Anlässlich der ungarischen Übersetzung des Buches „329 Tage – Innenansicht der Einigung“ und dem 25-jährigen Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung fand Anfang Dezember in den Hallen der Andrássy Universität ein Diskussionspanel statt. Neben den Wendejahren ging es vor allem um eines: Wie sieht das geeinte Europa der Gegenwart und der Zukunft aus?
Horst Teltschiks Buch bot Anlass zur Diskussion: Es ist ein im Tagebuchformat geschriebenes Werk über die Zeit zwischen dem Mauerfall am 9. November 1989 und der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Die interessanten historischen und gesellschaftlichen Einblicke in diese bis heute nachwirkenden Monate sind dank des Antall József Wissenzentrums als Herausgeber nun auch in Ungarisch verfügbar. Gemeinsam mit der Konrad-Adenauer Stiftung waren sie Veranstalter der Buchpräsentation.
Der Mauerfall
„Was hat die deutsche Einheit Europa gebracht?“ Um diese zentrale Frage zu diskutieren, waren neben dem Autor und ehemaligem Mitarbeiter Helmut Kohls Prof. Dr. Horst Teltschik auch der Experte für Sicherheitspolitik Dr. György Nógradi und der an der Andrássy Universität lehrende Prof. Dr. Andreas Oplatka geladen. Teltschik fasste die Ereignisse des Mauerfalls als „dreifache Revolution“ zusammen – nicht nur Deutschland hat sich damals wieder vereinigt; der Zusammenbruch der Sowjetunion und damit auch der DDR hatte für Europa weitreichende Konsequenzen. Das vorherrschende bipolare Weltsystem löste sich auf, was in einer temporären Friedenszeit kulminierte. „Das hat die gesamte globale Ordnung grundsätzlich verändert.“, schlussfolgerte der Autor weiter.
Die Situation damals
Auch für Ungarn veränderte sich Grundlegendes. „Die deutsche Situation hat eine große Möglichkeit für Ungarn ergeben“, ergänzte Nógradi. Konkreter aber wird die ungarische Situation nicht erörtert. Das Hauptaugenmerk wird zurück auf die Situation in Deutschland gelenkt. Teltschik berichtet, dass die politische Führung von 5 bis 10 Jahren vom Mauerfall bis zur Wiedervereinigung ausging. Am Ende waren es 329 Tage. Der organisatorische Aufwand war dementsprechend enorm. Durch die angestrebte Wiedervereinigung hatte sich Deutschlands Fläche vergrößert. Frankreich fürchtete daher um seine Position. Deutschland reagierte seinerseits mit Kompromissvorschlägen an den westlichen Nachbarn. Auf genaue Inhalte oder Ziele konnten sich beide Länder aber nicht unmittelbar einigen. Auch innenpolitisch hätte die Lage eskalieren können. In der DDR waren immer noch mehr als 370.000 sowjetische Soldaten stationiert, die jederzeit hätten eingesetzt werden können. Gorbatschow entschied schließlich anders; hielt sein Versprechen, sich bei den Entscheidungen der Bündnispartner nicht weiter einzumischen. Dieses Versprechen hielt er auch in Bezug auf die ehemaligen Satellitenstaaten Ungarn und Polen ein.
Und heute?
„Deutschland muss in Europa mehr Verantwortung übernehmen.“ Kohls Worte während des Wiedervereinigungsprozesses scheinen bis heute nach. Aber hat Europa und damit auch Deutschland seine Ziele erreicht? Teltschik äußerte sich eher skeptisch. „Europa hat zu wenig getan.“ Zwar gebe mit der Währungsunion und dem Euro eine länderübergreifende Währung, darüber hinaus allerdings bis heute weder eine wirkliche Wirtschafts- noch eine politische Union. Dennoch hat Europa „eine unglaubliche Perspektive.“, so Teltschik weiter. Die EU hat die Chance auf ein Europa ohne Krieg. Er sieht dabei Krisen eher als Möglichkeit zur Weiterentwicklung denn als Fortschrittsbremse. Die Kausalität der Ereignisse von Spaltung als Krise, deren Beilegung erst die Befriedung herbeigeführt habe, führte er dabei als Beleg seiner These an. Als tagespolitischer Anknüpfpunkt wird im Anschluss auf die Geflüchteten aus den Krisenregionen im Nahen und Mittleren Osten verwiesen, die ein großes Herausforderungspotential für das geeinte Europa darstellen. Momentan fehle es diesbezüglich noch „an Fantasie und Mut“ so Teltschik. Im Anschluss an das Diskussionspanel bestand für die Besucher noch die Möglichkeit der persönlichen Diskussion mit den drei Experten.