Zwei Lampenschirme, ein antiker Spiegel und der Ordner mit den Negativen – entscheidend sind für Hannah Häseker nach einem halben Jahr in Budapest aber die guten Freundschaften, die sie während ihrer Arbeit geschlossen hat. Die junge Hamburger Fotografin erzählt der Budapester Zeitung, wie sie die ungarische Hauptstadt mit einer analogen Kamera für sich eroberte.
Nach einer 14-stündigen Fahrt im Nachtzug kam Hannah Häseker vor gut einem Jahr im winterlichen Budapest an. Im Rahmen eines Austauschsemesters wollte die damals 21-jährige Fotografiestudentin die ungarische Hauptstadt für sechs Monate erkunden. Auf Budapest fiel ihre Wahl unter anderem deshalb, weil die hiesige Universität der Schönen Künste Hannah als Gaststudentin akzeptierte und sie mit ihren steinernen Treppen, den reich verzierten Deckengewölben und der altehrwürdigen Bibliothek „ein bisschen wie Hogwarts“ aussieht. Doch der ausschlaggebende Grund, von ihrer Wahlheimat Hamburg ins Land von Paprika und Pálinka zu gehen, war die Suche nach einem Abenteuer. „In Hamburg fehlte mir die Muse, ich hatte Zweifel an meiner fotografischen Ausdrucksweise und das Gefühl, vor einer undurchschaubaren Nebelwand zu stehen“, schildert Hannah ihre Gefühle kurz vor der Abreise nach Ungarn. „In Budapest wollte ich mich in das Unerwartete stürzen und gerade in Bezug auf meine fotografische Arbeit das Bestmögliche herausholen.“
„Dort habe ich mich gerne verlaufen“
Bereits nach einem Glas ungarischen Wein mit den neuen Kommilitonen war sie der Donaumetropole vollkommen verfallen: „Ich habe mich auf dem Heimweg furchtbar verlaufen, aber es fing an zu schneien und ich war so glücklich wie lange nicht mehr.“ Danach versuchte Hannah so intensiv wie möglich Budapest zu erkunden – immer auch auf der Suche nach dem perfekten Motiv für ihre Fotos. „Ich bin sehr viel spazieren gegangen. Habe gewartet, bis sich irgendwo die Tür zu einem der Hinterhöfe geöffnet hat und bin heimlich hineingeschlichen.“ Dabei hat die junge Fotografin Orte für sich entdeckt, die abseits der Touristenpfade liegen. „In Buda gehört die Gegend um die Gül Baba utca oder die Endstation der Kindereisenbahn zu meinen Lieblingsorten. Ich habe auch einen perfekten Kletterbaum in Pest nahe der Donau gefunden, wo ich viel Zeit verbracht habe. An erster Stelle steht aber definitiv meine eigene Wohngegend im XIII. Bezirk um den Jászai Mari tér – der Rosenpark, die Antiquitätengeschäfte, die Märkte. Pest mit seinen langsam verfallenden Altbauten, dem orangenen Straßenlaternenlicht und dem überflutenden Angebot an Jazzkonzerten im jüdischen Viertel hat mir immer das Gefühl vermittelt, dass hier die Zeit stehengeblieben ist“, erzählt die Fotografiestudentin. „Im Kontrast dazu haben mich die Blockbauten in Óbuda jedoch auch sehr fasziniert“.
