Ungarn hat im vierten Jahr in Folge das Maastricht-Kriterium bezüglich des Haushaltsdefizites eingehalten. In Europa ist das neuerdings nur noch für einen Platz im Mittelfeld gut, doch die konsequent unter drei Prozent gehaltene Neuverschuldung kann nicht genügend gewürdigt werden in einem Land, wo Wohlstand auf Pump als Selbstverständlichkeit betrachtet wird.
Die bislang vorliegenden Zahlen zur Entwicklung des Staatshaushaltes im Jahre 2015 sind ein wenig verwirrend. Das Wirtschaftsministerium meldete ein Jahresdefizit von 1.219 Mrd. Forint (über 3,8 Mrd. Euro). Das sind nochmals 326 Mrd. Forint oder rund eine Milliarde Euro mehr, als in der im Jahresverlauf bereits korrigierten Vorgabe für das Gesamtjahr vorgesehen waren. Aber enttäuschen muss diese Zahl auch im Vergleich zum Jahresdefizit 2014, das mit 826 Mrd. Forint damals 2,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach.
Mit anderen Worten hatte die Regierung – sicher bestärkt durch die robuste Wirtschaftsentwicklung – die ursprüngliche Haushaltsvorgabe über das 2014 erreichte Defizit angehoben, wohl wissend, dass sich der kontinuierliche Schuldenabbau dank der höheren Basis des Wirtschaftsvolumens auch ohne eine absolut sinkende Defizitzahl umsetzen lässt. Das Wirtschaftsressort hob die Vorgabe also auf 892 Mrd. Forint an, was nominal 64 Mrd. Forint mehr Spielraum gewährte, während jedes Prozent Wirtschaftswachstum rund 300 Mrd. Forint zusätzlich als Kalkulationsbasis des Fiskus erlaubt. Weil Ungarns Wirtschaft auch 2015 wieder um nahezu drei Prozent stärker wurde, mögen die 64 Milliarden als vertretbare Größe erscheinen.
Löcher dank „Selbstaufopferung“
Doch nachdem das Fachressort Monat für Monat beteuerte, die Haushaltsprozesse unter Kontrolle zu haben, brachte der Dezember den ernüchternden Kassensturz mit einem Fehlbetrag von 326 Mrd. Forint. Immerhin konnte mühelos eine Erklärung nachgereicht werden, wonach dies nichts weiter als ein Problem technischer Natur sei. Es waren nämlich EU-Fördermittel im Volumen von 560 Mrd. Forint ausgeblieben, mit deren Zufluss Ungarn felsenfest bis Jahresende rechnete. In der Rechnungslegung werden diese Einnahmen – auch wenn sie erst 2016 eintrudeln – für das abgelaufene Jahr kalkuliert.
Bleibt nur noch mit Brüssel abzustimmen, ob Budapest sämtliche Gelder berechtigt aufnimmt, denn sobald Gelder zurückgehalten werden, liegt etwas im Argen. In dieser Hinsicht müssen wir Kanzleramtsminister János Lázár vertrauen, der sich betont optimistisch zeigte, was die Erfolgsquote abgerufener EU-Fördermittel betrifft. Bis zum Frühjahr wird sich aufklären, wie hoch der Korrekturbetrag ausfällt. Zumal der ungarische Staatshaushalt mit rund 250 Mrd. Forint mehr als noch 2014 in Vorleistung ging, um möglichst viele Ausschreibungen im letzten Jahr des EU-Haushaltszyklus 2007-2013 unterzubringen – auch diese „Selbstaufopferung“ riss Löcher in das Budget.
Ein ganzes Quartal ohne Schulden
Wer nicht auf die Auflösung des Rätsels mit den EU-Transfers warten kann, den dürfte eine andere Zahlenreihe überzeugen: Im III. Quartal generierte der Primärhaushalt einen Überschuss von 38 Mrd. Forint – seit Einführung dieser Statistik im Jahre 1999 hatte es nichts Vergleichbares gegeben.
