
Ákos Hadházy: „Ich habe im vergangenen Jahr drei große Korruptionsfälle an die Öffentlichkeit gebracht, damit fing alles an.“ (BZT-Fotos: Nóra Halász)
Der ehemalige Fidesz- und heutige LMP-Politiker Ákos Hadházy lädt einmal die Woche zur sogenannten Korruptionsinfo. Die nach dem Beispiel der wöchentlichen Regierungspressekonferenz benannte Informationsveranstaltung hat zum Ziel, die größten Korruptionsfälle des Landes in die Öffentlichkeit zu bringen.
Herr Hadházy, worum ging es bei der zweiten Korruptionsinfo?
Um das Geld, das die EU zur Förderung der Bildungsreform in Ungarn bereitgestellt hat. Es scheint, als ob davon ein großer Teil schlicht gestohlen wurde. Wir können auch sagen, die Politik hat die Bildungsreform gestohlen. In den vergangenen Tagen und Wochen hat sich Etwas zu regen begonnen unter den Lehrern, sie wollen nicht länger stumm bleiben. Normalerweise wäre es im Interesse eines Landes, wenn gut gelaunte, motivierte und selbstbewusste Lehrer gut gelaunte, motivierte und selbstbewusste Schüler unterrichten würden. Aber es zeigt sich deutlich, dass stattdessen ausgepowerte Pädagogen vor erschöpften Klassen stehen.
Was meinen Sie konkret?
Ich habe einen Sohn, der in die zweite Klasse geht. An drei Tagen die Woche hat er sechs Stunden, ansonsten fünf. Die Kleinen kommen täglich erst um halb 2 dazu, Mittag zu essen. Täglich, wenn er nach Hause kommt, sehe ich das erschöpfte Gesicht meines Sohnes. Auch der Lehrstoff ist zu komplex für die Kinder. Die neuen Lehrbücher sind schlicht eine Katastrophe. Dazu kommt der Berg an Administration, den die Lehrer zusätzlich zu bewältigen haben. Das Schlimmste daran ist: Das alles wurde aus EU-Geldern erdacht! Dafür sind viele Milliarden Forint ausgegeben worden. Nur ein paar Zahlen: Für die „Umfassende Qualitätsverbesserung im Bildungssektor“ wurden 3,5 Milliarden Forint ausgegeben, für die Weiterbildung von Pädagogen 11,5 Milliarden Forint und für ein Projekt mit dem Namen „Bildung im 21. Jahrhundert“ ganze 6 Milliarden Forint. Der Eindruck, den wir aus den öffentlich zugänglichen Informationen gewinnen, ist, dass hier nicht die Verbesserung der Situation im Bildungssektor im Vordergrund stand, sondern einzig, wie man das Geld verrechnen und abgreifen könnte. Noch schwerer wiegt aber, dass das, was in diesen Ausschreibungen erdacht wurde, auch tatsächlich umgesetzt wird jetzt. Denn, wenn es nicht umgesetzt würde, müsste das Geld an die EU zurückgezahlt werden. Beispielsweise wurden ja die Pläne für die Selbstbewertung innerhalb des Lehrkörpers (PÖCS genannt, die BZ berichtete – Anm.) aus diesem Geld entwickelt. Wenn die jetzt in der Schublade verstauben, gibt es kein Geld.
Was war für Sie beim Themenkreis Bildung in dieser Woche das markanteste Beispiel für Verschwendung?
Eindeutig der Tagessatz für die fachliche Expertise. Die günstigeren Experten arbeiteten für 50.000 Forint, aber auch 80.000 Forint Tagessatz kamen vor – und das mehrere Hundert Tage. Oder Trainer oder Fachleute für Qualitätssicherung. Dabei gibt es keinerlei Hinweis darauf, was sie eigentlich gemacht haben. Aber es gab beispielsweise auch eine Firma, die eine Ausschreibung über mehr als 500 Millionen Forint gewann, die es im Jahr zuvor noch gar nicht gab. Die Firma wurde Ende 2014 gegründet und gewinnt 2015 ein Projekt über mehrere Hundert Millionen Forint. Und das ausgesprochen zum Ende des Zeitraums, in dem die EU-Gelder abrufbar waren. Noch offensichtlicher ist aber bei den Kosten für die Erstellung von Aufgaben. Mit 21 Millionen Forint sollten beispielsweise 1.700 Abiturfragen erstellt werden.
Aber in Ungarn gibt es doch ein Zentralabitur? Hat das Ministerium nicht eigene Leute dafür?
