Anfang Februar präsentierte die Europäische Kommission ihre winterliche Wirtschaftsprognose für alle 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Daten für Ungarn beinhalten für Kenner der Materie keine Überraschungen, denn schon lange pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Konjunktur 2016 (vorübergehend) lahmen, die Inflation zurückkehren, Erwerbslosenquote und Haushaltsdefizit weiter sinken werden. Umso interessanter der Blick über den Tellerrand, denn die Orbán-Regierung vergleicht sich nur zu gerne mit ausgewählten anderen Ländern.
Schauen wir zunächst einmal auf die Ist-Daten für 2015, die in Wirklichkeit noch nicht endgültig sein können, da zum Beispiel die erste Schätzung für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im IV. Quartal gerade in diesen Tagen eintrifft. Die EU-Kommission ermittelte 2015 für die EU-28 einen realen BIP-Zuwachs von 1,9 Prozent. Da wird Ungarn mit 2,7 Prozent über dem Durchschnitt liegen; wegen der zum Jahresende erneut hochschnellenden Nettoexporte und der stetig guten Konsumentwicklung könnte sich dieser Wert sogar noch als konservativ angesetzt erweisen.
Unsere Tabelle zeigt sogleich, dass Ungarn mit knapp drei Prozent Wachstum Deutschland und Österreich nominal in den Sack stecken mag; wenn es im Konvergenzprozess vorankommen möchte, sollte es aber besser dem Vorbild der anderen Visegrád-Staaten (V4) folgen: Polen und die Slowakei werden bei 3,5 Prozent erwartet, Tschechien sogar bei 4,5 Prozent. Wer erinnert sich noch an die Jubelrufe des Wirtschaftsministers, der Ungarn im europäischen Spitzenfeld feierte? Heute müsste man dafür die chinesische Messlatte anlegen, wozu auf dem alten Kontinent in der Tat die Iren imstande sind (mit einem BIP-Zuwachs von 6,9 Prozent). Das von Tschechien vorgelegte Wachstum – von dem Ungarn seit einem Jahrzehnt nur träumen kann – reicht nicht einmal fürs Siegerpodest, denn dort platzieren sich hinter Irland Malta und Luxemburg.
Bestimmt kein Problemkind mehr
In Sachen Inflation glauben vermutlich insbesondere viele Fidesz-Wähler bis heute, Orbán hätte dem Land die Preisstabilität mit seiner Politik der sinkenden Wohnnebenkosten gebracht. Selbstverständlich beeinflusste der Eingriff in die Tarifbildung insbesondere am Energiemarkt die Inflationskurve stark, aber doch nicht nachhaltig. Wenn die Ungarn nun einmal vom eigenen Teller aufschauen möchten, werden sie gewahr, dass sich die Inflation auch ohne jede Regulierungswut aus Europa verflüchtigte: Für die EU-28 ebenso wie für die Eurozone werden 2015 stagnierende Verbraucherpreise erwartet, in neun (!) Ländern fielen die Preise weiter, darunter in Zypern, Griechenland und Bulgarien um mehr als ein Prozent.
Was die Arbeitsmarktlage anbelangt, sollen wir aber auf einen Spitzenplatz hoffen dürfen, schließlich strebt Ungarn unter Orbán die Vollbeschäftigung an, die Erwerbslosenquote fiel im Jahresmittel 2015 auf rekordverdächtige 6,7 Prozent. Gemessen an 9,5 Prozent in der Gesamt- EU und sogar 11,0 Prozent in der Eurozone kann Ungarn auf diesem Feld vermutlich Zeichen setzen. Allerdings nimmt uns Deutschland mit 4,8 Prozent die Butter vom Brot, gefolgt von Tschechien und Großbritannien mit jeweils knapp über fünf Prozent, oder Österreich bei sechs Prozent.
Brüssel verglich des Weiteren die Zahlungsbilanz, wo Ungarn einen wirklich respektablen Überschuss von fünf Prozent am BIP fabrizierte. Das beschert endlich einen souveränen Spitzenplatz unter den V4; in der Region schneidet einzig Slowenien besser ab. Europameister sind jedoch die Niederländer mit über zehn Prozent, vor Exportweltmeister Deutschland und den Dänen. Und abschließend soll noch die Entwicklung des Haushaltsdefizits verglichen sein, wo die Orbán-Regierung mit dem Ende des Defizitverfahrens einen ihrer größten wirtschaftspolitischen Erfolge feiern konnte. Mit einer Neuverschuldung um zwei Prozent steht Ungarn heute tatsächlich besser als die EU als Ganzes da, zur Eurozone hat sich hingegen nur ein minimaler Vorsprung herausgebildet. Deutschland gilt mit seinem rigiden Sparkurs fürwahr als Ansporn, doch zeigen Tschechen und Österreicher ebenfalls eine strengere Haushaltsdisziplin. Soweit die Bestandsaufnahme, die Ungarn ins vordere Mittelfeld verweist, auf keinen Fall unter die Problemkinder der EU, was hierzulande schon etwas heißen mag.
