Wie man es auch wendet, es ist schwer, für die derzeitige Haltung der Orbán-Regierung gegenüber den Schulen vernünftige Gründe zu finden. Es ist erstaunlich, wie es sich eine Regierung mit diesem nicht ganz unwichtigen Bereich der Gesellschaft so verscherzen kann! Es geht immerhin um rund 120.000 Lehrerinnen und Lehrer, die wiederum mit einem Vielfachen an Kindern und Eltern verbunden sind. Sicher jeder Ungar dürfte daher direkt oder über Pädagogen, schulpflichtige Kinder oder deren Eltern in seinem Umfeld über die Situation an den Schulen mehr oder weniger im Bilde sein.
So dürfte weithin bekannt sein, wie es etwa um die Einkommensverhältnisse der Lehrer steht, welche Probleme es mit den Schulbüchern gibt und wie sich die Qualität der Schulspeisung entwickelt hat. Auch dürfte es für die meisten kein großes Geheimnis sein, zu welcher Flickschusterei die noch immer suboptimal funktionierende Schulzentrale KLIK die Lehrer zwingt, damit es etwa bei Verbrauchsmaterialien zu keinen Engpässen kommt. Ebenso, dass sowohl Lehrer als auch Kinder über immer mehr Überlastung klagen, und speziell die Lehrer über immer größere administrative Bürden.
Vor dem Hintergrund all dieser offen zutage liegenden Defizite und Probleme wirkt die Abwiegelungstaktik der Regierung geradezu irrwitzig: „KLIK funktioniert, die Lehrer sind einfach nur ein wenig zu geldgierig und egoistisch. Die Schüler sollen sich wegen etwas mehr Schulstunden, fehlender Turnhallen und einiger weiterer Petitessen doch bitte nicht so haben! Und der ganze Trubel mit offenen Briefen und Demonstrationen ist eh nur von den politischen Gegnern ausgeheckt, ohne deren Aufstachelung der Schulalltag ganz normal und friedlich weitergehen könnte“, so ihr ungefährer Tenor.
So kann man die Situation natürlich auch sehen, nur ist das wohl kein ganz mehrheitsfähiger Standpunkt mehr. Es ist auch fraglich, wie man bei einer dermaßen abweichenden Sichtweise zu vernünftigen Verhandlungsergebnissen kommen will oder überhaupt erst einmal vernünftige Verhandlungen führen kann.
Gibt es hier jedoch keinen nachhaltigen Kompromiss, dann ist die von sehr vielen Ungarn als unbefriedigend empfundene Schulsituation ebenso wie die Themen Gesundheitswesen und Korruption bestens geeignet, spürbar an der Popularität der Regierungspartei Fidesz zu sägen. Diesem Risiko setzt Orbán momentan seine Partei aus. Warum er es eingeht, weiß nur er. Vielleicht geht er ja davon aus, dass spätestens bei der nächsten externen Bedrohung Ungarns innenpolitische Themen ohnehin wieder von der Tagesordnung verschwinden und er an das flüchtlingsgetriebene Popularitätshoch vom letzten Herbst anknüpfen kann.
Vielleicht konzentriert sich Orbán derzeit aber auch einfach so stark auf die Rettung des Abendlandes, dass ihm daneben für die Rettung der ungarischen Schulen einfach zu wenig Zeit oder gar Lust bleibt. So ist das nun einmal in Ländern mit stark zentralisierter Entscheidungsfindung. Auch Orbáns Tag hat nur 24 Stunden. Ebenso der von Superminister Balog, der nicht einmal jetzt, in dieser brenzligen Situation, die Zeit für einen Besuch auf der Schulbaustelle oder gar am Verhandlungstisch findet. So müssen halt seine Staats- und Unterstaatssekretäre an dieser heiklen Materie herumdoktern und sich nach außen erklären. Schade für die Lehrer und Schüler, gut aber zumindest für die KLIK, der so wohl noch ein längeres Leben beschieden sein wird, als ihre bisherige Leitung rechtfertigen würde.
Prinzipiell war und ist die Schulzentrale keine so schlechte Sache. Auch Firmengruppen in der freien Wirtschaft verwenden ähnliche Konstrukte, um gewisse Tätigkeiten wie Einkauf oder Personalwesen zu bündeln und so Geld zu sparen. Es reicht aber bei weitem nicht aus, eine solche Zentrale nur zu gründen, sie muss auch von kompetenten Mitarbeitern vernünftig, also im Interesse des Systems betrieben werden. Andernfalls kann die Gefahr bestehen, dass sie sich von einem Segen in einen Fluch für das System verwandelt. Die KLIK scheint einen solchen Weg zu gehen, bis sie von ihren Schöpfern eines Tages vielleicht wieder weggeKLIKt wird.
Wie auch immer sich die Situation im Bildungswesen entwickelt, einmal mehr wurde klar: Die mit einer unheimlich spitzen Hierarchie-Pyramide regierende Orbán-Regierung ist extrem effektiv, wenn es darum geht, klare und einfache Dinge umzusetzen. Sondersteuern einführen, die Wohnnebenkosten um x Prozent senken oder einen 175 km langen Grenzzaun errichten – alles kein Problem! Die Befehlskette flutscht nur so. Ganz anders ist die Situation jedoch bei eher komplexen Angelegenheiten, wo Menschen überzeugt und mitgenommen, und wo mit ihnen Kompromisse und Nachbesserungen ausgehandelt werden müssen. Hier zeigt das Entscheidungssystem Orbán ganz klar seine Schwächen. Die Zustände im Bildungswesen, aber auch im Gesundheitswesen sprechen für sich.