In unserer Start-up-Serie porträtieren wir erfolgreiche ungarische Firmen, die entweder noch als Jungunternehmen gelten oder als mittlerweile gestandenes Unternehmen ihren Anfang als solches hatten. Diese Woche geht es um das Team von Bookr Kids, das als eine Art E-Buchverlag und -laden Märchen auf eine ganz neue Art erfahrbar machen will.
Dass sich aus Märchen viel Positives ableiten lässt – so unter anderem der erfolgreiche Kampf von Gut gegen Böse, Klein gegen Groß, Arm gegen Reich oder der Wandel von Hässlich zu Schön – ist bekannt. Nicht umsonst erfreut sich die literarische Gattung einer langen Beliebtheit unter den Menschen: in mündlicher Form wurden sie vermutlich seit dem Mittelalter verbreitet, in schriftlicher Form ab dem 17. Jahrhundert festgehalten (die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm erschienen 1812). Angesichts der heutigen allgemeinen Digitalisierung der Gesellschaft, war es hernach keine Frage, ob Märchen die digitale Bühne betreten werden, höchstens wann.
Interaktive Märchen
In Ungarn, das ebenfalls über eine eigene und sogar sehr reiche Märchentradition verfügt, gibt es etwa auf den Webseiten der Ungarischen Elektronischen Bibliothek eine eigene Sammlung mit Märchen aus aller Welt. Doch diese besteht nur aus Texten, die online in verschiedenen Textformaten abrufbar sind. Dass man den Zugang zu und die Nutzung von Märchen auch attraktiver gestalten kann, beweist das ungarische Start-up Bookr Kids: Die gleichnamige Applikation will Kindern nicht nur beim Lesen lernen helfen, sondern zudem auch die Gedächtnisleistung und die Kreativität fördern. Denn hier kann man sich lesend durch die animierten Geschichten klicken und das Tempo bestimmen, oder sich die Texte „vorlesen“ lassen (wie bei Hörbüchern wurden hierfür bekannte Schauspieler engagiert). Zudem wurden die Märchen um interaktive Spiele bzw. Anwendungen erweitert, die den Märchengenuss um eine weitere Komponente ergänzen.
Aktuell hat man die Wahl zwischen 88 Märchen aus aller Welt, darunter sind Klassiker wie „Held János“ von Sándor Petőfi, „Rotkäppchen und der böse Wolf“ nach Charles Perrault bzw. den Brüdern Grimm, „Vuk“ von István Fekete, „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry; aber auch moderne Werke wie eine Erzählung mit Figuren aus der „Angry Birds“-Computerspielreihe. Zudem sind sogar einige Titel auf anderen Sprachen als Ungarisch verfügbar, etwa „Die drei Hasen“ auf Deutsch oder „Vuk“ auf Englisch. Es sollen aber natürlich noch weitere in allen drei Sprachen folgen (geplant ist ein neues Märchen wöchentlich).
Mobilgeräte mit wertvollen Inhalten füllen
Die Gründer von Bookr Kids sind Dorka Horváth und Dániel Karányi. Horváth wurde die Verlegertätigkeit bereits in die Wiege gelegt, wurde sie doch in eine Verlegerfamilie geboren und konnte so von Beginn des Start-ups an etwa die Buchlizenzen der Geopen Könyvkiadó Kft. nutzen. Zudem beschäftigte sie sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Corvinus-Universität mit der Wirkung neuer Medien auf die Kultur. „Während der E-Buchmarkt in der CEE-Region eher klein ist, sind Eltern gerne bereit, Geld für Inhalte für ihre Kinder zu investieren, vor allem, wenn diese für die Entwicklung ihrer Kleinen förderlich sind, und auch dann, wenn diese in digitaler Form verfügbar sind“, erklärte Horváth jüngst gegenüber dem Fachportal mediapiac.com.
Karányi wiederum hat zuvor für eine Werbeagentur gearbeitet, er sorgt für die Vermarktung der digitalen Inhalte von Bookr Kids. Bereits im Sommer 2014 hatten sie die Idee für ihre Unternehmung erarbeitet, damals fehlten nur noch die konkreten Inhalte, die sie anbieten wollen. „Einerseits beobachteten wir, was auf dem Markt noch fehlte, andererseits ist es offensichtlich, dass Kinder von allerlei Monitoren wie ein Magnet angezogen werden“, verriet Horváth. So habe man gedacht, dass wenn man die Kinder schon nicht von den Mobilgeräten wegbekommt, man diese wenigstens mit wertvollen Inhalten bestücken müsse.
