
Olivér Pilz: „Hinter uns steht nicht nur die Tafel, sondern Schüler, Eltern und die Kollegen“ – und spielte damit auf Premier Orbáns Aussage an, nachdem ausländische Kräfte die eigentlichen Initiatoren der Proteste seien. (BZT-Fotos: Nóra Halász)
Die Demonstration am Samstag zog rund dreißigtausend Menschen auf die Straße. Doch es waren keineswegs nur Lehrer und Eltern, die ihrem Unmut Luft machten. Vielmehr fanden sich dort auch zahlreiche weitere Bürger ein, die mit der Arbeit der Orbán-Regierung nicht zufrieden sind. Und trotzdem: Betrachtet man die Kommunikation der Regierung, scheint es so, als sei die Warnung noch immer nicht durchgedrungen.
Auf der Demonstration am Samstag sprach Frau Galló, Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes der Pädagogen (PSZ), davon, dass das ungarische Bildungswesen infolge der Regierungsmaßnahmen der vergangenen drei Jahre dem Kollaps nah sei. Deshalb weichen die Pädagogen von ihren Forderungen nicht ab, das gegenwärtige System zu reformieren und die Schulzentrale Klik aufzulösen. Die Regierung habe ein Bildungssystem geschaffen, das schlecht für die Kinder, Pädagogen, Eltern und das gesamte Land sei. Unzufrieden sei man zudem mit Scheinmaßnahmen der Regierung, die lediglich dazu dienten, die „Stimmung aufzuhellen“. Sollte die Regierung nicht bald einlenken, werde den Forderungen mit Arbeitsniederlegungen Nachdruck verliehen. Die Demonstranten skandierten unter anderem „Orbán verschwinde!“.
Verhandlungen ohne Vereinbarung
Am Freitag hatten der Streikausschuss der Pädagogen und das HR-Ministerium miteinander verhandelt, zu einer Vereinbarung war es jedoch nicht gekommen. Frau Galló hatte ihr Bedauern ausgedrückt, dass HR-Minister Balog der etwa dreistündigen Konsultation ferngeblieben war. Staatssekretär László Palkovics vertrat anschließend die Meinung, es gebe keine von den Gewerkschaften aufgeworfenen Fragen, die nicht am Pädagogen- Rundtisch verhandelt werden könnten, weshalb weitere Demonstrationen hinfällig seien. Seiner Meinung nach wurde der Pädagogen-Rundtisch genau aus dem Grund ins Leben gerufen, um die Probleme zu besprechen. Politik sollte nicht in die Schulen getragen werden. Staatssekretär Bence Rétvári lud die Beteiligten zur nächsten Runde des Pädagogen- Rundtisches ein.
In 25 Punkten fordern die aufgebrachten Pädagogen grundlegende Änderungen im Bildungssystem. So verlangen sie unter anderem die Wiederherstellung der Autonomie der Schulen, die Reduzierung des Lehrstoffes, eine Rücknahme der überbordenden Administrationsauflagen für Lehrer, die Abschaffung der Zentralisierung durch das sogenannte KLIK sowie eine Verbesserung der Finanzierung des Schulsystems. Nur eine einzige Forderung dreht sich direkt um den Lohn der Pädagogen und auch darin geht es nicht um direkte Lohnsteigerungen. Trotzdem arbeitet sich die Regierung, allen voran Premier Orbán, ausgerechnet an diesem Punkt ab, um – so sehen es Regierungskritiker – den Protest der Pädagogen unglaubwürdig zu machen und auf eine finanzielle Schiene zu schieben.
„Äußere Kräfte im Hintergrund“
Dabei sieht Regierungschef Orbán hinter dem Lehrerprotest vor allem eines: fremde Kräfte. Denn, so soll er auf der ausgelagerten Fidesz-Fraktionssitzung in Lillafüred hinter verschlossenen Türen gesagt haben, es sei unglaubwürdig, dass der Miskolcer Co-Rektor des Ottó-Hermán-Gymnasiums, Olivér Pilz, eines Morgens aufwacht und einen Protestbrief schreibt und zu Demonstrationen aufruft. Die linksliberale Tageszeitung Népszabadság brachte die Aussagen an die Öffentlichkeit und berief sich dabei auf mehrere Teilnehmer der Sitzung. Eben dort sprach Orbán auch davon, dass er die Lehrerproteste für weniger bedenklich als die Anti-Internetsteuer-Be wegung von 2014 halte. Diese Bemerkung fiel jedoch noch vor der Großdemonstration am Samstag. Viel hat sich im Tonfall des Regierungschefs seitdem jedoch nicht verändert.
