Erklärung von Personen, die nahe Mitarbeiter des ersten Ministerpräsidenten nach der Wende waren.
Mehrere enge Mitarbeiter des ersten Ministerpräsidenten des demokratischen Ungarn, József Antall, haben sich in einer öffentlichen Erklärung gegen Unterstellungen des Staatsfernsehens gewandt, die Antall in einem schlechten Licht darstellen, dessen Regierung das Nationalvermögen verschleudert und verscherbelt haben soll. Das Duna TV bezeichnete den Premierminister der bürgerlichen Koalitionsregierung unter Führung des MDF (1990-1993) als naiv und beeinflussbar. Gegen diese neuerdings regelmäßig wiederholten Behauptungen protestierten u.a. die Minister der Antall-Regierung, Péter Ákos Bod (Industrie), Péter Boross (Inneres) und Géza Jeszenszky (Auswärtiges), mehrere Botschafter und Staatssekretäre, darunter der spätere Außenminister der Orbán-Regierung, János Martonyi, und Berater wie György O’sváth.
In der Sendung „Freiheitsplatz 1989“ erklärt jener László Bogár, der zwischen 1990 und 1994 als politischer Staatssekretär im damaligen Außenhandelsministerium beschäftigt war, Ungarn habe mit der Wende so viel Nationalvermögen wie im Zweiten Weltkrieg verloren. „Wohltätige“ Investoren hätten alles unter Wert aufgekauft, riesige Profite außer Landes gebracht, Firmen in den Konkurs gestoßen. Im Duna TV wird Bogár bescheiden als Parlamentsabgeordneter angeführt, um seine Position in der Antall-Regierung zu kaschieren. Wenn aber die Politik den Ausländern, namentlich amerikanischen Geschäftskreisen um Ex-Botschafter Mark Palmer, das Nationalvermögen auf unverantwortliche Weise überlassen habe, warum protestierte Bogár nicht dagegen, warum blieb er bis zuletzt im Amt?
Antall einigte sich mit den Liberalen
Der Politologe Tamás Fricz bekräftigte die Suggestivfrage des Moderators, wonach Antall den Pakt mit dem liberalen SZDSZ, infolgedessen Árpád Göncz 1990 Staatspräsident wurde, auf Druck ausländischer Bankiers geschlossen habe. Dabei bedurfte es auf der Grundlage der damaligen Verfassung für nahezu sämtliche Gesetze einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Antall einigte sich mit den Liberalen auf den 56er Kleinlandwirt Göncz, wofür diese im Tausch zuließen, für die Regierungsarbeit grundlegende Gesetze an eine einfache Mehrheit zu knüpfen. Die Alternative zu diesem „Pakt“ wäre eine Große Koalition mit dem SZDSZ gewesen, die den Liberalen weitaus mehr Einfluss geboten hätte.
Den größten Druck übte 1990 die von den Kommunisten vererbte Wirtschaftslage mit den höchsten Pro-Kopf-Staatsschulden in ganz Europa und einer ausgeräuberten Staatskasse aus. Fricz behauptete, das dankbare Deutschland habe Ungarn 3 Milliarden D-Mark und einen teilweisen Schuldenerlass angeboten, was Antall als „Gentleman“ abgelehnt habe. Solche galanten Angebote hat es in Wirklichkeit nie gegeben – auch von einem teilweisen Schuldenerlass war nie die Rede, wie es heute auch im Falle Griechenlands nicht der Fall ist. In Wirklichkeit wies Helmut Kohl ein Hilfeersuchen Antalls zur Belebung der Wirtschaft im Volumen von 3 Milliarden Dollar im Namen der G7 zurück.
Antall brach mit Soros
Angesprochen wurde bei Duna TV noch jene Offerte von György Soros, der an der Spitze einer Investorengruppe die ungarischen Staatsschulden „kaufen“ wollte, im Tausch für das Gros der Geschäftsanteile an der ungarischen Industrie und des Nationalvermögens. Weil es aber Antall war, der diese „Offerte“ aufs schärfste zurückwies, kam es zum Bruch zwischen Soros und der Antall-Regierung. Im Staatsfernsehen wurde zudem das Stereotyp bedient, gewissermaßen das „internationale jüdische Kapital“ habe Ungarn kaputtgemacht. Das aber ist nicht nur böswillig und demagogisch, es lässt die Sendung auch als unwissend und unglaubwürdig erscheinen.
