Auf die kürzlich vollzogene Wachstumswende soll eine Wende bei der Wettbewerbsfähigkeit folgen. Damit wird Ungarn imstande sein, Österreich (langfristig) einzuholen. Das neue Ziel gab kein Geringerer als Notenbankpräsident György Matolcsy aus, den Ministerpräsident Viktor Orbán beauftragte, eine Vision für die kommenden fünfundzwanzig Jahre zu entwerfen.
„In den folgenden Jahren müssen wir eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die auf der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beruht, denn die folgenden 25 Jahre werden ein Zeitabschnitt des Aufschließens sein“, sagte der Präsident der Notenbank (MNB), György Matolcsy, bei der Vorstellung eines weiteren Fachbuchs aus dem eigenen Haus. Aufschließen möchte er zu moderneren, westlichen Volkswirtschaften, unter denen sich der Vater der unorthodoxen Wirtschaftspolitik nicht eben ein Leichtgewicht aussuchte: Österreich soll langfristig eingeholt werden.
Der MNB-Präsident erinnerte daran, wie Ungarn seit 2010 sehr erfolgreich Wirtschaft und Finanzen stabilisieren konnte, während das Land parallel eine nachhaltige Wachstumsbahn einschlug. Auf dieser Basis wird ein Modernisierungsprozess möglich, der Ungarn aufschließen lässt zu Volkswirtschaften, die heute deutlich weiter entwickelt sind. Ohne eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wird dies aber sicher nicht gelingen. Der fachliche Stab der MNB arbeitet deshalb im Auftrag von Ministerpräsident Viktor Orbán ein Modell für die nächsten fünf sowie fünfundzwanzig Jahre aus.
Das Rad neu erfinden
Matolcsy zufolge habe Ungarn „in den vergangenen zwei Jahren ein im Vergleich zur österreichischen Wirtschaft um 2-2,5 Prozent höheres Wachstumstempo“ vorgelegt. Konkret hat das Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) das erwartete Wachstum für Österreich in 2015 auf 0,8 Prozent angesetzt, das hiesige Zentralamt für Statistik (KSH) gab für Ungarn in einer ersten Schätzung überraschend starke 2,9 Prozent vor. Matolcsy fragt nun, warum es nicht möglich sein sollte, dieses höhere Wachstumstempo auch in der Folgezeit beizubehalten.
Das mit den höheren Wachstumsraten ist übrigens kein ganz so neuer Gedanke. Erinnern wir uns an die 90er Jahre, als das Nachwende-Ungarn die Integration in die Europäische Union anstrebte. Politiker gaukeln ihren Wählern gerne utopische Ziele vor, weil diese beim nächsten Wahltermin vier Jahre später noch nicht rechenschaftspflichtig sind. Damals wurde den ungarischen Bürgern – vermutlich ähnlich wie in allen früheren Ostblockstaaten, die sich auf den EU-Beitritt vorbereiteten – eingeredet, mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft würde alsbald auch der westliche Wohlstand hinüberschwappen.
Nachdem die brutale Anpassungskrise des Übergangs vom sozialistischen zum kapitalistischen Gesellschaftsmodell bewältigt war, ging es in der Tat rasant bergauf mit den Volkswirtschaften im Osten Europas. Das hatte sicherlich auch damit etwas zu tun, dass die soziale Komponente des hiesigen Marktwirtschaftsmodells eher als lästiges Überbleibsel aus alten Zeiten hängengeblieben ist und nicht sonderlich forciert wird.
Nicht nur möglich, auch notwendig
Bodenständigere Ökonomen meinten schon zu Zeiten größter Euphorie, Ungarn sei langfristig zu einer Wachstumsdynamik von zwei Prozentpunkten über dem BIP-Zuwachs Deutschlands imstande. Was auf der einen Seite durch die vertiefte Integration (insbesondere seit dem EU-Beitritt 2004) möglich wurde, war andererseits auch notwendig, um den Entwicklungsrückstand zu verkürzen – so wie es einst die europäischen Südländer, zum Beispiel Spanien oder Portugal, erfolgreich vorgemacht hatten.
Im Jahre 1998 trat bekanntlich die erste Orbán-Regierung ihr Amt an, deren zweiter Wirtschaftsminister (Professor Attila Chikán hatte die Fußballvernarrtheit des Ministerpräsidenten leid, als dieser ernstlich die Bewerbung für eine Fußball-EM verfolgte) György Matolcsy wurde. Der lancierte zur Jahrtausendwende den ersten Széchenyi- Plan, auf dessen Basis er jährliche Wachstumsraten von 5 bis 7 Prozent fabrizieren wollte – was ihm beziehungsweise der ungarischen Wirtschaft in den vier Jahren der ersten Orbán-Regierung jedoch nicht ein einziges Mal glückte. Dass der gleiche Matolcsy heute als Präsident der Notenbank nur noch 2 bis 2,5 Prozent (-punkte) mehr als Österreich anvisiert, könnte darauf hinweisen, dass ihn die Realität eingeholt hat. Zumal er jetzt nichts anderes sagt, als die von ihm verschmähten Ökonomen in den 90er-Jahren als Richtzahl einer nachhaltigen Wachstumsbahn Ungarns vorgaben. So weit, so gut. Ist es aber realistisch, Österreich „langfristig“ einholen zu wollen?
