Am 6. Februar 2015 ereignete sich der G-Tag. Der ungekrönte König des wirtschaftlichen Hinterlandes der Regierungspartei Fidesz, Lajos Simicska, hatte zu jenem Zeitpunkt bereits so viele Ohrfeigen von Ministerpräsident Viktor Orbán einstecken müssen, dass er nicht länger an sich halten konnte. Dabei glaubte man, diese Freundschaft würde für die Ewigkeit sein. Orbáns einstiger Zimmergenosse im Studentenwohnheim hatte einen Löwenanteil daran, dass der Fidesz in Zeiten der harten Oppositionsbänke nicht ins Klosett gespült wurde.
Simicska wollte im Gegenzug für seine Loyalität keine Orden oder Posten im Rampenlicht, er nahm vorlieb mit der informellen Macht, Dinge zu organisieren und Leute in die richtigen Positionen zu hieven. Nach dem Antritt der zweiten Orbán-Regierung 2010 wurde das Simicska-Imperium jedoch so stark, dass er zum absoluten Boss über die Wirtschaft aufrückte.
Orbán über den Kopf gewachsen
Wie es konkret zu dem Bruch kam, darüber kursieren viele Theorien. So habe Orbán das Projekt KKW Paks II., das Profite in der Größenordnung von 500 Mrd. Forint verspricht, als Ansatz gesehen, die wirtschaftliche Macht zu diversifizieren. Oder aber man glaubte, „der Lajos“ sei für die neuen internationalen Partner nicht der Ansprechpartner von Format. Angeblich soll er Ende 2014 einen Handel mit der RTL-Gruppe eingeleitet haben, um den Werbemarkt endgültig aufzuteilen. Orbán soll genug davon gehabt haben, dass sich unter Simicska eine Schatten- Regierung bildete.
Dessen Leute überschwemmten die staatlichen Unternehmen und die Ministerien. Zudem war er grenzenlos arrogant und launisch, selbst Minister ließ er warten, während er mit einem anderen Milliardär über das Geschäft plauderte. Wieder einer anderen Theorie zufolge soll ihm zum Verhängnis geworden sein, dass er schließlich selbst in die Regierungsgeschäfte hineinreden wollte. Orbán solle die Tagesaufgaben abgeben (angeblich schlug Simicska ihm János Lázár vor), um sich besser auf seine Strategien konzentrieren zu können. Wie es Orbán später einmal formulierte, hatte die Wirtschaft in der Tat die Macht über die Politik inne. Simicskas Macht schien grenzenlos. Auch weil er das absolute Vertrauen Orbáns besaß. Was nach einer Weile aber nicht mehr zutreffend war.
Simicska-Monopol gebrochen
Orbán musste merken, dass ihm die Macht aus den Händen gleitet, dass Wirtschaftskapitäne und Minister auf Anweisungen von ihm nervös reagierten – weil sie in dem Moment nicht wussten, wie Simicska wohl zu der Sache stehe. Der (Kommunikations-) Berater Árpád Habony soll es gewesen sein, der Orbán den Floh vom übermächtigen Simicska ins Ohr setzte. Irgendwann sah Orbán ein, so viel Macht dürfe nicht bei einer einzigen Person konzentriert sein. Also entstanden neue Interessengruppen, um Habony und Andy Vajna, István Garancsi, György Matolcsy, Lőrinc Mészáros, László Szíjj und andere. Das musste Simicska missfallen.
Die erneuerte Zweidrittelmehrheit im Parlament begeisterte ihn ebenso wenig, weil sie seinen eigenen Wert als „Beschaffer“ schmälerte. Im April 2014 soll Orbán seinem früheren Weggefährten offen gesagt haben, sein Monopol könne so keinen Bestand haben. Ende Mai ersetzte Orbán die Simicska-Vertraute Frau Németh durch Miklós Seszták als neuen Entwicklungsminister. Damit begann die Neuordnung der Energieholding MVM (zu der Paks gehört), beim Fidesz wurden Stimmen laut, „der Lajos sei doch nun endlich ausbezahlt“.
Nur ein inszenierter Bruch?
Die Simicska-Medien ließen kein gutes Haar an den neuen Kadern, doch bis zum 6. Februar wurde Orbán persönlich mit keinem Wort erwähnt. Als Simicska aber auf einen Schlag die halbe Führungsmannschaft seines Medienimperiums davonlief, rastete er aus. Mit der Entgleisung des G-Tages („Orbán ist ein W…er“) ver- spielte er jedoch die letzten Sympathien. Doch was der Oligarch auch gucken ließ, er trat doch waffenlos gegen den Ministerpräsidenten an. Deshalb hält sich hartnäckig das Gerücht, er könnte den offenen Bruch inszeniert haben, damit er sich mit den ergaunerten Milliarden endlich auf sein Altenteil zurückziehen könne – kein Orbán der Welt wird ihn fortan um Geld anpumpen, wenn es dem Fidesz mal doch wieder schlechter gehen sollte.
Statt Közgép baut heute Duna Aszfalt, statt Magyar Nemzet liest man Magyar Idők, die Propagandamaschinerie der Habony-Werke dreht den Simicska-Medien den Hahn zu. Doch so einfach ist es mit Árpád Habony nun auch wieder nicht. Dem Ministerpräsidenten ist der luxuriöse Lebensstil des Beraters nicht erst seit dem Video in einer südhaften teuren Szene-Bar auf Ibiza peinlich; Habony verschleudert das Geld so unverschämt, dass er heute bereits eines der TOP3-Probleme des Fidesz darstellt. Denn in der Machtzentrale spürt man, neben Bildungs- und Gesundheitswesen ist es die unverschämte Bereicherung des Hofstaates, die in der Öffentlichkeit die größte Irritation auslöst.
Dieser in Auszügen wiedergegebene Artikel war in der vorigen Woche die Titelgeschichte des Wirtschaftsmagazins Figyelő.
* G steht als Abkürzung für das Schimpfwort „Wichser“ (ung. „geci“), welches der Oligarch Lajos Simicska bei mehreren Zeitungsinterviews in den Mund nahm, als ihm bewusst wurde, dass er bei Premier Viktor Orbán in Ungnade gefallen war.