Nach der Finanzkrise von 2008 stellt sich die Grundsatzfrage, ob die vorherrschende Vorstellung vom Wirtschaften dazu verleitet hat, dass an der Realität vorbeigewirtschaftet wurde. Gibt es Ansätze, die helfen können, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden? Es ist von einem Paradigmenwechsel die Rede, der den Mensch wieder in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens rückt.
’A Blueprint for Better Business’ ist eine solche Initiative in Großbritannien. Firmen wie Unilever und Vodafone sind bereits an Bord. Ihren Ursprung hat diese Initiative in einer ungewöhnlichen Anfrage aus der Finanzwirtschaft, gerichtet an den Erzbischof von Westminster, er möge Alternative aufzeigen. Dieser hatte Gier als den Grund der Finanzkrise genannt, die treffendste Analyse nach Ansicht führender Wirtschaftsexperten, inklusive eines der Vizepräsidenten von Goldman Sachs.
Verteilung der Profite nach neuen Aspekten
Die Sozial-Enzykliken der Katholischen Kirche bilden das intellektuelle Rückgrat dieser Bewegung, die von Schwester Helen Alford, Professorin am Angelikum in Rom, auf der zweitägigen KETEG-Konferenz „Diesseits und Jenseits von Geld-Finanzwirtschaft im Spiel von Moral” vorgestellt wurde. Helen Alford ist Diplomingenieurin für Maschinenbau und hat für Firmen wie Michelin und British Aerospace gearbeitet, bevor sie in den Dominikanerorden eingetreten ist. Sie weiß, dass die Soziallehre und die Moraltheologie der Kirche aktuell sind, aber für Führungskräfte in deren eigene Sprache umgesetzt werden müssen. In Diagrammen werden Gedanken, die auch in den Weisheitslehren anderer Religionen verankert sind, lebendig. Führungskräfte sind begeistert, da sie neue Dimensionen des Wirtschaftens entdecken, die sich in die Praxis umsetzen lassen, den Unternehmen eine neue Dynamik geben und die sich dann oft in höheren Profiten ausdrücken, deren Verteilung jedoch nach neuen Aspekten erfolgt. Die Veranstaltung fand vor vollem Haus im Festsaal des Neuen Rathauses von Budapest statt. Eingeladen hatte die Stiftung KETEG – Forschungsinstitut für Oikonomie. KETEG ist der Name eines Aufbaustudiums, das seit 2010 existiert und sowohl an der Corvinus-Universitát als auch an der Sapientia-Hochschule angeboten wird. Es beschäftigt sich mit der Relevanz der christlichen Soziallehre in der Wirtschaft und wird derzeit von 175 Studenten belegt. Sprecher aus dem In- und Ausland waren vertreten. Um nur einige zu nennen: Charles Clark, MA, Ph.D., St. John’s University, New York; Dr. Paul Dembinski, Professor der Universität Freiburg; Dr. Ádám Balog, Vorstandsvorsitzender der MKB Bank, György Barcza, Generaldirektor der Zentrale für Staatsschuldenverwaltung (ÁKK); István Fodor, ehemaliger Direktor von Ericsson Ungarn; David Lutz, Ph.D., Holy Cross College, Indiana; John D. Mueller, Ethics and Public Policy Center, Washington DC. Dr. Laura Sarolta Baritz OP, die geistige Urheberin des KETEG-Programmes, setzte in ihrem Einführungsvortrag unter dem Titel „Geld – Diener der Diener“ den Grundton der Konferenz. Die Erkenntnisse der Motivationsforschung bestätigen, was schon die Scholastiker vor mehr als 700 Jahren wussten: äußere Motivationsanreize wie Belohnung und Bestrafung wirken weit weniger effektiv auf den Menschen als seine eigene innere Motivation. Die innerste Motivation des Menschen aber ist sein Wunsch, glücklich zu sein. Bei genauerer Betrachtung ist es also nicht Geld, das glücklich macht, sondern das, was Geld kaufen kann. Sobald der Mensch jedoch, die Ressourcen für sein materielles Überleben erwirtschaftet hat, zeigt sich eine Dimension, die von der klassischen und neoklassischen Wirtschaftstheorie vernachlässigt wird. Der Mensch ist kein isolierter Homo Ökonomikus, sondern ein soziales Wesen. Glück und Zufriedenheit des Menschen sind von der Qualität seiner sozialen Interaktionen abhängig. In der Wertehierarchie erscheinen Geld und Profit damit auf der Ebene des nützlichen Guten, eingebettet in eine höhere Dimension des moralischen Guten, das Werte wie Vertrauen, Respekt und Solidarität einschließt. Beide Dimensionen erhalten ihre Dynamik durch die Ausrichtung auf ein Endziel, das im Rahmen der Konferenz als Allgemeingut benannt wurde.
