Die einheimische Bevölkerung ist zu einem wichtigen Geldgeber des ungarischen Staates geworden. In Zeiten purzelnder Zinsen eigentlich ein schwieriges Unterfangen. Lesen Sie eine weitere unglaubliche ungarische Erfolgsgeschichte.
Im Januar haben Bürger wieder für knapp 190 Mrd. Forint (über 600 Mio. Euro) Staatsanleihen gekauft. Der Chef der Zentrale zur Verwaltung der Auslandsschulden (ÁKK), György Barcza, ist begeistert, denn erstmals befinden sich die Staatsschulden mehrheitlich in einheimischen Händen. Seine Euphorie kennt momentan keine Grenzen, denn der Februar wird – nach bisherigem Stand – noch stärker als der Januar ausfallen. Dabei knackten die Bürger gerade erst einen Rekord, denn binnen eines Monats hatten sie sich so sehr wie noch nie zuvor mit Staatspapieren eingedeckt. Die ÁKK hatte in ihrem Finanzierungsplan für 2016 bescheiden eine Veräußerung von Anleihen an die Bevölkerung im Volumen von 500 Mrd. Forint angesetzt. Bescheiden deshalb, weil der Markt schon seit einigen Jahren spektakulär wächst.
In das Jahr 2013 ging die Schuldenzentrale mit einem Bestand an Staatsanleihen bei der Bevölkerung von 1.000 Mrd. Forint. Anderthalb Jahre später war dieses Volumen verdoppelt. Die dritten tausend Milliarden wurden dann bereits in nur wenig mehr als zwölf Monaten geknackt. Ende Januar verwies die ÁKK auf exakt 3.707 Mrd. Forint; nach dem jetzigen Trend zu urteilen, werden wir also Mitte März die Schwelle zu 4.000 Mrd. Forint überschreiten. In kaum mehr als drei Jahren wird sich der Bestand somit vervierfacht haben. Mitte März wird die Schuldenzentrale ihren Jahresplan als erfüllt abhaken können. Wenn ein Jahresziel nach zweieinhalb Monaten geschafft ist, darf man das durchaus als spektakulär bezeichnen.
Stabilität wird geradezu einbetoniert
Barcza will jedenfalls mit einer Plankorrektur auf die sensationelle Entwicklung reagieren. Und er kalkulierte schon einmal: Sollte die intensive Nachfrage nach den Staatsanleihen im Kreis der Bevölkerung anhalten, könnte der so verschmähte Anteil von Fremdwährungen an den Staatsschulden bis Jahresende auf 27 Prozent sinken. Das würde eine Verbesserung im Jahresverlauf um fünf Prozentpunkte bedeuten, nachdem Ende 2015 ein Devisenanteil von 32 Prozent registriert worden war. Bei einem stetigen Abwärtstrend in den Jahren 2017 und 2018 fiebert der Chef der Schuldenzentrale schließlich und endlich dem Tag entgegen, da der niedrigste Devisenanteil an den ungarischen Staatsschulden seit der Wende erreicht sein wird. Die Analysten von Morgan Stanley haben Ungarn im Kreis der aufstrebenden Märkte gerade erst die größten Fortschritte bei der Stabilisierung seiner Finanzen seit der Weltwirtschaftskrise 2008 bescheinigt – mit dem von Barcza skizzierten Szenario wird die neue Stabilität geradezu einbetoniert.
Warum bei der ÁKK für dieses Jahr „nur“ 500 Mrd. Forint als Bestandszuwachs veranschlagt wurden, hat aber noch einen weiteren Grund, der nichts mit Bescheidenheit zu tun hat. Im deflationären Umfeld waren die Erträge für jede Art von Geldanlagen zuletzt dramatisch gepurzelt. Die Ungarische Nationalbank (MNB) hat den Leitzins auf ein Rekordtief von 1,35 Prozent gesenkt, ohne geopolitische Turbulenzen würde dieser bis auf ein Prozent abtauchen können. Wie soll man den Bürgern aber Anlageformen schmackhaft machen, wenn die Zinsen im Keller sind?
Zinsen im Keller, was nun?
Bei den heute im Umlauf befindlichen Staatspapieren für Privatpersonen sehen wir einen Spitzenzinssatz von 4,07 Prozent. Der wird auf zwei Serien der sogenannten Bonus-Staatsanleihen gezahlt, die im vorigen Mai mit fünfjähriger Laufzeit begeben wurden. Bereits zwei Monate später konnten Anleihen der gleichen Konstruktion nur noch für 3,08-3,58 Prozent gezeichnet werden. Unter den fünfjährigen Anleihen, die auch momentan gezeichnet werden können, sind 3,5 Prozent das höchste der Gefühle. Für verschiedene Schatzbriefe, die kurze Laufzeiten von einem Monat bis zu zwölf Monaten aufweisen, sind aktuell 2,25-2,75 Prozent drin.
