„Es schneit, es schneit. Kommt alle aus dem Haus“, tönt der Kinderliedklassiker von Rolf Zuckowski durch den Flur. Dazu gibt der Klang einer Gitarre den Rhythmus an. An den Wänden hängen knallbunte, von Kinderhand gemalte Bilder, selbstgebastelte Plakate und Fotos. Als das Lied zu Ende ist, geht das Gewusel los: Kleine, schnelle Schritte rennen die Treppe auf und ab, ein Ball fliegt durch die Luft und ein alter Kassettenrecorder wird laut aufgedreht. Spätestens, wenn morgens um neun Uhr die letzten Kinder von ihren Eltern abgesetzt werden, ist im Deutschen Kindergarten Budapest Remmidemmi.

Der Deutsche Kindergarten bietet viel Platz zum Toben:
Bei Wind und Wetter wird auch der hauseigene Garten genutzt. (BZT-Fotos: Nóra Halász)
„Wir spielen heute Schneewittchen und ich bin ein Zwerg“, brüllt die sechsjährige Johanna durch den Theaterraum des Deutschen Kindergartens in Budapest. Aus einer anderen Richtung tönt es: „Das Mandala habe ich gemalt! Da habe ich zwei Tage für gebraucht“. Die Idee, dass Kinder nur mit Disziplin und Gehorsam erzogen werden können, ist lange überholt. In Deutschland befindet sich die Kindergartenkultur schon lange im Umbruch. Mehr und mehr versucht man Kindern Entdeckergeist und Kreativität zu entlocken. So auch in Ungarn. Egal, ob zu Hause oder in Tageseinrichtungen, Kinder sollen ihre Freiheiten ausleben und möglichst früh lernen eigene Entscheidungen zu treffen.
Das Infans-Konzept brachte Csilla Juhász mit nach Ungarn in den Deutschen Kindergarten. Knapp 20 Jahre lebte und arbeitete die Leiterin der Kindertagesstätte in Deutschland und brachte das Pädagogikprogramm, das „jedes Kind gemäß seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Kompetenzen unterstützen soll“, mit in ihre Heimat. So werden bereits unsere Kleinsten „auf hohem Niveau gefordert und lernen eigene Lernschritte gehen zu können“, fügt Juhász hinzu. Das bedeutet jedoch nicht, die Kinder sich selbst zu überlassen. Intensive Planung, Teamarbeit und eine gewisse Portion Gelassenheit seitens der Pädagogen sind unabkömmlich. In den Deutschen Kindergarten gehen 40 Kinder, deren Eltern zumeist Deutsche sind, die in Budapest arbeiten. Nur einige von ihnen sind zweisprachig aufgewachsen und verstehen sowohl Deutsch als auch Ungarisch. Die gemeinsame Alltagssprache in der Tageseinrichtung bleibt daher immer Deutsch. Träger der Einrichtung ist der Elternverein Deutscher Kindergarten, der die private Einrichtung vor nunmehr über 20 Jahren gründete und es sich zur Aufgabe gemacht hat, deutschen Eltern einen Platz für ihre Kinder zu bieten.
Der Kindergarten liegt in einem Einfamilienhaus im XII. Budapester Bezirk und bietet viel Platz zum Spielen und Toben, der auch dringend gebraucht wird. Das Konzept der Einrichtung sieht vor, dass die Kinder nicht in festen Gruppen ihren Kindergartenalltag erleben, sondern sich frei, ihren Interessen entsprechend im gesamten Gebäude bewegen können. Nicht wie üblich in Gruppenräumen, sondern in speziell
gestalteten Themenräumen sind der kindlichen Kreativität nahezu keine Grenzen gesetzt. Im „Forscherraum“ mit eigenem Labor kann experimentiert, getüftelt und die hauseigenen Schnecken versorgt werden. Im „Atelier“ wird gemalt, gebastelt geklebt, geschnitten: Dabei ist schon so manches Kunstwerk entstanden. Ab und an finden auch Exkursionen in Museen oder Theater statt. Zu lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, ist wichtig. „Dennoch gehören auch feste Rituale, Regeln und strukturelle Abläufe“ dazu: „Kinder müssen lernen mit ihrer Freiheit umzugehen“, beharrt Juhász. Mit einer gemeinsamen Morgenrunde beginnen Kinder und Erzieher gemeinsam den Tag. Da werden Tagesabläufe besprochen und auf der sogenannten „Singtreppe“ gelegentlich gesungen. Darauf folgen zwei Stunden freie Spielzeit. Die Entscheidungsfreiheit der Kinder wird durch Impulse der Erzieher, beispielsweise neue Materialien, Ideen oder Hilfestellungen, unterstützt. Frühs steht den Kindern eine „Frühstücksinsel“ mit gesunden Snacks zur Verfügung. Manchmal helfen die Kinder auch bei der Vorbereitung. Ab 11 Uhr werden verschiedene Themen in einer Kinderrunde besprochen. Das Mittagessen und die dazugehörige „Ruheinsel“ (der altbewährte Mittagsschlaf) sind fester Bestandteil des Tagesablaufs. Hier sollen die Kleinsten lernen, nach einem ereignisreichen Vormittag zur Ruhe zu kommen und sich zu entspannen.