Firmen mit einem Ziel jenseits von Profitmaximierung machen mehr Profit
Professorin Helen Alford verwies auf einen Artikel in der Financial Times vom 24. Januar diesen Jahres, der den Titel trägt: „Firmen mit einem Ziel jenseits von Profitmaximierung tendieren dazu, mehr Geld zu machen.“ Was in der Geschäftswelt als Paradox gilt, wurde bereits von Peter Drucker, dem Vater der modernen Managementtheorie, beschrieben. Seine Vision von Unternehmen als Raum, um kreative Gemeinschaften zu schaffen, hat sich nach seiner eigenen Einschätzung jedoch als Illusion erwiesen. Im Geiste des vorherrschenden Paradigmas vom profitorientiertem Unternehmen wurden seine Ideen zwar aufgegriffen und benutzt, aber letztendlich ihres Sinnes beraubt. Professorin Alford wies darauf hin, dass es besonderer Anstrengungen bedarf, diesen Aushöhlungstendenzen entgegenzuwirken. Professor Lutz legte die Ideen von Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin dar, die für das westliche Abendland bis in das 18. Jahrhundert das vorherrschende Menschenbild prägten, nämlich das einer rationalen, über einen freien Willen verfügenden Person, deren Würde darin besteht, dass sie sich für das Gute entscheiden kann. Ein tugendhaftes, in einem gesellschaftlichen Kontext gelebtes Leben stelle wiederum die Quelle von dauerhaftem Glück und Zufriedenheit dar. Nicht alle Aktivitäten des Wirtschaftens sind von Eigennutz motiviert Die klassische Wirtschaftstheorie von Adam Smith ist nach Ansicht von John D. Mueller eine Art Wasserscheide. Smith sieht den Menschen als ein von Eigennutz angetriebenes Wesen, wobei er dennoch darauf vertraut, dass das freie Spiel der von Eigennutz mobilisierten Kräfte letztendlich zuverlässiger zum Wohle aller beiträgt als die Intervention eines Nationalstaates. Die klassische wie die neoklassische Wirtschaftstheorie vernachlässigen einen wichtigen Aspekt des Wirtschaftens, nämlich den der Verteilung von Gütern und Leistungen ohne Gegenleistung. Diese wird nicht von anonymen Kräften und nicht von Eigennutz gesteuert, sondern stellt Präferenzen dar, die sich entweder als Geschenk im positiven Sinn, oder als Diebstahl oder Zerstörung von Werten im negativen Sinn ausdrücken. György Barcza von der ÁKK hält die Frage der Verteilung ebenfalls für einen wichtigen, aber vernachlässigten Aspekt. Während in den letzten 500 Jahren durchschnittlich ein Wachstum von jährlich einem Prozent erzielt wurde, war das Wachstum in der Nachkriegszeit mit durchschnittlich drei Prozent ungewöhnlich hoch. Deshalb war die Frage der Verteilung bis 2008 weniger brisant. An diesem Wachstum hatte jedoch die Staatsverschuldung einen immer größeren Anteil. Das Mehreinkommen einer Generation stellt eine Belastung für die zukünftigen Generationen da. Dies wirft wiederum die Frage der Nachhaltigkeit auf. Bei der Verwaltung dieser Schulden hat sich gezeigt, dass Länder, die sich aus inländischen Quellen finanzieren weniger krisenanfällig sind. Die Frage der Gerechtigkeit trifft auch andere Bereiche, nämlich wenn es um Anreize für die Wirtschaft oder die Grundversorgung der Bevölkerung geht. Hier gibt es ein Spannungsfeld zwischen der Verteilung nach Leistung und der Verteilung nach Bedürftigkeit. Leistungen ohne Gegenleistung verführen zur Verschwendung. Schlechte Antworten auf diese Fragen aus dem 19. Jahrhunderts haben zu Diktaturen im 20. Jahrhundert geführt. István Fodor sieht in der Ausbildung von verantwortungsbewussten Führungskräften und kreativen Arbeitskräften die größte Herausforderung für die Zukunft. Im Moment stehen 370 Millionen gut bezahlten Bürgern in Europa, Nordamerika und Japan 1,3 Milliarden unterbezahlte und flexible Menschen gegenüber, die durch den Fortschritt in der Informationstechnologie durchaus über den Lebensstandard in den Industriestaaten informiert sind und an diesem teilhaben möchten. Dies schafft ungeheure Spannungen und führt zu Migrationsbewegungen. Profitorientierung verschärfen das Lohngefälle und Unterschiede im Lebensstandard. Dieser Aspekt der Globalisierung muss gezähmt werden, während der mit der Globalisierung einhergehende, intensive und stimulierend auf Innovationen wirkende Wissensaustausch gefördert werden sollte. Da die Wirtschafts- und Finanzkrise von systemischer Natur ist, bietet sich nach Meinung von Professor Dembinski die Chance, eine Antwort auf die Frage einzufordern, ob und wie Wirtschaft und Gesellschaft miteinander ausgesöhnt werden können. Weil es jedoch dafür keine fertigen Konzepte gibt, müssen Politiker in ihrer Diagnose einen kühlen Kopf bewahren und brauchen ungewöhnliche Energie, wenn sie sich an die Umsetzung auch unorthodoxer Strategien machen. Diese Lösungen müssen das Allgemeinwohl zum Ziel haben und von der Würde des Menschen ausgehen.