Hoffen auf den Markt
Wie verhält es sich aber nun mit den Aussichten für die nächsten zwei Jahre? In erster Linie wegen der ausgelaufenen Auszahlungen für die EU-Haushaltsperiode 2007-2013 geht der ungarischen Wirtschaft ein großer Schwung verloren; Brüssel rechnet für 2016 nur noch mit 2,1 Prozent Wachstum. Damit aber fällt Ungarn praktisch auf EU-Durchschnitt zurück. Die Aufgabe der Regierung wird es sein, den Rückschlag so knapp wie nur irgend möglich zu bemessen. Deshalb wird auf Hochtouren an den neuen Operativprogrammen sowie an Modellen vorzeitiger Ausschüttungen gearbeitet. Auch das Wohnungsbauprogramm CSOK, das Familien bis zu 10 Mio. Forint an staatlichen Zuwendungen verspricht, rückt nicht zufällig jetzt an den Start: Eine Verdopplung des Wohnungsneubaus auf dem darbenden Markt könnte der Baubranche auf die Sprünge helfen. Die faktische Halbierung der Bankensondersteuer verbindet die Regierung mit der Erwartung an den Sektor, das Kreditgeschäft endlich wieder anzukurbeln – zuletzt hatten die Handelsbanken die Nationalbank MNB ziemlich allein im Regen stehen lassen. (Auf einem anderen Blatt steht, dass nach Aussage der Geldinstitute keine ausreichende Kreditnachfrage gegeben ist.) Im kommenden Jahr sind dann wieder 2,5 Prozent Wachstum in Aussicht gestellt, womit Ungarn allerdings noch keine Bäume ausreißen wird.
Hinsichtlich der Inflation wünscht sich die Wirtschaftsführung ebenso größere Werte. Das mittelfristige Inflationsziel der Notenbank bewegt sich um ein Zentrum von drei Prozent, im unteren Bereich des Intervalls wird die Teuerung 2017 sehr wahrscheinlich wieder angelangt sein. Die Ölpreise haben zuletzt mächtig auf die Verbraucherpreise gedrückt, doch ist an den internationalen Märkten einfach kaum noch Spielraum nach unten vorhanden, weshalb hier früher oder später mit einer Normalisierung kalkuliert werden muss. Die zwei Jahre lang stagnierenden Preise hatten immerhin den Vorteil, dass die konservativ angesetzten Lohnabschlüsse zu deutlichen Reallohnerhöhungen führten. Das aber beflügelte den privaten Konsum, der heute mit Industrie und Nettoexporten um die führende Rolle unter den Konjunkturmotoren streitet. So etwas war im ersten Viertel-Jahrhundert nach der Wende wirklich undenkbar. Wenn die Erwerbslosenquote 2017 bis auf 5,2 Prozent sinkt, kommen automatisch immer mehr ungarische Bürger in den Genuss von Bezügen mit steigender Kaufkraft – die Regierung ihrerseits erlebt ein wachsendes Heer an Steuerzahlern.
Es bleibt viel zu tun
Da wird es denn auch leichter zu bewältigen sein, das Haushaltsdefizit bei zwei Prozent am BIP zu halten (mit einer sinkenden Tendenz). Allerdings muss die Regierung weitere Aufgaben stemmen, vor denen sie sich in den vergangenen fünf Jahren drückte. Das Bildungswesen erhielt soeben seinen Rundtisch – unter den zwei Dutzend berechtigten Forderungen der Kritiker sind die wenigsten mit zusätzlichen Ausgaben verbunden, nichtsdestotrotz ist es nicht haltbar, dass der Bildung über die Jahre Hunderte Milliarden entzogen wurden. Ebenso wie dem Gesundheitswesen, das vollkommen ausgeblutet erscheint, weshalb sogar 60 Milliarden scheinbar wirkungslos verpuffen können, wie sie im Vorjahr für die Krankenhauskonsolidierung vergeben wurden.
Und da wäre noch die Verteidigung: Die Amerikaner haben den Ungarn im Rahmen der NATO Zugeständnisse abgerungen, sodass die Haushaltsausgaben sukzessive steigen werden – ob der „böse Russe“ nun mit Drohgebärden vor der Tür steht oder nicht. Die Wirtschaft wiederum würde sich einen aktiveren Staat im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovationen wünschen. Auch auf diesem Gebiet gehört Ungarn – was die Beiträge der öffentlichen Hand angeht – zu den Schlusslichtern in Europa.
