Viele Leute haben schon von Crowdfunding gehört, aber nur wenige können genau erklären, was es bedeutet. Man kann in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld damit einnehmen, aber es ist viel mehr als nur eine Online-Spendensammlung. Inzwischen gibt es einen diversifizierten Markt mit sehr unterschiedlichen Modellen. Sind Banken für die Unternehmensfinanzierung bald überflüssig?
2.437.429 US-Dollar. So viel nahmen die Entwickler der Virtual Reality-Brille Oculus Rift im Jahr 2012 innerhalb weniger Stunden auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter ein. Keine zwei Jahre später kaufte Facebook das Unternehmen – für zwei Milliarden Dollar. Es ist die Geschichte eines kometenhaften Aufstiegs, der ohne Crowdfunding nicht möglich gewesen wäre. Deshalb, so schließt Frank Webster seine kurze Geschichte von Oculus Rift, sei die wichtige Zahl nicht zwei Milliarden, auch nicht zweieinhalb Millionen – sondern 9522. So viele Menschen hatten nämlich auf Kickstarter eine Oculus-Rift-Brille gekauft; ein Produkt, das bis dahin erst als Prototyp existierte. Als beeindruckender Prototyp, zugegeben, aber wie viele gute Ideen sind schon gescheitert, weil sich kein Geldgeber fand? „Aber diese 9522 Leute zahlten insgesamt zweieinhalb Millionen Dollar, damit es diese Brille geben sollte. Jeder von ihnen zahlte etwa 300 US-Dollar nur für die pure Möglichkeit, sie eines Tages in den Händen halten zu können!“
Die Zuhörer in der Bar „|3|“ hören Frank Webster gebannt zu. Viele von ihnen haben selber ein kleines Start-up, oder sie haben eine Idee, oder sie denken, dass sie vielleicht mal eine Idee haben könnten. Das urban-stylische |3| liegt schräg gegenüber vom Szimpla Kert, mit dem der kometenhafte Aufstieg der sogenannten Ruin Pubs begonnen hat. Kreative Köpfe fühlen sich hier (immer noch) wohl, und an diesem Abend treffen sich viele davon beim „Maker‘s Hub“. Der Maker‘s Hub will ein „Start-up cowork and community center“ sein, hier sollen sich junge Unternehmer mit ihren Ideen vernetzen und Rüstzeug für die Verwirklichung ihrer Vision erhalten. Aber das Business ist hart. Nur ein Bruchteil der vielen Initiativen wird überleben. Die meisten scheitern oftmals schon, wenn die nötigen Investitionen die eigenen Rücklagen oder die eigene Risikobereitschaft überschreiten. Kredite von Banken sind nur schwer zu erhalten, man muss hohe Sicherheiten vorweisen und die Zinsen fressen schnell die vorerst mageren Gewinne auf. Crowdfunding ist die große Hoffnung vieler Start-ups. Und Frank Webster zeigt ihnen, wie es geht.
Crowdfunding ist Ergebnis einer Evolution des Kapitalmarktes
„Wir haben eine Markt-Dysfunktion“, analysiert Webster. „Wir haben überall auf der Welt großartige Ideen, aber Investoren sind nicht überall. Dabei hätten genug Menschen das Kapital. Viele könnten investieren, aber nur wenige tun es. Denn es ist hart, ein guter Investor zu sein.“ Wie solle ein Investor in London beurteilen können, ob zum Beispiel eine in Wirklichkeit großartige Idee eines indischen Informatikers in Indien funktionieren wird? Der Gründer von Airbnb (Plattform, auf der Privatleute ihre Wohnungen und Zimmer vermieten können) hat neulich sieben E-Mails von Investoren aus dem Silicon Valley veröffentlicht, in denen seine Idee abgekanzelt wurde. Die 2008 gegründete Firma ist heute geschätzte 25 Milliarden Dollar wert. „Investoren sind auch nur Menschen“, folgert er. „Sie haben keine magischen Einsichten, was funktionieren wird und was nicht.“ Crowdfunding sei die logische Konsequenz. Webster nennt es eine „Evolution“. Der Kapitalmarkt verschiebt sich ins Internet, „weil das effizienter ist.“ Oculus ist das beste Beispiel: 9522 Nerds können sich nicht irren! Die spektakuläre Kampagne bei Kickstarter machte institutionelle Investoren aufmerksam. Der Rest ist Geschichte. „Crowdfunding ist ein Test”, meint Webster. „Sie haben dafür bezahlt, dass es existiert und haben es damit zum Explodieren gebracht.“