Ein etwas unfairer Vergleich
In Europa gehört das Alpenland mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von nominell rund 335 Mrd. Euro zur TOP10 der stärksten Volkswirtschaften, Ungarn erwirtschaftet ungefähr ein Drittel dessen. Allerdings holen wir den Rückstand pro Kopf gerechnet rasanter auf, denn Österreichs Bevölkerung wuchs seit 2013 um rund 200.000 Personen (dank Zuzug von Ausländern), wohingegen Ungarn wieder 75.000 Bürger verlor. Somit verteilt sich das hierzulande erwirtschaftete BIP nur noch auf 9,8 Mio. Einwohner, bei den „Schwagern“ auf 8,7 Mio. Einwohner. Die Österreicher leben freilich rund fünf Jahre länger, so dass sie entsprechend längere Zeit Werte erschaffen können. Laut WIFO- Prognose wird ihr BIP 2016 und 2017 um jeweils circa 1,7 Prozent zulegen (auch dank eines durch Flüchtlinge ausgelösten Nachfrageschubs), während für Ungarn 2,5 bis 3 Prozent erwartet werden. Dabei erforderte die Matolcsy-Vorgabe rund vier Prozent Wachstum, und nominal würde der Rückstand zu Österreich selbst dann noch größer werden.
Mit den Löhnen ist es seit der Weltwirtschaftskrise zwar auch bei den reichen Österreichern nicht mehr so weit her. Immerhin bezieht aber etwa die Hälfte der Gehaltsempfänger Jahreseinkommen von 15 bis 40.000 Euro, während der Bruttodurchschnittslohn in Ungarn bei etwa 10.000 Euro pro Jahr liegt – noch dazu haben die ungarischen Arbeitnehmer dank der von Matolcsy favorisierten Politik des schwachen Forint binnen fünf Jahren hier am wenigsten Boden gutgemacht.
Dieser etwas unfaire und nicht wirklich gewollte Vergleich ließe sich noch lange fortsetzen, vielleicht macht es aber mehr Sinn, über die Triebfedern für mehr Wettbewerbsfähigkeit nachzudenken, die Ungarn über kurz oder lang in eine andere Liga befördern sollen. Leider hat der Notenbankpräsident bei der eingangs erwähnten Wortmeldung nichts Konkretes verlautbaren lassen, so dass wir wirklich nur im Dunkeln tappen können, auf welchen Gebieten Ungarn ausgerechnet Österreich etwas vormachen will. Als ressourcenschwaches Land können wir nicht wie die Nachbarn auf erneuerbare Energien setzen, selbst wenn technologische Durchbrüche eher mit Solarenergie denn mit Nuklearenergie zu erwarten sind. Ungarn sollte auf seine klugen Köpfe setzen, hört man immer wieder. Doch von dem aus westlicher Sicht armseligen BIP fließen weniger als anderthalb Prozent in Forschung und Entwicklung, und das Bildungswesen wird seit Jahren stiefmütterlich behandelt, für das heute kaum noch vier Prozent am BIP bereitgestellt werden. Beide Werte bewegen sich deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
Der Schuh drückt an vielen Stellen
Nach Angaben von Eurostat für 2013 wendet der ungarische Staat weniger als zehn Prozent seiner Gesamtausgaben für Bildungszwecke auf. Das Gesundheitswesen gilt nicht von ungefähr als bankrott, denn die Orbán-Regierung gibt relativ ein Drittel weniger für die Gesundheit ihrer Bürger aus, als im EU-Durchschnitt Standard sind. Ungarn wendet hingegen mehr als ein Fünftel seiner Staatsausgaben für die öffentliche Verwaltung auf, womit der Apparat allein auf Zypern mehr Geld verschlingt. Länder wie Tschechien, Estland oder die Niederlande geben der Verwaltung weniger öffentliche Gelder als gesondert für Gesundheit und Bildungswesen, Ungarn verprasst für seinen Wasserkopf mehr Geld als für die beiden großen Sorgenkinder zusammengenommen! Das es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Slowakei und Tschechien, die relativ das meiste Geld (abgesehen von sozialer Sicherung, die in allen EU-Staaten Schwerpunktthema ist) in das Gesundheitswesen stecken.
Der Schuh drückt aber noch an manchen anderen Stellen: Die hohe Belastung mit Steuern und Abgaben, ein instabiles rechtliches Umfeld (nicht selten treten Gesetze rückwirkend in Kraft oder werden schon wieder modifiziert, noch bevor die Änderung überhaupt wirksam geworden wäre) und die ausufernde Bürokratie oder die scheinbar systemimmanente Korruption sind allemal Faktoren, die gegen Wettbewerbsfähigkeit wirken. Mit dem billigen Forint setzt die Orbán-Regierung den Hebel bei den Arbeitskosten an, um im internationalen Wettstreit zu punkten, tief in die Volkswirtschaft integrierte Zuliefererketten – sozusagen als Mitbringsel der vielen angesiedelten Multis – gibt es dennoch nicht.
Und ob Orbán und Matolcsy im Ernst daran glauben, dass die mit Milliarden ausstaffierten Oligarchen wie Mészáros, Vajna & Co. imstande wären, effizient wirtschaftende Betriebe aufzubauen? Das sind Leute, die staatliches Ackerland bar jeden Know-hows aufkaufen, nur um die EU-Fördergelder abzugreifen. Leute, die sogar noch fürs Casinogeschäft – eigentlich eine Lizenz fürs Gelddrucken – staatliche Beihilfen benötigen. In der wertschöpfenden Industrie lassen sich die Oligarchen ohnehin nicht blicken.
Sowas war in meiner Schulzeit Aktuell,als es noch keine PC,s gab.Alles wurde noch mit dem Kopf und nicht mit dem Hinter gerechnet.Es fehlt noch Goofie undDonald Duck.