
Kardinal-Primas József Mindszenty: „Vertreibung und Enteignung können
keineswegs menschlich und christlich genannt werden.“
Blindwütige Magyaromanie
Es gab also lange vor der tatsächlichen Vertreibung in literarisch-politischen Zirkeln diskutierte Pläne zur Um- oder Aussiedlung. Blindwütige Magyaromanie herrschte in den Reihen der Nationalen Bauernpartei. Der erwähnte Imre Kovács brüstete sich: „Wir waren es, die in der Schwaben-Frage die radikalsten Töne angeschlagen haben. In den tieferen Schichten aller ungarischen Probleme steckte schon immer die Schwaben-Frage.“ Zu deren Erörterung berief Ferenc Erdei, Führer der Bauernpartei, zum 14. Mai 1945 eine interfraktionelle Sitzung der Spitzen der die provisorische Regierung bildenden Parteien ein. Innenminister István Bibó widerriet kollektivem Vorgehen und wandte sich gegen eigenwillige, überdies ungesetzliche Aktionen wie jene des György Bodor. Dieser rühmte sich seiner Taten als (selbsternannter) Regierungskommissar: „Schloß Apponyi in Lengyel haben wir zum KZ ausgerufen“; mit Wissen Erdeis hatte er zwischen 25. und 29. April in der Branau (Komitat Baranya) mehr als 12.000 Bewohner rein deutscher Ortschaften aus Häusern und Höfen verjagen und im Internierungslager Lengyel (Lendl) auf freiem Feld hinter Stacheldraht kampieren lassen, bis sie später außer Landes gebracht wurden. Die Behausungen der Internierten erhielten vorwiegend Angehörige zweier ungarischer Volksgruppen, der Székler Csángós, die in die Vojvodina sowie in die Batschka umgesiedelt worden waren und gegen Kriegsende vor Titos Partisanen fliehen mussten. Die Geschehnisse um das Lager Lengyel waren sozusagen Probelauf für die folgende Kollektivbestrafung der „Schwaben“. Bibó gelang es indes trotz seines mutigen Urteils über den Volksbund – „viele traten ihm einfach darum bei, weil sie selbstbewusste Deutsche waren und sich nicht assimilieren lassen wollten“ – und trotz seiner Denkschrift wider deren Vertreibung nicht, deren Schicksal zu mildern. Aus Protest gegen die Zwangsaussiedlung trat er von seinem Posten als Innenminister zurück, auf dem ihm Ende 1945 Erdei folgte.
Willkommene Enteignungsmaßnahme Bodenreform
So war am 17. März die Verordnung 600/1945 über die von Imre Nagy (Landwirtschafts-, später Innenminister; 1956 als Regierungschef Idol der Aufständischen, sodann interniert und hingerichtet, heute einer der Nationalhelden) entworfene Bodenreform erlassen worden. Sie sah die Enteignung aller „faschistischen Kräfte“ vor. Betroffen waren davon neben den Pfeilkreuzlern auch die Mitglieder des als „nationalsozialistische Organisation“ gebrandmarkten Volksbunds. Deren Kollektivbestrafung fußte auf der „Verordnung über die Volksgerichtsbarkeit“ vom 27. April 1945, der zufolge in die Liste derer, die ein „volksfeindliches Verbrechen“ begangen haben sollten, aufzunehmen war, wer, „ohne dass ihm gegenüber Zwang ausgeübt wurde, als Mitglied in den durch die Deutschen in Ungarn gegründeten Volksbund eingetreten ist“. Darauf wiederum gründete die am 30. Juni 1945 erlassene Regierungsverordnung 3820 betreffend „Überprüfung der Treue zur Nation“. Sie lieferte die Handhabe zur Entrechtung, Enteignung sowie Aburteilung und kategorisierte: nach „Volksbund“- respektive „Pfleilkreuzler-Führern“ sowie „Angehörigen der Waffen-SS“, nach „einfacher Mitgliedschaft bei Volksbund und Pfeilkreuzlern“ sowie nach „Nicht-Mitgliedern und Abseitsstehenden, die keine vaterländische Gesinnung zeigten“. Dem am 10. Mai 1945 eigens eingerichteten „Volkswohlfahrtsamt“ war aufgegeben, „Aufgaben im Zusammenhang mit der Aussiedlung der faschistischen Deutschen“ zu übernehmen.
