichen Werten, die der Fidesz stets für sich beansprucht, seinen politischen Gegnern ganz offen Schläger aufs Fell zu schicken und eine demokratische Kontrollinstanz durch physische Gewalt auszuschalten. Noch dazu, um etwas zu verteidigen, was möglicherweise auch vielen Fidesz-Anhängern ein Dorn im Auge ist, nämlich dass sie seit einem Jahr an Sonntagen nicht mehr einkaufen können.
Es heißt immer, der Fidesz würde mit seiner Fast- Zweidrittelmehrheit felsenfest und selbstbewusst im Sattel sitzen. Seine selbstzerstörerische Panikreaktion im NVI und seine offensichtlich riesige Angst vor einem Sonntagsschluss-Referendum vermitteln jedoch einen ganz anderen Eindruck.
Politisches Hick Hack oder Notwendigkeit.
In Österreich haben zwar alle möglichen Geschäftsleut versucht die Notwendigkeit des Einkaufens am Sonntag zu untermauern, aber zum Glück sind hier die Gewerkschaften noch standhaft. Es kann doch keine Notwendigkeit sein am Sonntag einkaufen zu müssen, oder ist es vielleicht Fadesse des Volkes, weil man halt mit der Freizeit nicht wirklich mehr was anfangen kann. Ich glaube auch nicht daß dieses Thema zu politischen Grabenkämpfen taugt.