von István Tanács
Die Wechselwirtschaft der gemäßigten Linken und Rechten ist die Erfindung des Westens des 20. Jahrhunderts. Diese Parteikonstruktion hat – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg – gut funktioniert. Sie hat den wirtschaftlichen Erfolg und die gesellschaftliche Gerechtigkeit effizient miteinander verbunden.
Bis in die 1980er Jahre, also bis zur neoliberalen Gegenrevolution Reagans und Thatchers und schließlich dem Sieg des Westens im Kalten Krieg vermischten sich die Werte nicht sonderlich. Es gab Ausnahmen, aber man wusste ziemlich genau, was die Linken und was die Rechten wollen. Die rechte Seite repräsentierte eher die Interessen des Kapitals, die linke eher die der Arbeit. Die rechte die Unternehmensfreiheit, die linke einen – vom Volk gewählten – starken, gerechten Staat und Umverteilung. Die rechte die Nation, die linke die Solidarität inner- und außerhalb des Landes. Ein Regierungswechsel korrigierte stets nach, wenn dieses Gleichgewicht ins Schwanken geraten war.
Heute ist der Begriff der rechten und linken Politik abgenutzt und die Werte sind verschwommen. Während der Amtszeit von Gyula Horn und Ferenc Gyurcsány wollte eine, sich als „links“ bezeichnende Partei vor allem rechte, neoliberale wirtschaftliche Maßnahmen verwirklichen. Die als „rechts“ etikettierte Partei Fidesz gelangte schließlich mit linken Parolen an die Macht.
Orbán punktete mit linken Maßnahmen
Einige ihrer Maßnahmen – Steuererhöhungen für Großunternehmen, Steuerentlastungen für Angestellte und Familien sowie die Einführung von gemeinnützigen Arbeitsprogrammen – waren ausgesprochen links. Dabei ist die proportionale Einkommenssteuer völlig rechts, ebenso die Art und Weise, wie das loyale Großkapital und die Kirche zum Nachteil anderer Gesellschaftsschichten unterstützt werden.
Die früher reibungslos funktionierende Wechselwirtschaft wurde von der wachsenden Globalisierung gestört. Die multinationalen Firmen, die auf den Märkten einiger Staaten aufgetaucht sind und häufig mehr Macht repräsentieren als diese selbst, entziehen sich immer mehr der gewählten Gesetzgebung und dem Einfluss der Regierungen. (Das Transatlantische Freiheitsabkommen TTIP würde, ohne die Bürger zu fragen und an den gewählten Regierungen vorbei, Teile der Wirtschaft unter den Schutz des internationalen Rechts stellen.) Auf die Macht der Multis bezieht sich heute nicht einmal mehr das Gleichgewichtssystem, das in den einzelnen Ländern perfekt ausgeklügelt wurde. Man kann sie nicht ausschließen, oder wenn doch, dann nur mit beträchtlichen Nachteilen. Andererseits ist es ziemlich schwer – wenn auch nicht unmöglich – sie im Interesse der Gesellschaft zu reglementieren.
Parlamentarische Demokratie wurde immer unglaubwürdiger
So kam es zu dem bemerkenswerten Zustand, dass in einem Land die linke Mitte scheitern und dafür eine rechte Mitte mit anderen Versprechungen dieselbe Politik fortsetzen kann und umgekehrt. Das macht die parlamentarische Demokratie von Zyklus zu Zyklus immer unglaubwürdiger. Als Reaktion versuchen immer mehr Gesellschaftsgruppen neue Antworten zu finden, bringen Witzparteien und rechts- oder linksradikale Kräfte an die Macht und akzeptieren nach und nach antidemokratische Bestrebungen.
Ein Teil Ungarns schwelgt immer noch in den Erinnerungen der Kádár-Ära und den Erwartungen des damaligen Regierungswechsels. „Wenn es nicht das Ziel war, frei zu sein und besser zu leben, welchen Sinn hatte das alles dann eigentlich?“, fragen sich viele zu Recht. Die Ernüchterten sind nicht von der Demokratie per se enttäuscht, sondern konkret von den Protagonisten des öffentlichen Lebens. Diese waren es – auf welcher Seite sie auch immer standen – die das Allgemeingut so privatisierten, dass gleichzeitig 1,5 Millionen Arbeitsplätze verloren gingen. Es wäre an sich ja kein Problem gewesen, wenn seitdem wenigstens ansatzweise so viele neue Arbeitsplätze entstanden wären.