Zahlenspiele
So sprach er in seiner ersten Wortmeldung der neuen Sitzungsperiode des Parlaments davon, dass er die Forderung nach 18 Prozent mehr Gehalt für Lehrer zwar nachvollziehen könnte, ihre Erfüllung bei der derzeitigen Haushaltslage jedoch nicht machbar sei. Allerdings ist seitens der Pädagogen an keiner Stelle jemals von einer Lohnsteigerung in der besagten Höhe die Rede gewesen.
Die Zahl ergebe sich jedoch, wenn man die Absenkung der Pflichtstunden, die von den Lehrern gefordert ist, in Zahlen umsetzt. Was die Staatssekretäre Bence Rétvári und László Palkovics auf der Pressekonferenz am Dienstag jedoch außer Acht ließen: Lehrer arbeiten nicht nur in den 26 Stunden in der Schule. Die Vor- und Nachbereitung der Stunden findet Zuhause statt. Ebenso wird nicht beachtet, dass viele Vergütungen weggefallen sind. Beispielsweise wurden bisher Lehrer, deren Schüler besonders zahlreich und erfolgreich an Lernwettbewerben teilnahmen, mit Prämien belohnt.
Auch das von Rétvári vorgebrachte Rechenbeispiel, nach dem Lehrer mit mehr als 15-jähriger Berufserfahrung mehr als 250.000 Forint netto verdienten, ist nur bedingt richtig. Denn um diese Vergütung zu erhalten, müssen die Lehrer ihre Bewertung bereits hinter sich und ihr sogenanntes Portfolio fertiggestellt haben. Unter anderem deswegen fordern die Lehrer ein sogenanntes “Karriere-Modell”, also eine Berufslaufbahn, die unabhängig von subjektiven Bewertungen auf lange Sicht mehr Einkommen sichert.
Kanzleramtschef Lázár appelliert ans Verantwortungsbewusstsein der Pädagogen
Auch Kanzleramtschef János Lázár äußerte sich noch vor der Demonstration zu der immer größer werdenden Protestbewegung. Zwar hatte HR-Minister Zoltán Balog zu einem ersten Einigungsgespräch geladen, dieser Einladung waren die aufgebrachten Pädagogen aus diversen Gründen jedoch nicht nachgekommen. Unter anderem, da sie ihre Forderungen durch die staatlich organisierte Lehrergewerkschaft nicht vertreten sahen und auch sonst das Gesprächsangebot nur als Ablenkungsmanöver vor der Demonstration betrachteten. Daraufhin rief Lázár die Pädagogen dazu auf, lieber verantwortungsbewusst zu denken, statt „Stress zu machen“, damit die „Situation der Kinder und das Niveau der Ausbildung verbessert werden können“.
Doch auch an anderer Stelle äußern sich Fidesz-Größen zu den Lehrerprotesten. So beispielsweise der ehemalige Staatssekretär für Hochschulbildung, István Klinghammer. In der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet sprach er in einem Interview davon, dass Demonstrationen vollkommen überflüssig seien und auf der Welt nichts lösen würden. Auch halte er die Forderungen der Pädagogen für überzogen. So explizit die Forderung nach weniger abzuleistenden Stunden: „Die Lehrer sagen immer, sie sind überfordert, weil sie so viel in der Schule sein müssen. Fragen Sie mal bei anderen Arbeitsstellen nach, wie viel man dort anwesend sein muss.“
„Unrasierte, herumlungernde Karohemdträger“
Besonders störend empfindet der ehemalige Staatssekretär „unrasierte, herumlungernde Karohemdträger“ unter den Pädagogen. Bei deren Anblick „geht (ihm) das Messer in der Tasche auf“, wie er selbst sagt. Dies sei dem Berufsstand des Pädagogen nicht würdig. Bei dieser Bemerkung ließ Klinghammer geflissentlich außer Acht, dass 80 Prozent der Lehrkräfte Frauen sind. Die Reaktion der Lehrer ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am Montag sammelten sich unter dem Hashtag „KlikHammer“ und „kockásing“ (kariertes Hemd) Bilder auf Facebook, auf denen Lehrer und Lehrerinnen in karierten Hemden posieren.