In Wahrheit musste das von den Kommunisten ohne jede Gegenleistung verstaatlichte Vermögen in der Marktwirtschaft auf jeden Fall in Privathand gegeben werden. Die Antall-Regierung stoppte binnen kürzester Zeit die im Umfeld der Wende einsetzenden Vermögensverschiebungen. Die Privatisierung ist überall auf der Welt ein Prozess, der mit Streitigkeiten und Missbrauch einhergeht. Dennoch darf man wohl sagen, dass sie innerhalb der Region hierzulande in der korrektesten und effizientesten Form vor sich ging. Für die Abwicklung der Privatisierung war der Minister ohne Geschäftsbereich, der spätere Staatspräsident Ferenc Mádl, zuständig.
Ansiedlung ausländischer Unternehmen gefördert
Es gab keine lebensfähige Alternative zur Liquidation der rote Zahlen schreibenden, nicht mehr zu rettenden Unternehmen. Dennoch ließ die Antall-Regierung im Falle von einhundert Gesellschaften von nationaler Bedeutung sowie der öffentlichen Versorgungsunternehmen – im Gegensatz zu der 1994 antretenden sozialistisch-liberalen Koalition – ausländische Mehrheitsanteile nicht zu. Stattdessen förderte sie Ansiedlungen ausländischer Unternehmen, woraufhin nicht etwa „Ausbeuter“ wie bei Duna TV dargestellt, sondern Großunternehmen wie Audi, Suzuki, Samsung oder GM ins Land kamen, die bis heute maßgeblich für die ungarische Wirtschaftsentwicklung sind.
Um die vererbten und erdrückenden Staatsschulden unter Kontrolle zu bekommen, schloss die Antall-Regierung eine harte, aber erfolgreiche Vereinbarung mit dem IWF. Beim Regierungswechsel 1994 waren die Devisenreserven der Nationalbank vervierfacht und gaben wieder Sicherheit für die Finanzierung der Auslandsschulden, während die Einstufung Ungarns bei den Ratingagenturen mit BB+ über jener der Slowakei und Polens lag.
Duna TV erwähnt mit keinem Wort, wie stark sich die Antall-Regierung für die nationalen Interessen und die Stärkung der neuen ungarischen Wirtschaft einsetzte. Damit reiht sich das Staatsfernsehen in die Bemühungen gewisser Kreise ein, die Person und die Politik von József Antall mal offen, mal verdeckt in Misskredit zu bringen. Im historischen Kontext hat die Antall-Regierung den schwersten Abschnitt der ungarischen Wende anständig bewältigt. Das wird auch von der heutigen bürgerlichen Regierung nicht in Zweifel gezogen, deren Spitzenpolitiker immer wieder hervorgehoben haben, die Antall-Regierung sei der Vorbote ihrer Anstrengungen für einen „echten Systemwechsel“ gewesen. Auch persönlich bezeugen sie ihren Respekt vor der menschlichen Größe und dem Werk József Antalls, denn schließlich haben sie mit ihm gemeinsam nicht nur eine harte Schlacht bei der Begründung der neuen ungarischen Demokratie geschlagen.
Jene ungarische Mitte, die das Gros der gesellschaftlichen Unterstützung für die Antall-Regierung stellte, bildet auch heute das Rückgrat der konservativen Orbán-Regierung. Deshalb beleidigen die Verleumdungen im Staatsfernsehen nicht nur die oben genannten Mitstreiter Antalls, sondern verletzen ebenso den Gerechtigkeitssinn eines bedeutenden Teils der ungarischen Gesellschaft.
Die hier in Auszügen wiedergegebene Erklärung erschien am 25. November in
der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet.