Angesichts der bestimmenden Schlagzeilen des Jahres, die von Terror, menschlichen Tragödien und Existenzängsten handelten, nimmt es sich regelrecht verwunderlich aus, dass sich politisch Interessierte bezüglich Ungarn nur ein Jahr zuvor über Monate hinweg über ein bloßes Denkmal erregen konnten. Zwar über ein recht umstrittenes Denkmal, aber doch nur ein Denkmal. Die Rede ist vom Besetzungsdenkmal auf dem Budapester Freiheitsplatz, dessen Errichtung im Dezember 2013 in die Wege geleitet und dann in der ersten Jahreshälfte 2014 schrittweise umgesetzt wurde. Was muss 2014 doch für ein friedliches gewesen sein, dass sich das Denkmalsthema wochenlang nahezu konkurrenzlos in den Schlagzeilen halten konnte!
2015 war die Nachrichtenlage eine komplett andere. Zwischen dem „Auftaktattentat“ im Januar (Charlie Hebdo) und dem terroristischen Schlusstakt (hoffentlich!) im November, ebenfalls in Paris, beanspruchten die Mega-Themen Terrorismus und Flüchtlingskrise nahezu die ganze Aufmerksamkeit für sich. Auch in Ungarn, das sich durch seine geografische Lage plötzlich mitten im Geschehen wiederfand. So intensiv, dass die Regierung insbesondere ab dem Frühsommer 2015 eine ganze Serie an vieldeutigen Denkmälern ungestört hätte errichten können. Der Regierung stand jetzt aber nicht der Sinn nach dem Bau von weiteren Denkmälern, ihr Eifer in Sachen umstrittener Bauwerke erschöpfte sich in diesem Jahr ganz im Grenzzaunprojekt.
Wobei sich das Attribut „umstritten“ eher auf die Wahrnehmung des Zauns in einigen, stetig kleiner werdenden Kreisen des Auslands bezieht. In Ungarn selber konnte sich die Orbán-Regierung dagegen diesbezüglich auf einen für ungarische Verhältnisse eher ungewöhnlich großen Konsens stützen. Über alle Parteigrenzen hinweg standen die Ungarn so sehr hinter dem Zaunprojekt ihrer Regierung, dass es selbst die instinktiv immer Kontra gebende ungarische Opposition in diesem Fall als opportun erachtete, den Zaun – abgesehen von kleineren Sticheleien – eher zu tolerieren, als zu torpedieren. Der Satz „Ich bin ja nicht gerade ein Freund dieser Regierung, aber bei der Flüchtlingskrise stehe ich voll hinter ihr.“ hatte in diesem Jahr in vielen Variationen Hochkonjunktur und ließ das politische Guthaben der Orbán-Regierung deutlich wachsen.
Während sie für ihr merkwürdiges Besetzungsdenkmal von der angesprochenen Zielgruppe nur spärlichen Applaus erhielt und sich im Herbst des gleichen Jahres mit der Internetsteuer sogar tüchtig vergaloppierte, machte sie in diesem Jahr bei der Flüchtlingskrise alles richtig. Vielleicht mit der einzigen Ausnahme der obskuren Anti-Einwanderer-Plakatkampagne vom Frühjahr, die die Regierung aber vielleicht brauchte, um sich beim Flüchtlingsthema warmzulaufen. Für weitere Luftnummern wurde das Thema dann auch plötzlich zu ernst. Erst recht für den Premier, der es partout nicht vermochte, für die nach Norden strömenden Nahostler so positive Gefühle zu entwickeln, wie etwa Kanzlerin Merkel, und der in ihnen eher ein Gefahrenpotenzial, denn ein Arbeitsmarkt- oder Kulturbereicherungspotenzial erblickte.
Wie auch immer, allen Kritikern zum Trotz steht der ungarische Grenzzaun jetzt so fest wie das Besetzungsdenkmal. Die Balkanroute wurde damit an Ungarn vorbei umgelegt. Mit einer klar ablehnenden Positionierung in Sachen „Flüchtlingsquote“ sorgt(e) die Regierung dafür, nicht einmal indirekt mehr von der modernen Völkerwanderung betroffen zu werden. Über ein, diesmal den „Syrern“ gewidmetes Besetzungsdenkmal – ebenso wie die damaligen Deutschen werden von der Orbán-Regierung auch die Flüchtlinge eher als „Invasoren“ betrachtet – braucht sich nach dem jetzigen Stand der Dinge also keine zukünftige ungarische Regierung den Kopf zerbrechen.
Allein das Problem ist für Ungarn damit noch nicht ganz vom Tisch. So ist bei den Entscheidungsträgern eine deutliche Unruhe bezüglich weiterer Auswirkungen zu spüren. Insbesondere auf den wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschland. Und dann gibt es da ja auch noch die Ukrainekrise, die vielen Brandherde im Nahen Osten und natürlich die allgemeine Terrorgefahr. Und, und, und… Leider sieht es im Moment so aus, als würde auch 2016 alles andere als ein „langweiliges“ Besetzungsdenkmaljahr werden. Geben wir die Hoffnung nicht auf, dass sich die zahlreichen gefährlichen Prozesse um unser ruhiges Ungarn herum im kommenden Jahr zumindest nicht weiter zuspitzen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen aller Mitarbeiter unseres Verlages besinnliche Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch in ein möglichst erfolgreiches 2016.