Das Zentralamt für Statistik (KSH) präsentierte die frischen Angaben wohlgemerkt für den Zeitraum Juli-September, die oben beschriebene Entwicklung zum Jahresende ist in diesem Ansatz noch nicht enthalten.
Laut KSH kam in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 ein Defizit von 110 Mrd. Forint zusammen, das zeitanteilig gerade mal noch 0,4 Prozent am BIP entsprach. Die Einnahmen des Staates waren gegenüber 2014 um 7,2 Prozent gestiegen, darunter um überdurchschnittliche 7,8 Prozent bei der Mehrwertsteuer (ÁFA).
Diesen Erfolg erklärt die Regierung natürlich nicht mit der rekordverdächtigen Höhe des ÁFA-Schlüssels von allgemein 27 Prozent, zumal dieser ja nicht erst 2015 eingeführt wurde. Dass mehr Einnahmen fließen, habe mit der Onlineanbindung der Kassen im Einzelhandel ebenso zu tun, wie mit dem elektronischen Frachtkontrollsystem (EKÁER), glaubt man im Wirtschaftsressort.
Der neue Konsumrausch – seit über zwei Jahren wächst das Einzelhandelsvolumen Monat für Monat – wird bescheiden erst an dritter Stelle genannt, was vielleicht insofern verständlich ist, weil der Privatverbrauch in vielen Bereichen erst wieder Vorkrisenniveau erreicht. Bescheidenheit wäre aber auch deshalb angebracht, weil die Mehrwertsteuereinnahmen auch ohne die beiden oben genannten „Wundermittel“ im Jahre 2014 noch um 11,8 Prozent gegenüber 2013 zugelegt hatten.
Auf der Ausgabenseite sind zugleich spürbar weniger Gelder für den Schuldendienst auszugeben (-7,1 Prozent). Gewöhnlich kumulieren sich die Neuschulden Quartal für Quartal, 2015 war es erstmals umgekehrt: Der Saldo an Neuschulden von 187 Mrd. Forint aus dem I. Quartal wurde bis Ende September auf 110 Mrd. Forint gedrückt.
Große Brötchen auf dem Wunschzettel
Die Ungarische Nationalbank (MNB) hatte die Staatsschulden Ende 2014 absolut mit 24.525 Mrd. Forint ausgewiesen, was damals 76,9 Prozent am BIP entsprach. Die Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent ist noch ein Stück weit entfernt, doch hat die Orbán-Regierung wenigstens den richtigen Weg gefunden, denn 2011 wurde der Schuldenstand durch die MNB noch mit 81 Prozent gemessen.
In der Region gehört Ungarn in dieser Statistik zu den Schlusslichtern; was das Haushaltsdefizit anbelangt, hat das Land hingegen mittlerweile einen stabilen Platz im EU-Mittelfeld erobert. Ein Defizit um zwei Prozent erwarten neben Ungarn noch Österreich, Tschechien, die Niederlande und Irland. Wirtschaftsminister Mihály Varga möchte aber große Brötchen backen, weshalb er die Messlatte mittelfristig genauso hoch aufgelegt haben will, wie das in Deutschland mit seiner berühmt-berüchtigten schwarzen Null sowie im Baltikum der Fall ist.
Neoliberal abgewirtschaftet
Dabei sah es hierzulande lange Jahre ganz anders aus. Das von der ersten Orbán- Regierung vor ihrer Abwahl 2002 hingelegte Haushaltsdefizit von 4,1 Prozent am BIP (siehe Graphik) blieb bis zum Jahr des offenen Ausbruchs der Weltwirtschaftskrise unerreicht. Die sozialistisch-liberale Medgyessy-Regierung trat mit einem 100-Tage-Programm an, das eine Wohlfahrtswende einleiten wollte – mit dem Ergebnis, dass noch im Wahljahr ein Rekorddefizit von 8,9 Prozent zustande kam. Im Jahr des EU-Beitritts 2004 war Ungarn mit 6,4 Prozent noch immer meilenweit von den eigentlich verbindlichen Vorgaben der Gemeinschaft entfernt. Wie sehr das Land unter Ferenc Gyurcsány abwirtschaftete, zeigt der Rekordwert beim Haushaltsdefizit 2006 sehr markant. Die Expertenregierung unter Gordon Bajnai zog zwar die Notbremse in Sachen Haushaltsverschwendung, doch das vom IWF diktierte Sparpaket ließ parallel die ungarische Wirtschaft dramatisch schrumpfen.