Kollektivverantwortung?
Innenminister Erdei plädierte für eine getarnte Lösung: Grad der Schuld und Personenkreis seien „so auszuweiten, dass praktisch doch der größte Teil der Deutschen ausgesiedelt werden könnte“. Außenminister János Gyöngyösi von der Kleinlandwirte-Partei warf ein, die Vertretung der Sowjetunion habe „auf das Entschiedenste erklärt, dass sie die Frage der Deutschen als internationale behandeln“ wolle. Zur Vorsicht riet der Sozialdemokrat Árpád Szakasits: Die Frage der Kollektivverantwortung „könnte auch gegenüber dem Ungarntum aufgeworfen werden“. Dagegen stellte der Kommunist Rákosi eine mögliche Verknüpfung mit den in der Tschechoslowakei von Vertreibung bedrohten Ungarn in Abrede, „besonders, wenn wir festlegen, dass wir sie nicht als Deutsche, sondern als Faschisten verfolgen“. Zoltán Tildy von der Kleinlandwirte-Partei befürwortete die Aussiedlung der Volksbündler in Gebiete, von wo aus sie nicht nach Ungarn hineinwirken können sollten. Und fügte hinzu: „An das schwäbische Vermögen müssen wir über die Bodenreform herankommen.“ Unterrichtsminister Géza Teleki, Sohn des früheren Regierungschefs, und Vilmos Zentai (ursprünglicher deutscher Familienname: Zuschlag), Sozialdemokrat aus Pécs (Fünfkirchen), beurteilten den von Kovács unterbreiteten Vorschlag, „die Unbelasteten zum freiwilligen Weggang zu bewegen“ skeptisch. Teleki befand: „Ich halte die magyarische Rasse für gesund genug, um mit diesem Rest von Deutschen fertig zu werden, das heißt, sie ins Ungarntum einzuschmelzen. Die Volksbündler sollten wir in Arbeitslagern für uns nutzbar machen, die Tüchtigeren würde ich auf karge Böden setzen, wo sie infolge ihrer hohen Arbeitskultur noch etwas für uns herauswirtschafteten. Die Zersiedlung der Schwaben ist notwendig, und ich glaube, sie gehen in zehn bis zwanzig Jahren im Ungarntum auf.“ Kovács widersprach: Die, die endgültig blieben, müssten in geschlossene Siedlungen, damit habe man sie besser unter Kontrolle.
„Nationale Homogenisierung“
Aus den von Erdei in der folgenden Regierungssitzung vorgetragenen Ergebnissen, in deren Sinn sodann Gyöngyösi mit Woroschilow die „Schwaben-Frage“ erörterte, resultierte schließlich die am 26. Mai formell an die Sowjetunion gerichtete Note: „Die ungarische Regierung ist zu dem Entschluss gelangt, dass es notwendig ist, jene Deutschen, die die Sache Ungarns verrieten und in den Dienst Hitlers traten, aus dem Lande zu entfernen, weil nur auf diese Weise sicherzustellen ist, dass der deutsche Geist und die deutsche Unterdrückung nicht mehr darin Herr werden.“ Sie ersuche die Sowjetunion um ihr Einverständnis, die zu entfernenden Deutschen – 200.000 bis 250.000 an der Zahl – nach Deutschland auszusiedeln. Neben der von den tonangebenden Parteien der Regierungskoalition verfolgten nationalen Homogenisierung, die bruchlos an die Tradition forcierter Magyarisierungspolitik seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts anknüpfte, traten die Sorge und Obhutspflicht für die aus den Nachbarländern einströmenden ethnischen Ungarn als zweites, schließlich die Bodenreform als drittes Vertreibungsmotiv. Dabei deckten sich Interessen der Nationalen mit den Intentionen von Sozialdemokraten und vor allem Kommunisten. Imre Nagy tat kund, die Bodenreform entspreche „der Auffassung sämtlicher demokratischer Parteien“, wenngleich er hinzufügte, sie stütze sich „in erster Linie auf den Entwurf der Bauernpartei“, wonach „der Grundbesitz von Volksverrätern, Kollaborateuren, Pfeilkreuzlern und Angehörigen der deutschen ,fünften Kolonne‘ konfisziert“ werde. Großgrundbesitz von mehr als 100 Joch (56 Hektar) – sei er privat, kirchlich oder staatlich – werde „aufgelöst und an Millionen von Kleinbauern und landlose Agrarproletarier verteilt“.