Sie waren es, die den ausländischen Investoren nach der Pfeife tanzten und das letzte bisschen Gleichheit liquidierten. Sie haben die Ressourcen aufgebraucht, kaputt gemacht und umorganisiert. Arbeitsplätze verschwanden aus ganzen Landstrichen und mit ihnen der Lebensunterhalt. Fünf- bis Sechstausend Hektar große Ackerflächen einiger Siedlungen versorgen inzwischen nicht mehr das Dorf, sondern nur noch vier bis fünf Familien.
Mit der Auflockerung der Arbeitsgesetze machten sie auch jene Arbeitnehmer verwundbar, die ihre Arbeit noch behalten konnten. Die Korruption und die Privatisierung begleiteten die Marktwirtschaft und die Demokratie von ihren ersten Schritten an bis zur Verteilung der Unionsgelder.
Um ihre Macht zu erhalten, griffen sie zu unterschiedlichen, aber gleichermaßen schädlichen Mitteln: Gyurcsány, die MSZP und die SZDSZ konnten 2006 an der Macht bleiben, indem sie den multinationalen Firmen bedingungslos zu Diensten waren und den Staat und seine Bewohner hemmungslos in die Verschuldung trieben. Orbán und der Fidesz konzentrierten die restliche Macht des Nationalstaates erfolgreich darauf, die Banken, die internationalen Händler und Dienstleistungsfirmen steuerlich auszunehmen. Mit den produzierenden Multis schlossen sie einen Kompromiss – am „Wettbewerbsvorteil“ der billigen Arbeitskräfte versuchten sie gar nicht erst zu rütteln. Die Basis ihrer Macht, besteht aus der nationalen Oligarchie, die mit öffentlichen Geldern gemästet wurde, sich in den Haaren liegt und Ressourcen verschleudert sowie aus der örtlichen Klientel der politischen Institutionen. Die Ausgaben sind so hoch, dass sie das wirtschaftliche Wachstum auffressen und den einheimischen Marktwettbewerb und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit oder gar das Anschließen daran unmöglich machen.
Orbán setzt auf den Nationalstaat
Orbáns Regierung hat den Linken allerdings gezeigt: Da es eine Weltregierung und globale Wahlen nicht gibt und auch noch lange nicht geben wird, ist der Nationalstaat noch längst kein Auslaufmodell. Man kann die vom Volk erhaltene politische Macht durchaus nutzen – eventuell sogar für etwas Gutes. Doch nicht nur der Nationalstaat gehört noch nicht auf den Müll, auch die traditionellen linken Werte haben durchaus eine Existenzberechtigung. Zum Beispiel die Gleichstellung, die natürlich bei weitem nicht tatsächliche Gleichstellung bedeutet, noch nicht einmal Chancengleichheit, sondern einfach nur die Verringerung der vorhandenen Ungleichheiten. Oder die Sicherheit, wie auch das Recht auf Arbeit, Wohnung, ein gesundes Leben und eine nachhaltige Umwelt. Wer organisiert eigentlich Demonstrationen für diese Dinge?
Die Arbeit ist ein traditionell linker, aber niemals verjährender Wert. Es wäre ein würdiges Vorhaben, die Ehre der Arbeit wieder herzustellen. Dazu gehört auch, dass arbeitsfähige Personen nur in Ausnahmefällen und vorübergehend Geld ohne Arbeit erhalten. Ein bedingungsloses Grundgehalt würde die Arbeit im Grunde genommen verhöhnen. Warum schinden sich zwei Personen mit 60 Wochenstunden, wenn man mit 35 Wochenstunden auch drei Menschen mit der gleichen Tätigkeit einen Lebensunterhalt bieten kann? Warum muss die Arbeitskraft der Arbeit hinterherrennen, wenn es mit konkreten staatlichen Maßnahmen und der sinnvollen Nutzung von Förderungen und Sanktionen auch andersrum möglich wäre? Gyurcsány hat 2006 auf dem Land gewonnen, indem er in allen Landkreiszentren erklärte, welche Arbeitsplätze die Sozialisten dort aus Unionsgeldern schaffen werden. Das waren damals zwar Lügen – aber wenn es den politischen Willen dazu gäbe, warum sollte es dann grundsätzlich nicht möglich sein? Ich denke oft: Warum ist für die heutigen Linken all das, was es schon gegeben und sich bewährt hat, nicht gut genug?
In Westeuropa und den USA funktioniert es besser als bei uns, und für die Mehrheit ist es gut. Warum ist es aber besser, dass bis 2016 mehr als die Hälfte des globalen Vermögens in den Händen der reichsten Menschen der Welt sein wird, die nur ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen? Warum wäre es kein gutes Ziel, die Mittelschicht auf zwei Drittel der Bewohner zu bringen?