Doch! Bisher hat das Ministerium für Humanressourcen dies auch selbst getan. Jetzt aber geben sie das in Auftrag, noch dazu an eine Firma, die sich normalerweise mit Excel-Kursen für Computeranfänger beschäftigt. Im Anschluss wurde dieselbe Firma übrigens auch noch für 13 Millionen Forint beauftragt, die von ihr erstellten Aufgaben zu lektorieren. Das ist aus frei zugänglichen Daten ersichtlich, falls mir jemand nicht glauben will.
Das alles war Teil Ihrer zweiten Korruptionsinfo. Wie viele dieser Pressekonferenzen planen Sie?
Themen gibt es mehr als genug. Bei der ersten ging es um einen Kindergarten, der für doppelt so viel gebaut wurde, wie er eigentlich kosten würde. Ich habe im vergangenen Jahr drei große Korruptionsfälle an die Öffentlichkeit gebracht. Einmal eben diesen Kindergarten-Skandal, den ich auch mit Tonmaterial unterfüttern konnte. Der Bürgermeister hatte mir damals erklärt, wie Ausschreibungen bei ihm in Szekszárd (Ákos Hadházy ist Mitglied des Stadtparlaments in Szekszárd – Anm.) laufen. Es kommt eine Firma aus Budapest zu uns mit einem Projekt im Gepäck. Die Firma übernimmt die Planung, das Ausschreibungsverfahren und stellt über in Aussicht gestellte Schmiergeldzahlungen sicher, dass sie auch gewinnt. Wenn die Stadt das ablehnt, zieht der Bauunternehmer eben weiter zum nächsten Bürgermeister.
Und so laufen Ausschreibungen in Ungarn generell?
Der Abgriff von EU-Geldern vollzieht sich auf drei Gebieten. Zum einen werden im Ministerium die Ausschreibungen festgelegt. Aber da steht oft schon im Vorfeld fest, wer gewinnen wird. Der zweite Teil sind eben die Firmen, die wissen, dass sie gewinnen werden. Bei solchen Alibi-Ausschreibungen gibt es keinen Wettbewerb, dafür kostet dann alles doppelt so viel. Den dritten Teil bilden die kommunalen Selbstverwaltungen, die an diesen Ausschreibungen teilnehmen. Aber auch auf anderem Wege wird dem Staat Geld aus der Tasche gezogen.
Zum Beispiel wie?
Es gibt Ausschreibungen bei denen es darum geht, wie bei Firmen flexible Arbeitszeiten verwirklicht werden können. Das sind Ausschreibungen im Wert von jeweils 20 Millionen Forint. Dann kommt eine Consulting-Firma in das Unternehmen und schaut, wie man eben auf flexible Arbeitszeiten umsteigen könnte. Von Bestattungsunternehmen über Krankenhäuser bis hin zu Bäckereien haben viele diese Möglichkeit genutzt. Von dieser Art gibt es zahllose Varianten. Aber der Prototyp, mit dem auch ich angefangen habe, mich mit Korruption zu beschäftigen, war der Klassenraum-Fall.
Worum ging es da?
Es wurden 40 Lehrräume für 300 Millionen Forint pro Raum renoviert und Lehrpläne erstellt. Es stellte sich heraus, dass die Renovierung der Klassenräume nur 30 Millionen Forint kostete. Der Rest des Geldes wurde für die Erstellung der Arbeitshefte ausgezahlt. Ich beschäftige mich selbst mit Physik und Chemie und es gibt einfach nicht so viele Experimente. Es gibt ein paar Dutzend. Nun wurde hier aber in jeder Stadt gesondert in Rechnung gestellt, was teils Wort für Wort genauso in einer anderen Stadt bereits abgerechnet worden war. Das alles für 20 Millionen Forint – pro Stadt. Danach gab es eine Expertise für ebenfalls 20 Millionen Forint pro Stadt, ob das Lehrmaterial fachlich gut geworden sei. Aber das alles ist noch nicht genug. Die Arbeitshefte wurden als PDF angefordert, um dann erneut 20 Millionen pro Stadt in Rechnung stellen zu können. Das wurde über ein Firmennetz verwirklicht, deren Inhaber sich kannten. Und eben dieses Netz bewarb sich auch in mehreren Hundert Kilometer entfernten Ortschaften um Ausschreibungen dieser Art – und gewann. Das war ein 14-Milliarden-Projekt, von dem maximal zwei oder drei Milliarden nützlich investiert worden waren.
Woher nehmen Sie die Anregungen für die Korruptionsinfo?