Orbán lässt sich hier nicht lumpen
Weil die Wähler genug hatten vom Neoliberalismus, setzte die zurückgekehrte Orbán-Regierung den Währungsfonds vor die Tür. Die Staatsfinanzen brachen dennoch nicht zusammen, wie das angesichts der scheinbar konzeptlosen Wirtschaftspolitik des damaligen Wirtschaftsministers Matolcsy von vielen vorausgesagt wurde. Zwar erkannte Brüssel den Renteneinstand in der Haushaltsabrechnung nicht an, doch über ein System von Sondersteuern verschaffte sich der Fidesz den nötigen Spielraum, um auch in der Gesellschaftspolitik neue Akzente zu setzen.
Brüssel konnte die harten Fakten nicht länger leugnen und musste Ungarn nach langen Jahren 2013 endlich aus dem Defizitverfahren entlassen, das es praktisch seit seinem EU-Beitritt begleitet hatte.
Andere Länder wie Griechenland, Spanien oder Kroatien bereiten der EU-Zentrale heute weitaus größere Sorgen. Erstaunlicherweise finden sich aber auch Frankreich und Großbritannien im Lager der größten Neuschuldenmacher. Portugiesen und Slowenen scheinen ihrerseits die Krise überwunden zu haben. Ungarn wird jedenfalls weiter „an sich“ arbeiten – das Konvergenzprogramm sieht bis 2018 eine Senkung des Haushaltsdefizits auf 1,6 Prozent am BIP vor. Mehr Beschäftigung, weniger Zinsausgaben lautet die Kurzformel des Erfolgs. Sollte sich demnächst herausstellen, dass schon 2015 deutlich weniger als zwei Prozent an Defizit aufgelaufen sind, werden wir vermutlich noch ehrgeizigere Ziele vernehmen. Denn auf diesem Gebiet lässt sich Viktor Orbán ganz bestimmt nicht lumpen, so viel steht fest.
Gute Nachrichten
Wie passt die Konsolidierung des ungarischen Staatshaushaltes zum Rating, Herr Ackermann ? :
http://www.budapester.hu/2015/11/30/ungarn-verbleibt-bis-2016-im-ramschstatus/
Die Medien vermeiden positive Meldungen über Ungarn. Können wir also von deutscher „Lügenpresse“ reden ?
Im Jahr 2012 wurde ein Beitrag des ZDF-Infokanals zum Thema Ungarn so anmoderiert:
„Zuerst die gute Nachricht: Ungarn ist fast pleite….“ (Der Beitrag wurde später aus der ZDF-Mediathek gelöscht). Den Schuldenberg hatte jedenfalls Gyurcsány (Sozialisten) nicht Orbán zu verantworten.
Ob es sich um gezielte politisch motivierte Indoktrination, reine Gehässigkeit oder um Ahnungslosigkeit des ZDF handelte, ist schon fast egal. Es wirf allemal ein Licht auf den geistigen und moralischen Zustand deutscher Medien – privaten wie öffentlich -rechtlichen. Der aktuelle Fall einer WDR-Mitarbeiterin, die öffentlich behauptete, man würde als Journalist angehalten, positiv über Merkels Politik zu berichten, dann aber dementierte, was sie da im holländischen Fernsehen sagte, beschreibt die tiefe Krise, in der sich Medien in ganz Europa befinden.