Der nicht besonders charismatische Péter Medgyessy gewann seine Wahlen mit den Stichwörtern „staatliche Mittelschicht“, „Regierungswechsel für Wohlstand“ und „Schließung der Schere zwischen Arm und Reich“. Das sind auch heute noch authentische Bedürfnisse. Aber im Gegensatz zu der Klientel, die auf Macht, Geld und Rache aus ist, haben sie keinen authentischen Sprecher.
„Der Großteil der heutigen „Linken“ ist kein bisschen links“
Das ist kein Zufall. Die aktuellen 1,6 Millionen Linkswähler sind stark gespalten und die äußeren Enden stehen sich ziemlich fern. Es war schon unnatürlich, das unter der Herrschaft von Gyula Horn die neureichen, sozialistischen Oligarchen und der „aufgebesserte“ kleine Mann, der auf ein neues Kádár-System hoffte, miteinander auskamen. Der Großteil der heutigen „Linken“ ist kein bisschen links – der Städter ist mit der ländlichen Bevölkerung nicht solidarisch und der Mittelschichtler bekommt beim Gedanken an Gleichheit Gänsehaut.
Ihre einzige Gemeinsamkeit besteht in der Ablehnung der Orbán-Regierung. Aber so können sie ihre potentiellen Förderer mangels gemeinsamen Programmen, akzeptierten Werten und Vorstellungen nicht einmal ansprechen. Dabei würde es oft schon reichen, wenn man ein nettes Wort von sich geben würde, das potenziellen Sympathisanten zeigen würde, dass sie von ihnen nicht für dumme Bauern, ungebildete Proleten oder für zurückgeblieben gehalten, sondern akzeptiert und in eine Gemeinschaft mit positiver Bedeutung gehoben werden. Orbán wird oft verhöhnt, wenn er sagt „die Menschen“ oder „wir ungarischen Menschen“. Dabei hat es Wirkung und kostet auch nichts. Aber wie kann die Opposition, die sich nur in der Ablehnung Orbáns einig ist, ihre Gefolgschaft nennen? Liebe Orbán-Hasser?
Der Artikel erschien am 5. Dezember in der linksliberalen Tageszeitung Népszabadság.
„Die als „rechts“ etikettierte Partei Fidesz gelangte schließlich mit linken Parolen an die Macht.“
Stimmt, sie hat aber auch teilweise linke Politik verwirklicht. Der eigentliche Grund für Orbáns Erfolg sind nach wie vor das gewaltige Versagen der links-liberalen Regierung zwischen 2002 und 2010, der beinahe Staatsbankrott – und Gyurcsánys Lügenrede von 2006. Sie wird noch lange nachwirken. Der Rechtsruck ist nicht vom Himmel gefallen.
Sind Maggie Thatcher und Viktor Orbán Persönlichkeiten gleichen Geistes?
Bekanntlich hat es Maggie Thatcher immer abgelehnt,
ihre Politik als konservativ etikettieren zu lassen.
Maggie’s politisches Handeln, so meinte sie, sei lediglich Ausdruck von
Common sense, von gesundem Menschenverstand.
Darin lag mehr als nur der Spott über einen politischen Gegner,
dem sie nicht einmal den allergeringsten Wirklichkeitssinn zugestehen wollte;
es war dies auch Zeichen ihrer generellen Abneigung gegenüber Ideologien,
und eben auch konservativer.
Ziel ihrer Politik war kein höheres Programm,
kein Masterplan eines gesellschaftlichen Umbaus.
Thatcher löste lediglich Fesseln, alles weitere würde man sehen.
Eine konservative Idee war das nicht; bestenfalls eine liberale.
UND DER ERFOLG GAB IHR RECHT!
Aus ähnlichem Holz wie Maggie ist,
so scheint mir,
Viktor Orbán geschnitzt.
Auch Orbán’s politisches Handeln ist zuvörderst geprägt
von Common sense, also vom sogenannten gesundem Menschenverstand.
Auch in der BRD gibt es seit einiger Zeit eine Partei, nämlich die AfD,
die diesen Weg unbeirrt verfolgt
Ihre Anhänger hatten genug
von den realitätsfernen Wohlstandsverheissungen des Euro,
während immer neue Milliarden für Banken,
betrügerische Südstaaten und eben jene EU-Verwaltung bewilligt wurden,
die dieses Chaos zu verantworten hat;
und sie hatten auch genug
vom neo-liberalen Mantra des ‚Marktes’, dem sich alles unterwerfen müsse,
wie auch vom verantwortungslosen Gerede,
wonach nur die EU den Frieden bewahren könne.
Ebenso un-ideologisch agiert die AfD bislang in der ‚Flüchtlings’-Frage.