Viel kommt von Bürgern, wobei da manchmal wenig Brauchbares dabei ist. Aber angefangen hat alles damals, als ich 2006 noch für den Fidesz in der Szekszárder Selbstverwaltung saß. Ich habe aber schnell festgestellt, dass meine neuen Abgeordnetenkollegen und ich nur als Abstimm-Puppen genutzt werden. Alle wirklich relevanten Entscheidungen fällten der Bürgermeister und seine Stellvertreter. Aber selbst so haben wir Einblick in Dinge gewonnen, die uns einfach nur entsetzt haben. Zu Anfang konnten wir solche Projekte kaum überprüfen. Zwar waren die Informationen auch damals schon theoretisch offen zugänglich gewesen, aber die Kommunen haben sie oft auf ihren Homepages mehr oder minder versteckt und auch Google war damals noch nicht so eine große Hilfe, wie es dies heute ist. Heute ist fast alles an Informationen online zugänglich, das hilft viel. Beispielsweise ging die Causa Farkas (Flórián Farkas, Mitglied des Fidesz und Regierungsbeauftragter für Roma-Fragen ist derzeit in einen umfangreichen Korruptionsskandal verwickelt, bei dem es um die Unterschlagung mehrerer Milliarden Forint geht – Anm.) los, als ich im Mitteilungsblatt für öffentliche Ausschreibugen einfach das Suchwort „Roma“ eingab.
Arbeiten Sie mit einem der Investigativportale wie Átlátszó oder Direkt 36 zusammen?
Nein, grundsätzlich nicht. Ich schaue ab und an bei ihren Homepages vorbei, wir helfen uns gegenseitig mit Informationen aus und zu einigen der Journalisten habe ich ein fast freundschaftliches Verhältnis. Eine Zeit lang fand ich es ausgesprochen spannend, was sie veröffentlicht haben, heute widert es mich einfach nur noch an. Deswegen werde ich auch die Korruptionsinfo-Reihe nur so lange fortsetzen, bis sie mir zuwider ist. Leider ist mein Eindruck bisher, dass der Nachschub an Material und Korruptionsfällen unerschöpflich ist. Allein bei Átlátszó und Direkt 36 werden fast täglich solche Fälle von Korruption veröffentlicht, für die Regierungen früher ihren Hut hätten nehmen müssen.
Und warum geschieht hier nichts? Wo ist die Reizschwelle der Ungarn?
Das werde ich viel gefragt und ich bin nie sonderlich erfreut über diese Frage. Ich weiß nicht, wo die Reizschwelle der Ungarn ist, aber ich weiß, es gibt sie. Einmal läuft jedes Fass über und Fälle gibt es mehr als genug für den letzten Tropfen. Wann genau das passieren wird, wissen wir aber nicht. Ich denke, es wäre im Interesse des Fidesz, wenn dies möglichst früh geschehen würde. Denn je später das Fass überläuft, umso größer wird die Wut der Bürger sein. Mal ehrlich, wer hätte vor zwei Monaten noch geglaubt, dass die Lehrer in Miskolc öffentlich aufbegehren? Man kann den Menschen keinen Maulkorb anlegen. Insbesondere dann nicht, wenn die Regierung das Land nicht nur bestiehlt, sondern seine Bürger auch noch erniedrigt. Denn dieses offensichtliche Stehlen ist einfach erniedrigend. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie groß das Fass ist, aber wir bringen das Wasser!
Sehen Sie eine Chance dafür, dass sich die Politik verändern wird?
Wenn ich die nicht sehen würde, würde ich das nicht machen. Veränderungen können manchmal sehr schnell gehen. Zum einem kennen wir die Reizschwelle nicht. Zum anderen wird die Opposition nicht darum herum kommen, endlich gemeinsam nachzudenken. Das „Gemeinsam“ gibt es ja schon in der ungarischen Politik, und zwar als Bezeichnung für ein linkes Wahlbündnis, nur nachgedacht wurde bisher nicht.
Der ehemalige Ombudsman für Grundrechte, Máté Szabó, sprach in einem Interview davon, dass in Ungarn die Korruption deswegen so verbreitet ist, weil die Bürger dies von oberster Stelle vorgelebt bekommen, sprich aus der Politik. Kann es sein, dass man sich schlicht damit arrangiert hat?
Die Menschen sind oft enttäuscht worden von der Politik, auch von politischen Alternativen. Außerdem hat sich die Regierung momentan darauf festgelegt, mit der Flüchtlingsfrage einen dauerhaften Angstzustand aufrecht zu erhalten. Ich weiß nicht, ob die Menschen diesen Köder schlucken und deswegen über die Korruptionsfälle hinweg sehen werden. Ich weiß auch nicht, ob der Fidesz so noch eine Legislaturperiode übersteht.
Gibt es in Sachen Korruptionsaufdeckung eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien?