Bei einem derartig großen Spiel- und Beschäftigungsangebot ist es auch eine pädagogische Aufgabe der Einrichtung, den Kindern zu vermitteln selbst zu entscheiden „vorauf sie jetzt Lust haben und sich darauf zu konzentrieren“, erzählt Juhász. Das Konzept basiert auf eigenen Entscheidungen der Kinder, „aber auch auf der Wahrnehmung und Beobachtung und schriftlichen Dokumentation der Kinder“, fügt sie hinzu. Diese Rolle übernehmen die Erzieher der Einrichtung. Das seit sechs Jahren mit wenigen Veränderungen bestehende Team setzt sich neben Csilla Juhász aus vier weiteren Pädagogen, allesamt mit einem Arbeitsschwerpunkt (Musik, Kunst, Bewegung, etc.), und einer hauswirtschaftlichen Mitarbeiterin zusammen. Neben sehr guten bis muttersprachlichen Deutschkenntnissen ist eine pädagogische Ausbildung Voraussetzung für die Arbeit im Deutschen Kindergarten. Um die Kinder individuell fördern zu können, ist es besonders wichtig zu wissen, womit sie sich beschäftigen und was ihre Interessen sind. So ist es Teil des Infans-Konzeptes das Verhalten der Kinder zu beobachten. Entwicklungsschritte werden dazu anhand von Bildern und Beobachtungsbögen dokumentiert, in Teamgesprächen diskutiert und gegebenenfalls notwendige Förderschritte eingeleitet. Auch Elterngespräche finden zweimal im Jahr statt.
Barrieren überwinden
Als Minderheiteneinrichtung führt man ein „Inseldasein“. Der Deutsche Kindergarten versucht Eltern daher weitgehend in die Kindergartengemeinschaft zu integrieren. Diese haben oft mit Sprachbarrieren zu kämpfen. Hier treffen sie jedoch auf gleichgesinnte Familien und lernen sich untereinander kennen. Als soziale Anlaufstelle unterstützt der Deutsche Kindergarten bei wichtigen Übersetzungsarbeiten und organisiert Treffen gesellschaftlich weit über den Kindergartenalltag hinaus: Elternbrunch, Sommer- und Laternenfest. Für die Zukunft der Kindertagesstätte setzt sich Juhász das Ziel, „mit kleinen Schritten an die ungarische Öffentlichkeit zu treten.“ Die größte Herausforderung bleibt jedoch immer die sprachliche Barriere. „Auf mein Team bin ich stolz“, berichtet Juhász, „trotz der vielen Aufgaben versuchen sie immer wieder neue Entwicklungsschritte zu gehen und haben keine Scheu sich weiterzubilden, um so ihre Arbeit auf noch höherem Niveau zu leisten.“
Deutscher Kindergarten Budapest
Budapest, XII. Bezirk, Beatrix utca 13
Tel.: +36 1 200 6230
Email: deutscher.kindergarten.bp@gmx.net
Weitere deutschsprachige Bildungseinrichtungen:
Galaxy Kindertagesstätte
Budapest, XII. Bezirk, Trencséni utca 10
Tel.: +36 30 9 812 999
info@galaxyminiovi.hu
Deutsches Nationalitätengymnasium und Schülerwohnheim
Budapest, XX. Bezirk, Serény u. 1
Sylviaschindler19822@googlemail.com
Hunfalvy János Bilinguale Fachmittelschule für Wirtschaft und Handel
Budapest, I. Bezirk, Ponty u. 3.
horvath.terezia@hunfalvy-budapest.hu
Ungarndeutsches Bildungszentrum
6500 Baja, Duna utca 33
www.ubz.hu