„So what’s the problem?“
Das einzige Problem ist, so Webster, dass die 9522 Pioniere keinen Anteil am Erfolg des Unternehmens haben. Außer, dass sie jetzt tatsächlich bald – angeblich im Frühjahr 2016 – ihre Oculus-Rift-Brille bekommen. Wenn sie aber für ihre 300 US-Dollar statt einer Brille Anteile an der Firma gekauft hätten, könnten sie sich nun über einen Firmenanteil im Wert von 20.000 US-Dollar freuen. „Damit könnten sie sich gleich Dutzende dieser innovativen Brillen kaufen. Aber sie bekommen nichts für ihr Risiko. Außer dem warmen Gefühl, zu den allerersten gehört zu haben.“
Inzwischen gibt es deshalb auch andere Crowdfunding Modelle (siehe Infobox). Websters Firma Seedrs bietet Investitionen in Startups an, die vielleicht das nächste Oculus Rift sind. Der Investor erhält Unternehmensteile. Dieses Feld des Risikoinvestments war bisher nur wenigen Menschen offen. Doch über Seedrs kann jeder investieren, und zwar schon Beträge ab 10 US-Dollar. Unabhängig von der Höhe ihrer Investition werden alle Anleger durch Seedrs vertreten, so dass Entscheidungen mit minimalem Aufwand getroffen werden können. Das ist ein großer Unterschied zur klassischen Aktie, wo man Mitsprache und Dividenden erhält.
Ob man sein über Seedrs investiertes Geld jemals wiedersieht, ist hingegen mehr als ungewiss. Acht von zehn Investments zahlen sich wohl niemals aus, schätzt Webster. „Invest in businesses you believe in“ heißt es dementsprechend auf der Webseite von Seedrs. Gerade haben sie über Seedrs 4 Millionen Euro eingesammelt für eine Firma, die englischen Wein herstellt. „Unterschätzt nicht, wie schwer das war“, warnt Webster. „Es ist harte Arbeit, Menschen von der eigenen Vision so zu überzeugen, dass sie bereit sind, Geld in Dich zu stecken. Aber es kann funktionieren.“
Auch ungarische Start-ups sind mit Crowdfunding erfolgreich
Von so einem Beispiel aus Ungarn berichtete Marcell Pál. Er hatte vor einigen Jahren mit ein paar Freunden die Idee, für sich selber Bier zu brauen. Sie bauten eine Maschine, sie funktionierte gut. Dann entstand die Idee, sie zu vermarkten. Der „Brewie“ war geboren. „Doch was macht ein Produkt ‚crowdfundable‘?“ fragt Pál. Stimmt das Produkt, das Team, die Ressourcen? „Sicher hatten schon hunderte Leute diese brillante Idee, eine Maschine zu konstruieren, die dich mit unendlich viel Bier versorgt – aber sie hatten damit keinen Erfolg.“ Doch der Brewie hatte Erfolg: in der ersten Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter konnte das Team etwa 250.000 US-Dollar einsammeln und in zwei weiteren insgesamt über 650.000 US-Dollar. Damit ist es das bisher erfolgreichste ungarische Crowdfunding-Projekt.
Man darf gespannt sein, welche Projekte die große Budapester Start-up-Szene noch hervorbringen wird. Vielleicht saß ja ein Gründer von einem dieser Projekte an diesem Abend im Maker’s Hub. Wir halten Sie im Rahmen unserer Start-up-Serie auf dem Laufenden!
Crowdfunding
Crowdfunding bezeichnet eine Art von Firmenfinanzierung durch eine Vielzahl von Geldgebern, die meist über das Internet gefunden werden. Es werden verschiedene Formen unterschieden:
Donation-based: Der Geldgeber erhält eine Spendenquittung.
Reward-based: Der Geldgeber zahlt im Voraus für ein Produkt, das er sonst nicht kaufen könnte.
Debt-based: Der Geldgeber erhält seine Investition mit Zinsen zurück.
Equity-based: Der Geldgeber erhält eine Unternehmensbeteiligung.