Ja, wir arbeiten unter anderem mit András Horváth, dem Whistleblower des NAV-Skandals und Péter Juhász von der Partei „Gemeinsam“ zusammen. Manchmal scheint es, als gäbe es einen Wettstreit unter den oppositionellen Politikern, wer nun die Korruption endgültig besiegen wird. Aber das ist falsch. Nicht András Horváth, Péter Juhász oder ich werden dies erreichen, sondern einzig und allein die Gesellschaft selbst. Nur dann, wenn die Bürger wollen, dass die Korruption abebbt, wird dies auch geschehen. Wir dürfen nicht auf Europa oder das OLAF warten, dass sie Lösungen für die Korruption in Ungarn präsentieren. Und selbst von der Staatsanwaltschaft können wir das nicht erwarten, allein schon wegen der Masse an Korruptionsfällen. Natürlich könnte sie helfen, indem sie einige Fälle aufarbeitet, aber grundlegend muss hier die Bevölkerung aktiv werden. Die Bevölkerung muss eine politische Elite an die Macht wählen, die endlich Gesetze erlässt, die die Korruption erschweren. Viele Parteien sagen, sie wollen korrupte Politiker zur Verantwortung ziehen. Klar, das geht schon mal in die richtige Richtung, aber was wirklich wichtig ist, dass es endlich Gesetze gibt, die weniger Möglichkeit zum Stehlen öffentlicher Gelder lassen.
Welche Rolle hat die Staatsanwaltschaft bei all dem?
Die Staatsanwaltschaft hat eine Schlüsselrolle inne dabei, dass die Dinge sich so entwickeln konnten wie sie nun stehen. Ich denke, allein das Ermittlungsergebnis in Sachen Trafik-Mutyi (die Neuverteilung des Tabak-Marktes maßgeblich zugunsten der eigenen Klientel, Anmerk. Red.) spricht Bände. Péter Polt, Oberster Staatsanwalt, teilte uns in einem Brief mit, dass es keinerlei Anzeichen auf unrechtmäßige Verflechtungen zwischen Politik und den Begünstigten der Konzessionsvergabe für Tabakgeschäfte gab. Dies zeigt deutlich, dass die Staatsanwaltschaft in dem Moment, in dem es eine Beteiligung von Fidesz- Politikern gibt, zurückzuckt.
Wer kann dann tätig werden?
Meine letzte Hoffnung sind die Gerichte. Hier sehe ich bisher noch ein relativ großes Maß an Unabhängigkeit. Allerdings kann auch das Gericht nur in Fällen ein Urteil fällen, in dem die Staatsanwaltschaft bereits vorgearbeitet hat. Wenn die Staatsanwaltschaft „die falschen“ Leute auf die Anklagebank bringt, kann das Gericht sie nicht verurteilen. So sabotiert sie die Arbeit des Gerichts. Ich denke, Ungarn ist heute kein Rechtsstaat mehr.
Spottunterricht statt Sportunterricht !
Ich sage schon seit Monaten den Lehrern, die ich kenne: Streiken, streiken, aber radikal. Landesweit. Totalverweigerung, so wie man es in Frankreich kennt. Einige Tage kommen die Kinder schon ohne Unterricht aus – aber natürlich mit schulischer Aufsicht, sonst müssten die Schüler ja zuhause bleiben, was viele Familien bei der täglichen Arbeit hindern würde.
Ein Unterrichtsausfall könnte bei den Schülern auch kreative Fähigkeiten fördern. Diskussionsrunden, Musik-und Kunstprojekte, Spiele könnten alles begleiten.
Das ganze könnte in einer ungarnweiten Demo mit einer Mio. Menschen
(auch Schülern und Eltern) seinen Höhepunkt finden. Kossuth tér mit Kossuth rádió.
Und wenn,s sein muss auch Klub rádió.
Meine Tocher, die auf ein anspruchsvolles Gymnasium in Pest geht, lernt zu viel unsinniges Zeug. Ist übermüdet. Ein Beispiel: Der ungarische olympische Medaillenspiegel von vergangenen Jahren war auswendig zu lernen im Sportunterricht. Ich empfahl ihr, diesen Schwachsinn zu unterlassen und den Lehrer darüber zu informieren, dass das Leben zu kurz sei für derartigen Mumpitz.
Landesweit soll täglich einmal täglich Sport in der Schule gemacht werden, jedoch fehlen meist Sporthallen bei Regen und Kälte. Es kommt zu grotesken Situationen.
Im Winter läuft in einigen Schulen ständig die alte Heizung volle Pulle. Die Fenster müssen dann geöffnet werden. Schmeißt die Bildungspolitik des Fidesz zum Fenster raus und mit ihm die zuständigen Politiker !!
In diesen Zeiten hat der Rechtsbruch Konjunktur. Politiker machnens vor. Also streiken !!
Hr.hadhazy sollte sein wissen in Brussel bekannt machen samt beweisen.
Nur so die EU eingreifen in diese coruptionen.