Der Gerichtshof Veszprém hat letzte Woche Mittwoch alle 15 Angeklagten im Prozess um die Rotschlammkatastrophe freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte den Betreibern des Klärbeckens, dessen Staumauer brach und damit die schwerste Chemiekatastrophe in der Geschichte Ungarns auslöste, fahrlässige Tötung und Umweltschädigung vorgeworfen.
Zur Erinnerung: Am 4. Oktober 2010 wälzte sich der extrem ätzende Rotschlamm (den der Hauptangeklagte noch tags darauf vor den Medien als „harmlos für die Umwelt“ bezeichnete) über das nahegelegene Kolontár und die Kleinstädte Devecser und Somlóvásárhely bis nach Somlójenő und zerstörte auf mehr als 1.000 Hektar Flächen alles Leben. Zehn Menschen kamen ums Leben, Dutzende wurden schwer verletzt, die wirtschaftlichen Schäden wurden in Milliardenhöhe angesetzt.
„Schadensverursacher sitzt nicht auf Anklagebank“
Die Katastrophe sei durch eine „verlorene Stabilität“ im Untergrund hervorgerufen worden, hieß es nun im Urteil erster Instanz, Experten hatten noch bei einer Großwartung im Sommer 2010 das Becken ohne Beanstandungen abgenommen. Die Richterin erklärte die Freisprüche mit dem Hinweis, der Aluminiumtrust Mal Zrt. als Verursacher des schweren Unglücks sitze nicht auf der Anklagebank, im Strafverfahren sei die objektive Verantwortung der Angeklagten nicht nachgewiesen worden. Dieses Verfahren sei von Zivilprozess-, Verwaltungs- und anderen Verfahren zu trennen, die parallel gegen die Mal Zrt. eröffnet wurden.
Der Jobbik-Politiker Lajos Kepli, der den früheren Parlamentsausschuss zur Untersuchung der Rotschlammkatastrophe geleitet hatte, hielt nach der Urteilsverkündung eine Pressekonferenz ab, auf der er seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass die Staatsanwaltschaft Berufung einlege und in zweiter Instanz angemessene Urteile mit Freiheitsentzug gefällt werden. Der Staatsanwalt legte in der Tat Berufung ein, so dass das Verfahren vor dem Tafelgericht Győr fortgesetzt wird.
Weitere Kreise als gedacht
Doch nicht nur die Jobbik zeigte sich unzufrieden mit dem Urteil. Der für die Nebenkostensenkung zuständige Staatssekretär Szilárd Németh stellte sich noch am Sonntag vor die Presse und griff das Veszprémer Gericht scharf an. So werde man das Urteil untersuchen und gegebenenfalls auch Gesetzesänderungen vornehmen. Der diplomierte Pädagoge rief gar das Landesamt der Richter zum Gespräch. Doch nicht nur das Rotschlamm-Urteil scheint Németh zu stören. Ebenfalls in der vergangenen Woche wurden sämtliche Korruptionsvorwürfe gegen Miklós Hagyó fallengelassen. Németh dazu: „Die Menschen sind zu Recht empört über das Urteil.“ Weiter bezeichnete er die richterliche Unabhängigkeit als „liberale Anforderung“ (liberal ist im Regierungsduktus rein negativ konnotiert – Anm.)
Die Präsidentin des Landesrichteramtes, Tünde Handó, antworte am Dienstag, ebenfalls vor der Presse. Sie bat um Respekt gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit und um Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Richter. Auch der Vorsitzende der Kurie meldete sich zu Wort. Péter Darák sieht in der versuchten Einflussnahme von außen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit, die Richter müssen frei und unabhängig richten können. „Als Vorsitzender der Kurie bin ich davon überzeugt, dass die rechtsprechenden Richter mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ein begründetes Urteil gefällt haben. Dies muss die Gesellschaft akzeptieren.“ Darák weiter: „Der von allen äußeren Einflüssen freie Richter steht unter besonderem Schutz der Verfassung. Deswegen sind Äußerungen, die Gegenteiliges suggerieren, eine Unterminierung der Rechtsstaatlichkeit.“