Platz für Magyaren
In Ungarn, das sich infolge des Kriegsergebnisses wieder auf Trianon-Größe von 1920 gestutzt sah – in den Wiener Schiedssprüchen 1938 und 1940 hatte es Teile der damals verlorenen Gebiete zurückerhalten – , war auch Platz zu schaffen für Magyaren aus Siebenbürgen, aus der Karpatoukraine, der Moldau, aus der Batschka sowie der Vojvodina und nicht zuletzt auch aus der Slowakei. Zwar sah das am 27. Februar 1946 unterzeichnete „Abkommen über Bevölkerungsaustausch“ vor, dass Prag und Preßburg, wo die Beneš-Dekrete nicht nur für die Sudetendeutschen, sondern auch für die Magyaren galten, nur so viele austreiben sollten, wie Angehörige der slowakischen Minderheit Ungarn verließen. Infolgedessen gingen 60.000 ethnische Slowaken vertragsgemäß aus Ungarn fort, während 90.000 Magyaren aus der Slowakei dorthin transferiert wurden. Hatte noch am 17. Juni das Parlament in Preßburg die Ungarn zur „Rückkehr ins slowakische Volk“ aufgefordert, so wurde am 19. November 1946 mit der Deportation der ungarischen Bevölkerung aus der südwestslowakischen Großen-Schütt-Insel in die von Deutschen gesäuberten Sudetengebiete begonnen, die bis zum 25. Februar 1947 anhielt. Die Um- und Aussiedlungsmaßnahmen zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn, die ungefähr 200.000 Menschen entwurzelten, endeten erst 1948, dem Jahr der totalen Machtübernahme der Kommunisten in beiden Staaten.
„Unchristliche Akte“
Anders als in der Tschechoslowakei und in Polen wurde die Vertreibung in Ungarn nicht durchweg von Zustimmung begleitet. So erhob Kardinal-Primas József Mindszenty – eigentlich Josef Pehm, Familienname 1941 magyarisiert – seine Stimme: „Vertreibung und Enteignung können keineswegs menschlich und christlich genannt werden.“ Bekannt geworden ist auch der „Aufruf der 26 Aufrechten“. An die Regierung gerichtet, mahnten sie in der Ausgabe der Zeitung Magyar Nemzet vom 18. Januar 1946, im Umgang mit den Deutschen die Menschenrechte zu wahren: „Heimat, Umgebung, Dorf, Haus, Ackerland, Brot, Wasser können von niemandem auf humane Weise weggenommen werden.“ Zu den Unterzeichnern gehörte auch Béla Zsolt; der Gefängnis, Getto und Arbeitslager entronnene jüdische Schriftsteller wollte damit ein Zeichen setzen. Bewirkt hat der Aufruf nichts.