Im ungarischen Wirtschaftsministerium ist man dennoch optimistisch. Die Staatsschulden dürften Ende 2015 unter 76 Prozent am BIP gefallen sein – mit jedem Prozentpunkt weitet sich der Spielraum für die Wirtschaftspolitik aus. Deshalb drängt die Orbán-Regierung auch so vehement auf einen wenigstens ausgeglichenen Haushalt. Über die forcierte Industrialisierung des Landes weit über die EU-Zielmarke von 20 Prozent am BIP hinaus (nämlich von heute 23 auf 30 Prozent) soll die Exportleistung der ungarischen Wirtschaft weiter gestärkt werden, die schon in absehbarer Zeit der Höhe des Nationaleinkommens entsprechen könnte. Steigende Nettoexporte kurbeln nicht nur das Wirtschaftswachstum an, sie sorgen auch für enorme Überschüsse im Handelssaldo sowie im Ergebnis in der Zahlungsbilanz, die Ungarn – man glaubt es kaum – irgendwann einmal zum Nettofinanzier an den internationalen Kapitalmärkten machen könnten.
Bürokratieabbau und Wettbewerbserhöhung
Die Beschäftigtenzahl in der Volkswirtschaft wurde seit 2010 um mehr als eine halbe Million Menschen gesteigert, doch lässt noch zu wünschen übrig, dass die wertvollen Arbeitsplätze in der Wettbewerbssphäre nach wie vor nicht mit der Zahl von Personen in den öffentlichen Arbeitsprogrammen mithalten können. Da jedoch die neue Steuerpolitik sämtliche Einkommen besteuert, wirkt sich die breitere Basis an Steuersubjekten stabilisierend auf den Staatshaushalt aus. Effektvoller wäre es, wenn die Privatwirtschaft parallel zum Wachstum mehr und mehr ausgediente Staatsdiener übernehmen könnte. So stellt es sich jedenfalls der Vater des Bürokratieabbaus im Ministerpräsidentenamt vor. János Lázár sagte frei heraus, wie es halt die Art des Ministers ist, dass heute 3,3 Millionen Menschen im Wettbewerbssektor Monat für Monat die Löhne für eine Million Angestellte im öffentlichen Dienst mitbezahlen. Einen solchen Luxus leisten sich nicht einmal ungleich reichere Länder wie Deutschland, von der Wettbewerbsfähigkeit Ungarns ganz zu schweigen. Mit der Massenumschulung würde gleich noch dem akuten Arbeitskräftemangel begegnet, in die Arbeitslosigkeit müsste wahrscheinlich kaum jemand entlassen werden.
…. ich hätte da mal ne Frage an die BZ ?
Wer boykottiert oder missbraucht eigentlich die Rubik – Kommentare – mit z.B. chinesischen Eintragungen ? Haben Sie ne Ahnung ??
Reicht es nicht, wenn demnächst überall arabisch gelernt werden muss, damit die Integration der „Leitkultur“ in die arabische Kultur in Europa besser gelingt.
Allerdings denke ich, arabisch ist zu schwer für Deutsche – so wie Deutsch für Araber.
Türkisch ist etwas einfacher. Das hat fast jeder Deutscher in der VHS gelernt. Oder irre ich mich da ? Die Demographie wirds lösen !! Nur keine Panik.
Die Dinge erledigen sich von selbst. Angriffe wie diese mit den Kommentaren einfach über sich ergehen lassen !! Allerdings: Chinesisch lehne ich total ab. Die haben zu viele Zeichen und obendrein ein anderes Reproduktionschema als Europäer – insbesondere Teutonen. (da klappts nur, wenn immer alles 100% stimmt)
Ansonsten zum obigen Artikel: Ungarn bekommt einen viel zu geringen Preis (Lohn) in der EU für das, was es leistet. (Ausbeutung durch den Westen). Lieber aber einen geringen Preis als einen Saupreis. Viele Grüße aus Bayern.
Wir haben schon seit einiger Zeit ein Spam-Problem. Ich denke nicht, dass es hier um einen gezielten Angriff gegen die Budapester Zeitung geht. WordPress ist für Hacker einfach zu leicht zu knacken. Bevorzugt werden natürlich Seiten mit hohen Besucherzahlen – so wie unsere – missbraucht. Unsere IT-Firma arbeitet aber mit Hochdruck an einer neuen Website. Sie wird Bazooka basiert sein und damit eine deutlich höhere Sicherheit bieten. Auch optisch und funktional wird sie mehr hermachen. 2-3 Wochen noch. Bis dahin bitte ich Sie und die anderen Foristen um Nachsicht, wenn wir manchnmal beim Spam-Löschen nicht nachkommmen. Herzliche Grüße Jan Mainka, Herausgeber
Ein Platz im vorderen Mittelfeld !
Bei der Nächsten EM ? Super.
Der Groschen Fällt langsam. Habe verstanden. Dabei hat Ungarn doch eigentlich nur Rechtsaußen und Angriff.