Die ungarische Gesellschaft erlebt in diesen Tagen und Wochen den Zustand der Massenpsychose. Um den Bevölkerungsschwund endlich zu stoppen, aber natürlich nicht minder, um die Wähler bei der Fahne des nationalkonservativen Lagers zu halten, wurde ein unvergleichlich attraktives Programm aufgelegt, das junge Familien mit modernen Wohnverhältnissen zum Kinderkriegen lockt.
Am 1. Juli 2015 wurde das neue sozialpolitische Programm namens CSOK eingeführt. Das bedeutet auf Ungarisch „Kuss“, umschreibt in Wirklichkeit aber nur als Kunstwort die neuartigen staatlichen Vergünstigungen zur Beschaffung von Wohnraum für Familien. Doch erst die zum 1. Januar 2016 in Kraft tretenden Veränderungen haben so richtig für Aufruhr in der ungarischen Gesellschaft gesorgt. Der CSOK richtet sich gleichermaßen an Familiengründer, junge Ehepaare, die noch kinderlos sind, Adoptiveltern, Familien mit ein, zwei, drei und mehr Kindern, an Bauherren, die Neubauten planen oder Anbauten vornehmen wollen, sowie an Käufer von Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäusern.
10 + 10 Millionen
Familien mit drei Kindern erhalten beim Bau oder Kauf einer angemessenen Wohnung 10 Mio. Forint (mehr als 30.000 Euro) als staatliche Zuwendungen geschenkt und dürfen das Projekt mit einem zinsgünstigen Kredit von nochmals 10 Mio. Forint finanzieren. Bei Neubauprojekten greift zudem die auf 5 Prozent gesenkte Mehrwertsteuer, die privaten Bauherren im Rechnungswert von 5 Mio. Forint gleich noch erstattet wird.
Die Regierung möchte mit dem umfassenden Programm deklariert „mehreren hunderttausend“ Familien helfen. Das wirft sogleich die Frage auf, wie der Staatshaushalt das verkraften soll. Deren Beantwortung führt uns näher an die Realität: Die Familien erhalten die spektakulären Zuschüsse nämlich nur, wenn sie einer Reihe von Bedingungen entsprechen. Unterm Strich haben in den vergangenen Tagen nicht nur die Oppositionsparteien im Parlament, sondern sehr viele scheinbar begünstigte Familien in den ärmeren Landstrichen erkannt, dass die Orbán-Regierung (auch hier wieder) eher Gesellschafts- denn Sozialpolitik betreibt.
Während einst die Sozialisten jedes „Wohlfahrtsprogramm“ nach dem Gießkannenprinzip über die Massen ergossen, baut der Fidesz seit Jahren an seinem Modell einer neuen Mittelschicht, die das Land als Steuerzahler schon bislang auf ihren Schultern trug, künftig aber auch am Kinderkriegen noch mehr Freude haben soll. Damit würde eine besonders leistungsfähige Schicht reproduziert, also selbst noch beim künftigen Babyboom selektiert, der in Ungarn bisher weitgehend auf Armensiedlungen beschränkt war.
Deutlich weniger bei Wohnungstausch
Vielleicht um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren, haben Politiker jedoch schon in der ersten Januarhälfte angekündigt, dass es ein spezielles CSOK-Programm für Teilnehmer an öffentlichen Arbeitsprogrammen geben wird. Für die Handelsbanken sind diese Menschen überhaupt nicht kreditfähig, da sie vom Staat weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. So scheiden 10 Mio. Forint in zinsgünstiger Kreditierung gleich mal aus.
Aber was bietet der Staat an kostenlosem Geld an? Die 10 Mio. Forint an Zuwendungen sind in aller Munde, dabei gelten diese ausschließlich für Neubauwohnungen und bei Verpflichtung zu drei Kindern (die freilich auch später geboren bzw. adoptiert werden können). Beim Eigentümerwechsel am freien Wohnungsmarkt winken den CSOK-Familien in Abhängigkeit von Quadratmeter- und Kinderzahl gemessen an den satten zehn Millionen „nur“ ein, zwei Millionen: Im Falle von vier Kindern und mehr als 100 m2 Wohnfläche sind es maximal 2,75 Mio. Forint. Ähnlich gut bezuschusst wird auch, wer nicht mehr als zwei Kinder auf sich nehmen will, aber eine Neubauwohnung wünscht, was vom Staat mit 2,6 Mio. Forint honoriert wird. Bei Familien mit einem einzigen Kind gibt es gerade einmal 600.000 Forint von oben; solche Familien wären im vorigen Jahr ohne CSOK besser gefahren.
Wundersame Teuerung zum Jahreswechsel
Denn die Regierung hat den Wohnungsmarkt in Wallung gebracht, und zwar so sehr, dass die „ingyenmilliók“, wie die Magyaren das Geschenk vom Staat nennen, nicht den Familien, sondern den Immobilienentwicklern und Baufirmen in den Schoß fallen dürften. Das besorgen schon die Gesetze des Marktes: Wo seit Jahren weniger als 10.000 Neubauwohnungen errichtet wurden, wird eine plötzlich hereinbrechende Nachfrage von mehreren zehntausend, wenn nicht sogar hunderttausend Familien die Angebotspreise in die Höhe treiben. Bei fertiggestellten Wohnungen in Wohnparks, die seit Jahren leer standen, haben Immobilienportale über den Jahreswechsel bereits wundersame Preiserhöhungen von 10-30 Prozent registriert. Wohlgemerkt: Diese Wohnungen wollte bisher niemand haben, zudem sank die Mehrwert steuer zum Jahreswechsel von 27 auf 5 Prozent, was bei Quadratmeterpreisen zwischen 150.000 Forint (auf dem Dorf) und 350.000 Forint (in Großstädten) und der vorgeschriebenen Mindestgröße von CSOK-kompatiblen Wohnungen auch kein Kleingeld ist. Dennoch schraubten die Verkäufer die Preise gleich mal anständig hoch, denn sobald die Banken ihren Kunden grünes Licht geben, werden die Familien auf dem Markt Ausschau halten, was das Angebot so hergibt.
