Das Zentralamt für Statistik (KSH) hat eine umfassende Studie zur Einkommenslage der ungarischen Privathaushalte vorgelegt. Demnach ergab sich 2014 ein Nettoeinkommen pro Kopf von 1,1 Mio. Forint (3.550 Euro). Das waren in Forint ausgedrückt 4,8 Prozent mehr als 2013. Angesichts der um 0,2 Prozent sinkenden Verbraucherpreise legten die Einkommen somit real um 5 Prozent zu.
Um normal über die Runden zu kommen, kalkulierten die ungarischen Familien mit Nettoausgaben von 114.000 Forint pro Kopf und Monat, das absolute Minimum waren 63.000 Forint. In Zentralungarn mit der Hauptstadt Budapest und ihrem „Speckgürtel“ lagen die Jahreseinkommen erwartungsgemäß am höchsten (durchschnittlich 1.254.000 Forint netto pro Kopf), ungefähr ein Drittel über dem Landesdurchschnitt, und in der Nördlichen Tiefebene mit 910.000 Forint am niedrigsten. Als durch Armut und soziale Ausgrenzung gefährdet sah das KSH 2014 landesweit 28,2 Prozent der Ungarn an, immerhin 3,6 Prozentpunkte weniger als noch 2013. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, Familien mit Alleinerziehern, Arbeitslose und Roma. Unter der Armutsgrenze von 844.000 Forint (2.720 Euro) lebten 1.450.000 Menschen. Materielle Not litten gar 1.880.000 Ungarn, vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt waren hingegen nur 690.000 Menschen. Die dauerhafte Einkommensarmut war in Ungarn aber weniger verbreitet als im EU-Durchschnitt.
2014 Konsumniveau von 2008 erreicht
Die Konsumausgaben der Privathaushalte nahmen 2014 im zweiten Jahr in Folge spürbar zu (+4,4 Prozent). Mit einem Konsumniveau von 908.000 Forint (knapp 3.000 Euro) pro Jahr und Kopf wurde annähernd jenes Niveau erreicht, auf dem sich die ungarischen Familien beim Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 befanden. Darunter wandten die Ungarn für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke im Schnitt 210.000 Forint, für Wohnen und Energie 209.000 Forint und für den Verkehr 114.000 Forint auf. Da die Aufwendungen für die Wohnhaltung innerhalb der Gesamtausgaben um mehr als anderthalb Prozentpunkte zurückgingen, blieb den Familien mehr Geld für andere Zwecke, das in erster Linie für Telekommunikationszwecke eingesetzt wurde. Die zur obersten Einkommensschicht (Quintel) gehörenden Haushalte gaben 3,4-mal mehr Geld für den persönlichen Bedarf aus, als die Haushalte des untersten Einkommensfünftels. Dieser Faktor lag 2013 noch bei 3,1, so dass die Einkommensunterschiede zunahmen, wobei jedoch sämtliche Bevölkerungsschichten eine günstigere Verbrauchsstruktur aufweisen konnten. Ein Problem stellten im Vorjahr noch immer die hohen Kreditlasten dar, die statistisch betrachtet die „traditionellen“ Ausgaben um 3,8 Prozent oder pro Kopf um 34.000 Forint anhoben.
Mit ihrem Leben sind die Ungarn – auf einer Skala von 0 bis 10 – zu durchschnittlich 6,1 Punkten zufrieden. Das subjektive Wohlbefinden nimmt vom jungen Erwachsenenalter hin zur Altersgruppe der 45-54-Jährigen systematisch ab, außerdem fühlen sich die Menschen in größeren Städten wohler als auf dem Lande. Diese Diskrepanz zeigt sich ebenso im Vertrauen zu anderen Menschen. Binnen zwei Jahren um markante zehn Prozentpunkte auf 74 Prozent stieg das Sicherheitsgefühl der Bürger. Relevanz für die Einkommenslage besitzt die Beschäftigungsquote, die nach dem Jahrzehnthoch von 50,9 Prozent in 2006 stetig abwärts zeigte, ehe 2012 ein markanter Aufschwung einsetzte. Der bescherte 2014 auf 54,1 Prozent den höchsten Wert der vergangenen 25 Jahre – mehr als 4,1 Millionen Ungarn standen nun in Lohn und Brot. Zusammen mit der Entwicklung des Wirtschaftswachstums spiegelten sich diese Prozesse in der Einkommensposition der Haushalte wider. Schon ab 2004 konnte die Dynamik der Realeinkommen mit jener des BIP nicht länger mithalten, ab 2007 fielen die Einkommen dann real zurück. Erst 2013 fand dieser Niedergang ein Ende, 2014 lagen die Nettoeinkommen zu vergleichenden Preisen erstmals höher als 2005/06.