Wenn man nun noch berücksichtigt, dass auch Ungarn seine Zinsabschlagsteuer (zuzüglich Gesundheitsabgabe von 6 Prozent auf Kapitalerträge, sofern diese nicht aus Diskontschatzbriefen herrühren) hat und bei allen (legitimen) Geldbewegungen eine Transaktionssteuer von drei Tausendsteln greift, stellt sich allmählich die Frage, für wen sich solche Anlagen überhaupt rechnen. Bei einem Kapitaleinsatz von 1 Mio. Forint (gut 3.000 Euro) bringen Schatzbriefe derzeit auf ein Jahr hochgerechnet netto weniger als 20.000 Forint Ertrag, mehrjährige Anleihen ungefähr netto 25.000-30.000 Forint. Die Institution von Freibeträgen gibt es in Ungarn nicht einmal bei Mindestlohn oder Pfändungen, warum sollte diese ausgerechnet bei Sparern gelten, die offensichtlich nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Einen Anreiz hat der Gesetzgeber für Langzeitsparer aber doch geschaffen, denn ab Laufzeiten von drei Jahren sinkt die Zinsabschlagsteuer auf 10 Prozent und erlischt nach fünf Jahren ganz.
Ein Sechstel der Gesamtschuld
Gegen den allgemeinen Trend sinkender Erträge dürfte derzeit allein die Euroanleihe PEMÁK steuern. Diese dreijährige Staatsanleihe ist nämlich an die Inflationsrate in der Eurozone gekoppelt, somit also variabel verzinst. Für verschiedene, 2015 aufgelegte Serien zahlte die Schuldenzentrale 2,1-2,5 Prozent an Zinsen, die Zinsprämie belief sich bei der letzten Begebung Ende November auf zwei Prozentpunkte. Die Inflation wird sich laut der Winterprognose der Europäischen Kommission in diesem Jahr im Mittel um 0,5 Prozent bewegen und 2017 weiter auf 1,5 Prozent beschleunigen. Sollte die ÁKK die Zinsprämie beibehalten, wären also mittelfristig wieder Erträge von über drei Prozent machbar. In den PEMÁK-Konstruktionen haben ungarische Privatpersonen umgerechnet mehr als 550 Mrd. Forint angelegt, auch das ist kein Pappenstiel.
Wenn man sämtliche Anlageformen für private Anleger zusammenfasst, finanzieren diese heute somit 17 Prozent der Gesamtschulden des Zentralhaushaltes und sogar 22 Prozent der in Forint denominierten Schulden. Der monatliche Nettozufluss privater einheimischer Anleger in Staatspapiere übersteigt mittlerweile sogar den Zustrom an Fördermitteln aus Brüssel; dabei hatte Letzterer mit nahezu 200 Mrd. Forint pro Monat im vergangenen Jahr ebenfalls einen historischen Rekord markiert.
Versimplifiziert könnte man sich die Sache so vorstellen, dass die EU an Ungarn am jeweiligen monatlichen „Zahltag“ 500-600 Mio. Euro überweist, die in Forint konvertiert unter das Volk gestreut werden. Dieses Geld kommt selbstverständlich überwiegend Unternehmen und öffentlichen Trägern zugute, ebenso fließen üppige Beträge direkt an Oligarchen (z. B. in Form von Agrarbeihilfen) und andere Nutznießer. Wer gerade nicht eifrig am Investieren oder Konsumieren ist, der legt sein Geld in Staatspapiere an – im Januar allein taten das Bürger im Volumen von über 600 Mio. Euro, Tendenz steigend. Neben den oberen Zehntausend scheinen auch immer mehr Angehörige der gehobenen Mittelschicht ein Arrangement mit dem Staat einzugehen. Anders lässt sich nicht erklären, was da für gigantische Beträge hin- und hergeschoben werden. Aber natürlich wissen wir, dass die Wirklichkeit bei weitem komplexer ist, als dass sich diese so simpel darstellen ließe.
Man kann der Fidesz-Regierung einiges Miese vorwerfen, insbesonde ihr Versagen im Gesundheits- und Bildungswesen – jedoch bei der Konsolidierung der staatlichen Finanzen hat sie das richtige Händchen. Die gewaltige Krise des Staates, die die neolieberlinkssozailistischen -Liberalen durch ihren beinahe-Staatsbankrott bis 2010 zu verantworten haben, ist 2016 eindeutig überwunden. Man muss auch mal ein paar Fakten akzeptieren. Ansonsten: Der Aufbau einer Opposition, die den Namenverdient ist überfällig.
Orbán hat den richtigen Riecher. Wenn,s um Wirtschaft geht:
http://www.budapester.hu/2015/01/27/auf-dem-weg-zum-internationalen-bestseller/