Die Regierung ist sich durchaus im Klaren darüber, dass selbst mit den CSOK-Millionen nicht gerade Wohnungsträume in Budapest wahr werden. Es geht vielmehr darum, den ländlichen Raum attraktiver zu gestalten. Das auf vier Jahre angelegte Programm ist haushaltstechnisch „offen“, d. h. die Fördertöpfe werden sich in diesem Zeitraum bestimmt nicht leeren, lautet die Zusage des Staates. Mit anderen Worten darf jeder, der den Bedingungen gerecht wird und seinen Bedarf anmeldet, auf Unterstützung hoffen. Insofern muss es nicht verwundern, dass bei den Handelsbanken momentan Überstunden an der Tagesordnung sind; mehrere Geldinstitute richteten gesonderte Kundentage an den Samstagen ein, um den enormen Informationshunger zu stillen.
Die Orbán-Regierung will allem Anschein nach den Familien keine größeren Steine in den Weg legen; im Vergleich zum Start des CSOK Mitte 2015 wurden zahlreiche Bedingungen gelockert. Dennoch gehört jene Äußerung, wonach sich junge Paare, die sich binnen zehn Jahren zu drei Kindern zu verpflichten, ein eigenes Zuhause ganz ohne Eigenkapital schaffen können, wohl eher in den Bereich des politischen PR.
Ausgeschlossen sind Lebenspartner, denn die Verordnung schreibt unbedingt eine eheliche Bindung von Mann und Frau vor. Ausgeschlossen sind von dem größten „Kuss“, den geschenkten 10 Millionen, de facto auch Arbeitslose, weil sie sich Neubauwohnungen ab 60 m2 oder Häuser von mindestens 90 m2 Wohnfläche nicht einmal auf dem Lande werden leisten können. (Ganz zu schweigen davon, dass dem CSOK-System gerecht werdende Neubauten bislang nahezu ausschließlich in Budapest und anderen Großstädten des Landes, aber sicher nicht in der Provinz hochgezogen wurden.) Mit Blick auf die unzähligen faulen Kredite aus dem vorigen Jahrzehnt ist auch der Kreis jener Familien nicht zu unterschätzen, die eben aufgrund der Bankenschwarzliste von vornherein ausgeschlossen bleiben. Charakteristisch für die ungarischen Zustände ist zudem, dass längst nicht alle Arbeitnehmer in geregelten Sozialversicherungsverhältnissen angemeldet sind – womit ein weiterer Ausschlussgrund vorliegt.
Was, wenn die Zinsen steigen?
Wirtschaftsexperten sehen das größte Risiko freilich auf Seiten des Staatshaushaltes. Der Fidesz hatte den Wohnungsbau schon zu seiner ersten Amtszeit mit großzügigen Zinszuschüssen gefördert, die sich als eine der Leichen im Haushalt erwiesen, den die Sozialisten als schweres Erbe übernahmen. Die wählten denn auch den Weg des geringsten Widerstandes, ließen das vererbte System auslaufen und lenkten die Massen zu den Fremdwährungskrediten – mit den bis heute bekannten Folgen. Nun sagt die Orbán-Regierung erneut eine Zinsstützung der 10-Millionen-Kredite zu, deren Kosten für den Kreditnehmer nicht über 3 Prozent steigen dürfen. Heute sind Inflation und Leitzins im Keller, weshalb diese Konditionen von den Banken auch ohne große staatliche Hilfe gemeistert werden könnten. Was aber, wenn die Zinsen deutlicher steigen?
Die Förderung wird wohl nicht so viel bringen, wie man es sich erhofft. Kinder kriegen ist eben nur zu verantworten, wenn man einen unbefristeten und gut bezahlten Arbeitsplatz hat, ausser man gehört zu einem der ungarischen Minderheiten. Auf dem Land muss man Angst davor haben keine medizinische Versorgung zu bekommen. In der Stadt sind die Immobilienpreise zu hoch. Arbeitsplätze sind überall rar. Und 3 Kinder ??? Wer bekommt denn so viele Kinder ? Wo gibt es die Arbeitsplätze und positiven Zukunftsaussichten, damit die es mal gut haben werden ??? Wachstum würde mehr Kinder machen als dieses Projekte der Regierung.
In der DDR gab es auch Kredite für junge Eheleute und kein Gejammere um Bevölkerungsrückgang. Insofern ist obiges Kreditprojekt zu begrüßen. Die Deutschen holen sich lieber Ausländer ins Land und verdrängen die eigene B evölkerung. Anstatt auch ein paar Euros für die Bevökerungsentwicklung des Landes zurück zu legen und junge Familien zu unterstützen.