Während CDU/SPD, GRÜNE und LINKE
Willkommenskultur und Humanität zur Staatsraison ausriefen,
wies die AfD standhaft auf die Überforderung der Kommunen hin
sowie auf den offenen Rechtsbruch, den die Öffnung der Grenzen bedeutet.
Politisches Handeln ist für die AfD keine Frage religiöser (Barmherzigkeit)
oder weltlicher (Solidarität) Ideologie,
kein Mittel zum Zwecke einer multikulturellen Gesellschaft
oder der Überwindung des Nationalstaates, sondern nüchterne Rechtsstaatlichkeit.
Staatliches Handeln ist daran gebunden,
was das Parlament in Gesetzen beschlossen hat.
Niemand darf sich darüber hinwegsetzen, nicht einmal im Notfall.
So hält die AfD auch in der Flüchtlingsfrage die Tür zur Ideologie fest verschlossen.
UND DAS IST GUT SO!
Verfasser: Nikolaus Fest
http://nicolaus-fest.de/
Ich persönlich mag die Eiserne Lady nicht besonders. Andererseits war sie wenigstens ehrlich genug, die deutsche Wiedervereinigung offen zu bekämpfen, anstatt wie die Franzosen den guten Freund Deutschlands zu spielen und im Hintergrund zu intrigieren. Beim Krieg um die Falklandinseln pfiff sie auf die öffentliche Meinung und setzte die Interessen ihres Landes durch; viele der wirtschaftlichen Erfolge, mit denen sich Blair brüstete, waren Spätfolgen von Maggies Reformen. Mit diesem Vergleich ist Orbán also gut bedient.
Hallo, ich komme aus Deutschland und ich sag es ganz offen, ich finde die politische Haltung von Herrn Orban für vollkommen richtig und würde mir auch für Deutschland eine Führungsriege nach ungarischen Vorbild wünschen, weiter so und sich von Merkel und Helfershelfern unterbuttern lassen.
Wenn dann schon bitte komplett, denn was einige der AFD’ler inzwischen von sich geben hat nichts mehr mit Realismus zu tun, sondern einzig und allein mit dem Wecken von Emotionen und Ängsten, für die leider sehr viele Menschen anfällig sind, die sich mit Bild und deutsche-wirtschafts-nachrichten Meldungen meinen genug informiert zu haben.
Ebenso unideologisch agierte die AfD bisher in der ‚Flüchtlings’-Frage. Während Koalition, GRÜNE und LINKE Willkommenskultur und Humanität zur Staatsraison ausriefen, wies die AfD standhaft auf die Überforderung der Kommunen hin sowie auf den offenen Rechtsbruch, den die Öffnung der Grenzen bedeutet. Politisches Handeln war für die AfD keine Frage religiöser (Barmherzigkeit) oder weltlicher (Solidarität) Ideologie, kein Mittel zum Zwecke einer multikulturellen Gesellschaft oder der Überwindung des Nationalstaates, sondern nüchterne Rechtsstaatlichkeit. Staatliches Handeln ist daran gebunden, was das Parlament in Gesetzen beschlossen hat. Niemand darf sich darüber hinwegsetzen, nicht einmal im Notfall. So hielt die AfD auch in der Flüchtlingsfrage die Tür zur Ideologie fest verschlossen.
Das scheint sich zu ändern. Wenn Flüchtlingspolitik nicht mehr mit schlichten rechtsstaatlichen Argumenten begründet wird, sondern mit biologistischen, ethnischen oder sonstigen, wissenschaftlich nicht verifizierbaren Erklärungen, geht die Partei genau den Schritt, den Thatcher ablehnte. Und sie überschreitet damit auch die Grenze, die sie momentan von der Weltanschauungs- und Weltbeglückungspolitik der anderen Parteien unterscheidet. Das würde ihren Charakter grundlegend ändern – und für viele wohl auch ihre Wählbarkeit.
Die Frage ist aber, was Thatcher JETZT UND IN DIESEM UNSEREN DEUTSCHLAND tun würde. Ich bezweifle, dass ihre Politik, die für die speziellen Probleme Großbritanniens der 80er konzipiert war, in diesem Fall überhaupt greifen würde. Die Lady hat sich einige Kraftsprüche geleistet und diesen oft genug auch Taten folgen lassen…können sie sich vorstellen, was sie als Französin nach den Anschlägen von Paris gesagt und getan, wie sich nach den Abscheulichkeiten in Köln, Hamburg und anderswo reagiert hätte?
Wenn die deutsche Regierung nicht aufhört, unglaublich blöde Beschwichtungen und Phrasen abzusondern, wird die AfD sehr weit rechts überholt werden von Bewegungen, die dann niemand mehr steuern oder zügeln kann.