Jan Mainka
Chefredakteur & Herausgeber
Ich nehme an – das kommende Jahr wird für Ungarn weder ein Jahr der Denkmäler noch der Zäune werden. Ungarn hat zwei große Baustellen: Das Gesundheitswesen und das Bildungswesen. Wenn Orbán und andere Verantwortliche hier versagen, wird es die Stimmung wieder rumreißen zu Ungunsten der Regierung. Offenbar verkennt sie die teils dramatische Situation in vielen Krankenhäusern durch fehlendes Personal und Abwanderung . Es wird sich in der Bevölkerung was zusammen brauen. Die Tatsache, dass Ungarn seit 2010 seinen Haushalt konsolidiert und Staatsschulden abbaut, hat noch keine unmittelbare positive Wirkung auf den Wähler. Wenn durch Sparpolitik die Not vieler Menschen wächst und gleichzeitig Fußballstadien gebaut werden, dann ist was im Argen.
Ansonsten denke ich: Die Stimmung in Europa wird sich auch 2016 immer mehr gegen Deutschland richten, weil das finanziell und materiell ärmere Europa den Weg nicht gehen will und kann, den Merkel vorgeben möchte. Auf die Solidarität solcher Länder wie Ungarn oder Polen kann Merkel kaum hoffen. Diese geforderte Solidarität setzt bestimmte Bedingungen voraus wie finanzielle und soziale Sicherheiten, humane Kapazitäten, Infrastruktur und gesellschaftlichen Konsens. Es ist nicht in erster Linie eine Frage des freien Willen und der Aufklärung oder der christlichen Liebe, wie im Westen viele annehmen. Der kleine osteuropäische Bürger selbst empfindet selber keinerlei Solidarität durch den Westen und fühlt sich in der Falle von Markt und Kapital und westlicher Bevormundung, während er sieht, dass die Früchte westlicher Politik oftmals Ramsch und Krieg sind, wie die Krise der Staatsfinanzen, des Euro und des nahen Osten beweisen. Es fällt eben momentan schwer, das Positive in Europa zu sehen, obwohl es da ist. Es liegt an Brüssel, Berlin, Wien …, Länder wie Ungarn und Polen mit einer tatsächlich besseren Welt zu überzeugen. Dann wird auch die Nationalromantik abnehmen zugunsten europäischer Einigung.
Frohe Weihnachten !
Ich empfehle allen Lesern der BZ zum Jahresende folgenden Beitrag aus der FAZ:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/zuwanderung-die-moeglichkeit-keiner-insel-13955110.html
Was schaffen wir denn, mit „wir schaffen das“ ? :
Jährlich eine Millionen Araber zu integrieren (2016,17,18,19,20,21……) ?
Die vereinigten Staaten von Europa unter deutscher Vorherrschaft ?
Den Exportweltmeister und wirtschaftlichen Erfolg ?
Die reine deutsche Eiche zu züchten ?
Den IS militärisch zu bekämpfen ?
Ungarische und nun auch polnische, tschechische, …. Stachelgewächse auszurupfen?
Den Amerikanern Paroli zu bieten?
Frieden und soziale Gerechtigkeit in Europa herzustellen ?
Die Treibhausgase zu reduzieren ?
Oder schafft es Deutschland einfach mal etwas bescheidener und demütiger zu werden?
Ein besseres neues Jahr 2016 !
Weder das Eine noch das Andere.
Es ist „unschaffbar“…
Auf alle Fälle wird 2016 wieder ein Ungarn-bashing Jahr,
die Flut an unsinnigen Äußerngen in deutschen Medien über angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit unter Orbán hat gerade in den letzten Tagen dieses Jahres Hochkonjunktur und die Entwicklung 2016 schon vorweggenommen. Gerade wurde das Thema wieder im Internationalen Frühschoppen von Frau Ahnungslos-Gammelin (SZ) in die Runde geworfen. So wird der Rechtsruck nicht zu stoppen sein !! Auch Lügen führen in die Isolation.
Ich wünsche allen schon mal in weiser Vorausahnung ein frohes 2017 !
Ihr Ferenc aus Dummgarn
Sehr geehrter Herr Kohlbass,
seien wir optimistisch. Irgend ein Voll…t hat gesagt, das Polen und Ungarn für Europa gefährlicher sind, als der IS. Dies zeigt doch, wo diese Leute ihre Prioritäten setzen.
Das Ungarnbashing hat Orbán eher genützt als geschadet, bei den Polen, Tschechen und Slowaken wird es nicht anders sein. Slowenien ist de facto das 5.Mitglied bei der V4-Gruppe, andere werden folgen.
Deutschland ist umzingelt ! Juhuuuu !!
Beliebt sind momentan so Europakarten – auf denen die Rechte Gefahr mit dunkelrot dargestellt ist. Slowakei und Tschechien sind noch nicht drauf, weil die Regierungen sich nicht national-konservativ nennen. Gerade aber diese beiden Länder sind in ihrer Ablehnung der Quote besonders radikal.
Das superliberale Estland ist nach Meinungsumfragen beim Thema Ablehnung von Moslems in der Nachbarschaft viel radikaler als Ungarn und Polen. Aber bis vor kurzem war Estland noch liberales Musterland.
Deutschland ist eben sehr langsam in der Erkenntnis und der Anerkennung von Tatsachen. Es hat auch 12 Jahre gebraucht, bis der Spuck 1945 vorbei war. Tante Merkel wird aber vorher gehen. Immerhin ist sie kein Verbrecher.