Von Musen und dem Duft nach Hausmannskost
Doch es waren nicht nur Orte, die Hannah in Budapest inspirieren konnten. Die junge Fotografin, die sich auf Portrait- und Modefotografie spezialisiert, hat in der ungarischen Hauptstadt auch gefunden, wonach viele Künstler und Fotografen teils jahrelang suchen: eine Muse. In Hannahs Fall trug die ungarische Muse den Namen Bianka und kam von einer ungarischen Modelagentur, die Hannah schon vor ihrem Aufenthalt kontaktiert hatte. „Wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Wir waren auf einer Wellenlänge und das Arbeiten mit ihr war so wunderbar, wie mit noch niemandem zuvor. Sie hat sich genau so bewegt und das vermittelt, was ich immer für meine Fotografie gesucht habe“, schwärmt Hannah von dem aufstrebenden Fotomodell. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Freundschaft, die die Zusammenarbeit noch fruchtbarer machte. Obwohl Hannah auch mit anderen ungarischen Modellen zusammenarbeitete, blieb Bianka das zentrale Fotoobjekt: „Sie lud mich sogar zu sich nach Hause ein. Da wurde dann Marlene Dietrich gehört und dabei der Kleiderschrank nach dem nächsten Outfit durchstöbert“, erinnert sich Hannah und schildert noch einen besonderen Moment ihrer Zusammenarbeit mit Bianka: „Bei ihr daheim duftete es nach leckerer ungarischer Hausmannskost, die ihre Großmutter auftischte, während Biankas Tauben überall herumflogen. Es war das Gefühl, als ich in diesem Moment, indem all das zusammentraf, auf den Auslöser meiner Hasselblad drückte – Das war die Muse.“
Bilder vor Märchenkulisse
Ihre Fotos vermitteln oft den Eindruck, aus einer anderen Zeit zu stammen, eine Zeit voller Magie und Märchen. Daher mussten für Hannahs Fotoshootings auch oft solche Orte als Szenerie herhalten, die diesen Retro-Charme verkörpern. Hannah kennt viele, aber zu ihren liebsten Fotokulissen gehörten nicht nur die Bibliothek und der Anatomieraum ihrer Universität, sondern auch das Café Zsivágó auf der Paulay Ede utca im VI. Bezirk. Obwohl Hannah kaum ein Wort Ungarisch spricht, gelang es ihr, das Personal des kleinen Lokals zu überzeugen, eine Ecke des Cafés für ihr Shooting nutzen zu dürfen. Situationen wie diese haben Hannah geholfen, ihre Scheu zu überwinden, Menschen anzusprechen. „Ich denke, dass ich während meiner Zeit in Budapest in meiner Arbeitsweise um einiges selbstsicherer geworden bin. Es fällt mir jetzt leichter, Kontakte zu knüpfen, Kooperationen einzugehen, Leute direkt zu fragen, ob ich sie fotografieren kann.“ So konnte sich Hannah auch Kleider aus Secondhand- und Vintageboutiquen für ihre Fotoprojekte ausleihen. „Als Gegenleistung haben die Läden die Bilder bekommen. Dieser Tausch hat überraschend problemlos geklappt und alle waren zufrieden. Besonders mit Viola von Cydonia Vintage in der Hajos utca 43 habe ich mich sehr gut verstanden. Ihre original 20er-Jahre-Kleider passten perfekt zu meinem Stil.“ Auf diesem Weg sind zahlreiche Fotografien entstanden, die Hannah auch in Fotoforen, wie dem der Modezeitschrift „Vogue“, regelmäßig Anerkennung einbracht haben.
Seit knapp einem halben Jahr ist Hannah nun wieder in Hamburg, wo sie ihr Kommunikationsdesign-Studium beendet. Ihr Aufenthalt in der Donaumetropole konnte die junge Fotografin nach eigenen Worten „aus einem Sumpf der Inspirationslosigkeit ziehen“. Hier hat sie Erfahrungen gemacht, von denen sie auch daheim in Deutschland noch zehren kann. „Ich habe hier gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören und nur noch zu fotografieren, wofür mein Herz schlägt“, resümiert Hannah ihr Erasmussemester. Wenn sich die Träume der Studentin erfüllen sollten, können wir eines Tages sie und ihre Fotografien in großen italienischen Modezeitschriften bewundern. Ihrer analogen Kamera will sie aber auch dann treu bleiben.
Werfen Sie einen Blick auf weitere Arbeiten von Hannah Häseker unter www. hannah-haeseker.de.
▶▶ Katrin Holtz