Heraus kam schließlich Bookr Kids. Im April 2015 erfolgte die offizielle Vorstellung der App und des dazugehörenden „Märchentablets“ mit damals noch 40 Märchen im Rahmen einer Pressekonferenz. Das Tablet ist zusammen mit der App als Abonnement erhältlich. Aktuell kann man zwischen vier verschiedenen Paketen wählen: das kostenlose „Probierticket“, zu dem fünf Märchen, animierter Inhalt, die Vorlesefunktion und entwicklungsfördernde Spiele gehören; das „Leseticket für einen Monat“, das für 990 Forint Zugang zu allen 88 Märchen und den beim vorigen Paket genannten Funktionen inklusive eines Sprachlernprogramms bietet; das „Leseticket für drei Monate“, das für 1.990 Forint Zugang zu 100 Märchen und den beim vorigen Paket genannten Funktionen bietet; und das „Leseticket für sechs Monate“, das Zugang zu 113 Märchen, den beim vorigen Paket genannten Funktionen, einer Fremdsprache und einer Gratis-App bietet.
Móra-Verlag und Samsung als Partner
Als das Tablet Mai 2015 auf den Markt kam, wurde sofort ein Märchenwettbewerb für Kindergärten und Schulen gestartet, bei dem diese mit eigenen Ideen das Gerät mit Abo gewinnen konnten. Zugleich begann auch der neue Partner, der traditionsreiche Kinderbuchverlag Móra, das Märchen-Paket zu bewerben und dem Start-up mittels einer gemeinsamen Firma Inhalte zur Verfügung zu stellen. „Als Marktführer bei Kinderbüchern ist es für uns eine Selbstverständlichkeit als erster ungarischer Kinderbuchverlag, diesen modernen Vertriebsweg zu beschreiten“, so Móra-Inhaber und -Generaldirektor János Janikovszky gegenüber der Budapester Zeitung. In der digitalen Präsentation von Inhalten seines Verlages sehe er ein großes Potenzial.
Das im III. Bezirk von Budapest sitzende Start-up hat das alleinige Lizenzrecht zur digitalen Vermarktung aller Móra-Titel. Doch laut Horváth reiche dies allein auf dem ungarischen Markt kaum aus, daher brachte man das „Märchentablet“ heraus, „damit der ungarische Kunde auch etwas zum Anfassen hat.“ Bisher soll die App fast 15.000 Mal heruntergeladen worden sein; im Dezember schloss man zudem eine Kooperation mit Samsung, dank der die App auf allen in Ungarn verkauften Tablets des koreanischen Herstellers ab Werk installiert ist. Noch in diesem Jahr sollen alle Móra-Bücher mit QR-Codes versehen erscheinen, die auf Bookr Kids verweisen.
Das neuartige Konzept zum Märchenkonsum stieß schnell auf reges Interesse: so gewann das Tablet etwa Ende November beim ungarnweiten Wettbewerb „Spiel des Landes“ den 2. Platz. Auch über Ungarn hinaus wurde man auf Bookr Kids aufmerksam: noch im selben Monat wurde das Start-up auf den Dubliner Websummit eingeladen, der als größte Technologie-Konferenz des Kontinents gilt. Verlage aus Schweden und Norwegen hätten dort Interesse an einer Kooperation mit dem ungarischen Startup gezeigt. Karányi sieht zudem Auslandsungarn als interessante Zielgruppe. Ein weiterer bereits bestehender Kooperationspartner ist das Ungarische Institut für Bildungsforschung und -entwicklung, was auf einen fachlich anerkannten pädagogischen Wert der App folgern lässt.
Im November war das Start-up laut den Gründern bereits in den schwarzen Zahlen, und die obligatorische Suche nach Investoren scheint auch bereits geebnet, da man in das Akzelerator-Programm der Digital Factory kam. Bis Dezember seien 10.000 Abonnenten das Ziel, darüber hinaus 10.000 Bücher in 27 Sprachen. „Uns gelang es, der digitalen Evolution zu spotten“, so die Gründer über ihre App. „Man sieht, dass sich die Welt um Buchstaben und Inhalte, und nicht um Präsentationsformen und Plattformen dreht.“