Auch an anderer Stelle nutzen die Pädagogen und ihre Unterstützer die Öffentlichkeit. So organisieren sich mittlerweile auch Eltern zum gemeinsamen Protest. In der Gruppe „Ich werde nicht da sein“ rufen sie dazu auf, am 29. Februar ihre Kinder aus Protest gegen die Schulpolitik und aus Solidarität mit den Lehrern nicht in die Schule zu schicken. Bis zum Redaktionsschluss hatten 3.500 Menschen ihre Teilnahme zugesagt.
Weitere Proteste geplant
Doch bereits für den kommenden Freitag ist eine erneute Solidaritätskundgebung geplant. Diesmal für István Pukli, den Rektor des Blanka-Teleki-Gymnasiums im Budapester Bezirk Zugló.. Der Pädagoge war ins Kreuzfeuer des Schulträgers Klik geraten, nachdem er in Miskolc mit seinem gesamten Lehrkörper an der ersten Protestkundgebung der dortigen Lehrkräfte teilgenommen hatte. Das Klik, so schreibt die Onlineausgabe der linksliberalen Wochenzeitung hvg, forderte per E-Mail Informationen dazu ein, unter welchen Umständen man nach Miskolc gereist sei und warum. Pukli wurde weiterhin dazu aufgefordert, binnen weniger Stunden eine schier endlose und de facto nicht erfüllbare Liste an Dokumenten einzusenden. So forderte das Klik beispielsweise das Protokoll eines Elternabends, auf dem über die Teilnahme des Lehrerkollegiums an der Demonstration gesprochen wurde.
Der Budapester Rektor wandte sich mit dem Brief an die Öffentlichkeit und an den, von den protestierenden Lehrern und Gewerkschaften gegründeten „Alternativen Bildungs-Rundtisch“, der am Dienstag dieser Woche erstmals zusammentrat. Pukli machte den Brief auch deswegen öffentlich, weil auch solche Dokumente von ihm eingefordert wurden, die es schlicht gar nicht gibt und auch nicht geben muss, schließlich werde etwa auf Elternabenden kein Protokoll geführt. Kommentatoren im Netz und auch auf oppositionellen Blogs fühlten sich bereits an Rákosi-Zeiten erinnert, in denen unliebsame Personen mittels administrativer Anforderungen gemaßregelt und schließlich entlassen wurden.
Neben der geplanten Solidaritätskundgebung beziehen aber auch Lehrer offen Stellung für Pukli. So beispielsweise die Lehrerin Zsuzsa Szalayné Tahy. In einem auf Facebook veröffentlichten Offenen Brief geht sie mit Attila Mogyorósi, dem Leiter des Zuglóer Klik hart ins Gericht. Während das Klik darüber Rechenschaft fordert, wie viele Stunden wegen der Teilnahme der Lehrer an der Miskolcer Demonstration ausgefallen sind, sollte sich das Zentrum eher mit der generell horrenden Anzahl an ausgefallenen Stunden beschäftigen.
Tahy setzt mit ihrer Kritik fort: Für Lehrer, die während des Schuljahres in Rente gehen, werden keine neuen Kollegen aufgenommen, bei langen Krankheiten werden den einspringenden Lehrern die gehaltenen Vertretungsstunden nicht bezahlt (sondern das Geld, so schreibt sie, vom Klik schlicht einbehalten). All dies sei wesentlich schwerwiegender und sollte dem Klik mehr Sorgen bereiten, als Lehrer, die für eine bessere Bildungspolitik auf die Straße gehen. Ihren Brief schließt sie mit den Worten: „Schauen Sie in den Spiegel und entscheiden Sie, ob Sie der unrühmliche Diener eines Systems sein wollen, oder jemand, der etwas für die Bildung im XIV. Bezirk tun möchte.“ Wie für die Pädagogenproteste bisher bezeichnend, ist auch hier bisher keine Antwort von offizieller Seite eingegangen.
Am Samstag konnte von „Stress machen“ seitens der Pädagogen selbst bei bestem Willen keine Rede sein. Fünf Minuten lang schwiegen die Demonstranten am Ende der Veranstaltung, standen einfach nur im prasselnden Regen da und taten auf diese Weise ihren Protest kund. Der Regierung sollte dieses Schweigen lauter in den Ohren klingen, als die auf Demos sonst üblichen Sprechchöre.