Weihnachten steht vor der Tür. Die Weihnachtsmärkte haben geöffnet, draußen wird es stetig frostiger und vielerorts bekommt man einen heißen Glühwein zum Aufwärmen. Damit verbunden ist allerdings auch der alljährliche Stress, seinen Liebsten ein Geschenk unter dem Weihnachtsbaum zu präsentieren. Ein besonderer Geschenketipp sind die Zeichnungen von Grafikdesigner und Architekt Béla Magyar: Diese erzählen nicht nur die Geschichte einer Stadt, sondern auch die eines Mannes, der einst am Boden war.
Bahnt man sich seinen Weg auf der Deák Ferenc út Richtung Vörösmarty tér, kommt man an den Marktbuden vorbei, die nicht nur traditionelle ungarische Köstlichkeiten, sondern auch allerlei handgefertigte Waren anbieten: Spielzeuge, Töpferwaren, Seifen und vieles mehr. Mittendrin verkauft auch Béla Magyar in diesem Jahr seine Kunstwerke. Kaum jemand, der an der mit Lichterketten und Tannenzweigen geschmückten Holzhütte vorbeikommt, kann weitergehen, ohne einen Blick auf die bunten Silhouetten Budapests zu werfen.
Bis ins Detail
„Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Bilder einmal verkaufen würde“, erzählt der mittlerweile 61-Jährige. Angefangen zu zeichnen habe er während seines Architekturstudiums Mitte der 70er Jahre, und „weiß heute nicht einmal mehr warum“. Später begann er als Grafikdesigner zu arbeiten und legte Stifte und Papier 1986 für über 25 Jahre beiseite. „Ich habe das Malen völlig vergessen“, erzählt er. Während des Kommunismus waren seine Gebäudedesigns und seine Vorstellung von Ästhetik, die Verbindung verschiedenster Materialien, nicht anerkannt. „Nicht einmal meine Lehrer mochten meine Designs“, erinnert sich Magyar. Dennoch: Als ausgebildeter Architekt schlägt sein Herz für Gebäude.
Orientierung findet der Grafikdesigner in den Werken surrealistischer Künstler. Dabei übernimmt er jedoch „nicht die Zeichentechniken, aber deren Denkweise“. Von den Büchern des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Márquez habe er „viel gelernt“. „Er schreibt wichtige Dinge kurz und knapp, manchmal nur in einem Satz. Unwichtige Dinge dagegen beschreibt er manchmal auf mehreren Seiten“, erklärt Magyar. Und so arbeitet auch der Künstler: Große Gebäude mit mehreren Stockwerken zeichnet er nur mit zwei oder drei Etagen, diese dafür aber sehr detailliert, sodass man jeden Mauerstein erkennt. So entdeckt man auch nach häufiger Betrachtung immer wieder etwas Neues. Für Magyar ist Budapest „eine lebende Kreatur mit einer langen Geschichte, die sich stetig verändert“. Er ist in der Stadt aufgewachsen und kennt sie wie seine Westentasche. Diese Geschichte, die sich in den alten, langsam verfallenden Gebäuden wiederspiegelt, soll jedoch nicht in Vergessenheit geraten. In seinen Bildern verarbeitet Magyar allerdings nicht nur die Story, die ihm die Stadt von klein auf erzählt, sondern auch seine ganz persönliche Lebensgeschichte.
Obwohl Magyar anfänglich eher für sich als für die Öffentlichkeit gezeichnet hat, haben seine Zeichnungen ihn immer begleitet. Früher arbeitete er als Redakteur für Architekturmagazine. Später fing er an Zeitungscovers und Logos zu designen. Magyar verbrachte viel Zeit in Druckhäusern und lernte Druckprozesse kennen. „Für mich ist ein Bild erst dann vollendet, wenn es gedruckt ist und nicht, wenn es gemalt ist“, erzählt er. 2013 nahm sein Leben dann jedoch eine dramatische Wendung: Nachdem seine Firma pleiteging, er seinen Job und sein Haus verlor und ihn letztendlich auch noch seine langjährige Partnerin verließ, stand Magyar vor den Trümmern seiner Existenz. Er „wollte nicht länger Obdachlosenzeitungen verteilen“, sondern suchte nach einem Weg, der Spirale aus Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Selbstvorwürfen aus eigener Kraft zu entkommen. Nach fast 30 Jahren ging er in seinen Keller und holte die alten Zeichnungen hervor und gründete sein heutiges Unternehmen „Citygraph“. Er fing an „die Bilder aufzuarbeiten und zu digitalisieren“. „Heute kann ich vom Verkauf meiner Bilder leben“, erzählt Magyar stolz.
Alle Bilder, die Magyar heute verkauft, stammen aus seiner Studienzeit. Sie wurden lediglich digitalisiert, erweitert und gedruckt. „Damals gab es keine Drohnen oder sowas“, deshalb fotografierte Magyar Wohnhäuser, Sehenswürdigkeiten und Co., malte sie nach und fügte die einzelnen Zeichnungen zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Sein bis heute erfolgreichstes Bild ist „Bird’s Eye View Map of Budapest“. Insgesamt 1.000 Arbeitsstunden dauerte es, bis das Bild fertiggestellt war. Da er ja den Entwicklungsprozess Budapests darstellen wollte, nahm er sich auch Bücher mit alten Bildern der Stadt zur Hilfe. So sind auch Details zu finden, „die heute gar nicht mehr existieren“. „Die Leute sollen die Gebäude ganz genau erkennen“, fügt Magyar hinzu.
Eine Metamorphose ist die Anpassung an die jeweiligen Umgebung und Bedingungen. Auch Magyar musste sich neuen Lebensumständen anpassen, als er seinen Job, sein Zuhause, sein altes Leben verlor. Genauso entwickeln sich auch seine Bilder immer weiter. Magyars Zeichnungen sind nicht mehr die, die sie vor 30 Jahren einmal waren. Um sie digitalisieren zu können, zeichnete er sie mit einem technischen Stift komplett neu. Durch diesen Prozess entwickelte er seine Zeichnungen immer weiter und fügte ihnen neue Abschnitte hinzu. Sein Werk „Judith“, das er 1983 angefangen hatte zu zeichnen, verfügt immer noch über viele Freiräume, und wird durch den Künstler immer wieder weiterentwickelt. Bilder, die früher nur schwarz-weiß waren, erstrahlen heute in bunten Farben. Durch die hohe Qualität der Drucke, wie sie die Technik des 21. Jahrhunderts ermöglicht, „können diese bis zu 200 Jahre ohne Farbverlust überstehen“. Neue Bilder zeichnet Magyar momentan nicht, denn er brauchte seine ganze „Energie für den Versuch, wieder auf die Beine zu kommen“. „Aber ich hoffe, dass mein Verkauf bis nächstes Jahr so erfolgreich ist, dass ich wieder neue Bilder malen kann“, fügt er hinzu.
„Ich fühle mich besser denn je. Das ist der beste Teil meines Lebens“, freut sich der Künstler. Mittlerweile ist Maygar nicht nur auf Weihnachts- oder Wochenmärkten anzutreffen. Er unterhält auch einen Webshop und ein Studio in der Hermina Galéria. Zudem beschränkt sich sein Produktangebot nicht nur auf seine gedruckten Zeichnungen: Er bietet auch T-Shirts, Taschen und andere Geschenkartikel mit seinen Motiven an.
Weitere Informationen über den „Citygraph“ Béla Magyar finden Sie unter www.citygraph.net