Premier Orbán am 19. Januar diesen Jahres: „Im Namen der ungarischen Regierung wünsche ich unseren
in Ungarn lebenden deutschen Mitbürgern, dass sie das Andenken ihrer Ahnen bewahren und ihre Kinder
als in der deutschen Kultur aufgewachsene gute Ungarn erziehen sollen.“
Gedenktag – nur in Ungarn
Was während der kommunistischen Ära in Ungarn tabu war, dafür hat sich sein erstes frei gewähltes Parlament 1990 in aller Form entschuldigt. Das Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmungen, auf denen die Vertreibung fußte. Andernorts steht derlei weiter aus, ja trotz Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind in der Tschechischen Republik sowie in der Slowakei die Beneš-Dekrete und in Slowenien die Avnoj-Bestimmungen nach wie vor Bestandteile der geltenden Rechtsordnungen. Seit 1993 ist in Ungarn ein Minderheitengesetz in Kraft; alle Minoritäten, so auch die deutsche, verfügen seit 1995 über Selbstverwaltungen. Laut Volkszählung von 2011 bekennen sich knapp 186.000 Personen zur deutschen Nationalität (1,9% der Gesamtbevölkerung); 92.000 gaben Deutsch als ihre Muttersprache an. 2006 wurde das „Landesdenkmal der Vertreibung“ auf dem Alten Friedhof zu Budaörs eingeweiht. Dort legte Viktor Orbán, der weithin im Westen (auch in Deutschland von der PC-korrekten politischen Klasse von Linken, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen bis hin zu manchen Christdemokraten) verhasste ungarische Ministerpräsident, aus Anlass des von seiner Regierung vor zwei Jahren eingeführten „Gedenktags für die Vertreibung der Ungarndeutschen“ (den es in keinem anderen ehemaligen Vertreiberstaat gibt!) am 19. Januar 2016 höchstselbst einen Kranz nieder. Mit den Worten „Im Namen der ungarischen Regierung wünsche ich unseren in Ungarn lebenden deutschen Mitbürgern, dass sie das Andenken ihrer Ahnen bewahren und ihre Kinder als in der deutschen Kultur aufgewachsene gute Ungarn erziehen sollen. Ehrfurcht den Opfern. Gebührende Erinnerung an die Leidenden. Ein Verneigen vor der Erinnerung an die Unschuldigen. Anerkennung und Ruhm jenen, die den in Not geratenen Ungarndeutschen geholfen hatten. Alles Gute unseren mit uns zusammenlebenden deutschen Mitbürgern“, schloss er seine Ansprache – in Budaörs (Wudersch), wo vor siebzig Jahren alles begonnen hatte.
Die Vertreibung war ein schweres Verbrechen. Leider wird das nur in Ungarn richtig gewürdigt. In Deutschland und anderen Verbrecherstaaten Osteuropas werden die Deutschen immer noch als Nazis beschimpft und nicht als Menschen angesehen. Schade um Europa.
Frank:
es gibt eine antideutsche Stimmung in Polen, Serbien und Tschechien, ansonsten sieht Otto bzw. Bolek Normalverbrauer die Deutschen als Volk wie jedes andere an. In den meisten Osteuropäischen Ländern ist es die deutsche Politik, die ständig die Nazikeule schwingt und dies aus deutsch-innenpolitischen Gründen. Damit werden dann natürlich Begehrlichkeiten nach deutschen „Entschädigungen“ geweckt.
Als zB nach der Öffnung Albaniens die deutsche Entschuldigungritis über die Albaner hereinbrach, wussten diese damit zunächst nichts anzufangen, da der II. Weltkrieg in Albanien ein Kampf von A) Albanern gegen Italiener und B) von Albanern gegen Albaner war. Die 1943 einmarschierenden schwachen deutschen Verbände sollten lediglich die abgefallenen Italiener entwaffnen. Die stärkste albanische nationalistische Partisanenbewegung (Bali Kombetar), welche gegen Mussolini gekämpft hatte, verbündete sich sogar mit der Wehrmacht. Er später wurde den Albanern klargemacht, dass man das schlechte Gewissen der Deutschen in Bares ummünzen kann.
Die Vertreibung der Ungarndeutschen war nicht nur ein menschliches Verbrechen, sondern staatspolitisch einfach nur dumm. Wo wäre Ungarn heute, wenn es noch eine schwäbische Minderheit von einer halben Million geben würden, von Pest über Pécs bis Szeged. Das Land wäre nach der Wende nur so gestürmt worden von deutschen, österreichischen und schweizerischen Firmen, die hier Fabriken, Büros und Standorte eröffnet hätten. Heute ist es aber so, dass man in Siebenbürgen leichter Rumänen findet, die wirklich sehr gut Deutsch sprechen, als in Ungarn. Viele Firmen haben auch ihre deutschsprachiges Telefon-Callcenter nach Bratislava in der Slowakei ausgelagert. Das ist doch paradox. Die Madjaren leben seit 1000 Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft mit- und nebeneinander mit deutschsprachigen Menschen. Das wird sich auch nie ändern. Unsere Geschichte ist so eng miteinander verwoben, dass es gar nicht enger geht. So lange es Madjaren in Pannonien gibt, werden ihre westlichen Nachbarn deutschsprachige Menschen sein und das ist der größte Wirtschaftsraum in Europa. Was haben sich die Entscheidungsträger damals nur gedacht? Was für Trottel waren das eigentlich?