Mehr für Kinder, weniger für Arbeitslose
Das KSH wies in seiner Studie eindeutig nach, dass der Anteil des Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen der Haushalte höchste Relevanz besitzt. In den Krisenjahren spielten Sozialhilfen eine wachsende Rolle, die 2010 einen Rekordanteil von 32,4 Prozent am Gesamteinkommen erreichten. Seither hat der Anteil an Arbeitseinkommen wieder um gut drei Prozentpunkte zugelegt. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass auf die Gesamtbevölkerung bezogen 24,2 Prozent aller Einkommen Rentenbezüge darstellen. Infolge der zur Priorität erklärten Familienpolitik der Orbán-Regierung beliefen sich die Familienzuwendungen (Kindergeld etc.) 2014 pro Kopf bereits auf 58.000 Forint. Umgekehrt machte sich auch die rigorose Kürzung des Arbeitslosengeldes in der Statistik bemerkbar: Pro Kopf der Bevölkerung wurden unter diesem Titel 2012 noch knapp 11.000 Forint im Jahr gezahlt, 2014 waren es kaum mehr als 8.000 Forint.
Im Falle des ärmsten Zehntels der Gesellschaft hing das Einkommen zu 56 Prozent von staatlichen Beihilfen ab, doch selbst bei den reichsten Haushalten machten diese noch immer 21 Prozent aus. Dabei leben mit im Schnitt 3,5 Personen rund doppelt so viele Menschen in den einzelnen Haushalten der Ärmsten, wie in jenen der Reichsten. Ungeachtet der nicht zu verkennenden Bemühungen, die Familien mit Kindern besser zu stellen, erreichten in solchen Haushalten die Pro-Kopf-Einkommen auch 2014 erst 76,7 Prozent des landesweiten Durchschnitts. Kinderreiche Familien (mit drei und mehr Sprösslingen) müssen gar mit 60 Prozent auskommen, was pro Kopf jährlich weniger als 660.000 Forint netto sind. Benachteiligt sind zudem Familien Alleinerziehender, die sich mit 68,8 Prozent des „normalen“ Einkommens begnügen müssen. Entgegen der landläufigen Meinung sind die 1,3 Mio. Rentnerhaushalte besser gestellt, deren Nettoeinkommen von 1,245 Mio. Forint ein Achtel über dem Standard rangierte.
Nach dem Gini-Koeffizienten der Ungleichheiten in der Einkommensverteilung lag Ungarn 2014 mit 28,2 Prozent im Mittelfeld der EU. Eine gerechtere Einkommensverteilung wiesen wenig überraschend die skandinavischen Länder, aber aus der engeren Region auch Slowenien, Tschechien und die Slowakei bzw. sogar Österreich auf. In Deutschland (30,7 Prozent) und Polen verhielt es sich schlechter, ganz zu schweigen von Ländern wie Rumänien oder Bulgarien, aber auch ganz Südeuropa. Freilich hat die Krise ihre Spuren hinterlassen: Die Zahl der Ärmsten und der Reichsten innerhalb der ungarischen Gesellschaft legte seit 2008 jeweils um die Hälfte zu, der Anteil der Mittelschicht fiel von knapp 40 Prozent auf ein Drittel zurück.
Ungarn hat sich im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ verpflichtet, den Anteil der in Armut oder sozialer Ausgrenzung lebenden Bürger innerhalb eines Jahrzehnts um 5 Prozentpunkte zu senken. Von allen drei Dimensionen der Armut (niedriges Einkommen, materielle Deprivation, geringe Arbeitsintensität) waren 2014 noch 3 Prozent der Bevölkerung betroffen, immerhin 166.000 Menschen weniger als im Jahr davor. Noch immer 7,1 Prozent der Bevölkerung leiden unter zwei Dimensionen, vornehmlich unter schwachen Einkünften und materiellen Nöten infolge von Zahlungsrückständen auf Kredit oder Wohnnebenkosten oder unverhoffter Ausgaben. Die Armut berührt 36 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, dabei waren gegenüber 2012 nahezu 150.000 weniger Kinder diesem Risiko ausgesetzt. In einer ähnlich schweren Lage befinden sich auch junge Erwachsene (von 18-24 Jahren).
Die eindeutigste Korrelation besteht zwischen dem Schulabschluss und der Armut bzw. Ausgrenzung, da diese Erscheinungen nahezu jeden zweiten Bürger mit bestenfalls Grundschulabschluss, aber nur jeden zehnten mit Hochschulabschluss treffen. Wer seinen Job verliert, ist dem Armutsrisiko vierfach stärker ausgeliefert. Unter den Berufstätigen und Rentnern gehört derweil weniger als ein Fünftel zur Risikogruppe. Bei den Angehörigen der Roma-Minderheit über 16 Jahren liegt das Armutsrisiko dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt, weil hier eine höhere Kinderzahl mit niedrigem Schulabschluss und hoher Arbeitslosigkeit zusammentrifft.
Anzeichen materieller Deprivation
Im Jahre 2014 bereitete es noch immer 71 Prozent der Haushalte Schwierigkeiten, unerwartete Ausgaben in Höhe der Armutsschwelle von 70.000 Forint in einem Betrag zu stemmen. 55 Prozent der Familien konnten sich keinen einzigen Wochenurlaub im Jahr leisten, 24 Prozent aßen zu wenig Fleisch, 22 Prozent hatten Zahlungsrückstände, 20 Prozent entbehrten eines Autos, zehn Prozent konnten ihre Wohnung nicht ausreichend beheizen. Von schwerer materieller Deprivation, d. h. dem Verzicht auf mindestens vier der neun relevanten Faktoren (außer den Genannten noch Telefon, Waschmaschine und Farb-TV), war nahezu jeder fünfte ungarische Haushalt betroffen.