Die Probe beginnt mit Sprechübungen: Alle stellen sich im Kreis auf und wärmen mit Kinderreimen ihre Stimmen auf. Danach verschwindet ein Teil der Gruppe hinter dem Vorhang, nur Einer bleibt vorn, auf dem schwarz lackierten Holzfußboden der Bühne zurück. Freundlich, aber mit konzentriertem Blick begrüßt er das Publikum. Mit präziser Betonung und Genauigkeit sagt der Kostümierte seinen Text auf. Es folgen konsequente Töne von der Regisseurin und die Szene beginnt von vorn. Die Probe endet mit Applaus. Das zusätzliche Chromosom wäre fast nicht aufgefallen.
„Wir sind kein Therapiezentrum. Für uns steht die Kunst im Mittelpunkt“, beschreibt Dóra Elek die Arbeit ihres Teams. Vor nunmehr 18 Jahren gründete die 48-Jährige das Baltazár Színház, und schaffte damit einen Ort, an dem Menschen mit geistigen Behinderungen ihre künstlerischen Talente ausleben und sich ein finanziell unabhängiges Leben aufbauen können. Das Ziel ist eindeutig: Theaterkunst soll ohne soziale Ausgrenzung vorbereitet und präsentiert werden. Das Publikum soll lernen, was Toleranz und Integration auf der Bühne bedeuten.
Mit Make-up und Kostüm
Elek studierte fünf Jahre Schauspielkunst an der Universität von Paris. Als sie im Anschluss an ihr Studium nach Budapest zurückkehrte, gründete sie das Theater als auch die Baltazár Theatre Foundation, die das Theater betreibt. Sie selbst ist seither als künstlerische Leiterin tätig. Die Entscheidung dieses spezielle Theater zu eröffnen, traf sie jedoch schon während ihrer Zeit in Frankreich, als sie selbst eine Aufführung besuchte, bei der geistig behinderte Menschen auf der Bühne standen. „Das war ein sehr emotionaler Moment mit sehr, sehr guten Schauspielern“, schwelgt Elek in Erinnerungen.
Sieht man Menschen mit geistigen Einschränkungen auf der Straße, „würde man nicht denken, dass sie gute Schauspieler wären“. „Aber mit Make-up und Kostüm“, fügt Elek hinzu, „sind sie göttlich“. Zwölf behinderte Schauspieler füllen derzeit hauptberuflich die Bühne des Baltazár Színház mit Leben. Fast alle sind bereits seit der Eröffnung des Theaters dabei. Ihre Einschränkungen sind dabei nebensächlich, es kommt auf Ausstrahlung und Persönlichkeit an. Deshalb unterstützen neben Dóra Elek auch vier nicht-behinderte Künstler sowie fünf weitere Mitarbeiter das Team. Elek legt lediglich Wert auf eine schauspielerisch gute, emotionale Vorstellung. Deshalb gestalten zusätzlich rund 20 Lehrer die Arbeitswoche im Baltazár Színház: Schauspiel-, Sprech- oder Gesangstrainings, sowie Kurse im klassischen Ballett, indischen Tanz oder Yoga finden täglich statt. Die Professionalität zahlt sich aus: Insgesamt 16 Stücke hat das Theater im Repertoire, wovon regelmäßig fünf bis sechs geprobt und aufgeführt werden. Diese werden je nach Publikum ausgewählt und die Zielgruppen sind weitgefächert. Neben Aufführungen im eigenen Haus spielen sie auch Stücke in Schulen, Gefängnissen und anderen Institutionen, die entsprechend dem Alter und Hintergrund des Publikums ausgewählt werden.
Das gewisse Etwas
Dóra Elek sieht das Baltazár Színház als „ganz normales Theater mit besonderen Schauspielern“. Sie sind alle „sehr talentiert“. Natürlich
gibt es auch Unterschiede, „einer kann besser tanzen, der andere besser singen“. Manche lesen das Script einmal und können den Text. Andere können nach zehn Tagen einen Satz, „vergessen diesen dann jedoch nie mehr“. Elek muss sich auf ihre Bühnenakteure einstellen und versucht, „ ihr ‚gewisses Extra‘ zu nutzen“. Schwierigkeiten bei der gemeinsamen Arbeit sieht sie nicht. Die einzige Herausforderung sei es, „die Gesellschaft zu beeinflussen“ und deren Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen zu ändern. Aus diesem Grund stellt das Theater die Behinderungen der Künstler ganz bewusst in den Hintergrund und versucht das Augenmerk auf ihr schauspielerisches Talent zu lenken.
Mit seinen Vorführungen versucht das Baltazár Színház eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen. So hat es auch Stücke für Kinder im Repertoire. Überhaupt engagiert sich das Team über die Grenzen seines Schauspielhauses hinaus: Im vergangenen Jahr organisierte das Baltazár Színház einen ungarnweiten Zeichenwettbewerb, an dem knapp 15.000 Kinder teilnahmen. Angesprochen wurden dabei vorrangig Kinder, die in Heimen oder Pflegefamilien aufwachsen. In diesem Zusammenhang studierten die Schauspieler auch das Stück „Gruffalo“ ein, welches sie jedoch anders auf die Bühne bringen, als es vielleicht aus dem Kinderbuch (deutsch: Der Grüffelo) bekannt ist. Denn Dóra Elek schrieb das Stück mit Schriftsteller István Vörös so um, dass noch ein zusätzlicher Charakter, Gruffalos Mutter, im Stück auftritt. „So wollen wir den betreffenden Kindern eine Idee von familiärer Liebe demonstrieren“, erklärt Elek und fügt hinzu: „Mit einem zeitgenössischen Autor zu arbeiten, ist sehr spannend, weil wir Charaktere von der Persönlichkeit des Schauspielers ausgehend kreieren können.“ Die Zeichnungen aus dem Wettbewerb sind übrigens in Form einer Ausstellung am Budapester Ferenc-Liszt-Flughafen zu bestaunen.
Darüber hinaus bietet das Baltazár Színház noch weitere Projekte ganz im Zeichen von Integration und Toleranz an: Seit 1999 können behinderte Kinder und Erwachsene, die zwar keine professionellen Schauspieler sind, jedoch Interesse daran haben die Kunst zu erlernen, teilnehmen. Darüber hinaus hat das Theater bereits zwei Bücher veröffentlicht und arbeitet derzeit an einem Film, für dessen Aufnahmen das Team im vergangenen Jahr sogar nach Indien gereist ist. Die nächsten öffentlichen Aufführungen des Baltazár Színház sind für die Tage vom 20. bis 22. April geplant. Bis dahin stehen noch Schulvorführungen im ganzen Land an.
Budapest, III. Bezirk, Zsófia utca 7
Tel.: +36 1 328 0235
Email: info@baltazarszinhaz.hu