Die Europäische Kommission hat eine Untersuchung in der Frage der Finanzierung der zwei neuen Reaktoren für das Kernkraftwerk Paks (Projekt Paks II.) eingeleitet, die sich auf verbotene staatliche Zuwendungen bezieht. Die Kommission wird prüfen, ob ein Privatinvestor Paks II. zu ähnlichen Bedingungen finanziert hätte. Sollte der Verdacht staatlicher Zuwendungen zutreffen, werde weiter zu untersuchen sein, ob dadurch der Wettbewerb auf dem ungarischen Strommarkt verzerrt wird. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verwies auf die Größenordnung und Bedeutung des Projekts bzw. machte Zweifel deutlich, ob die ungarische Behauptung marktkonformer Bedingungen bei der Investition zutreffe.
Das Ministerpräsidentenamt reagierte, indem es den „entschiedenen Standpunkt” der Regierung Ungarns betonte, wonach das Projekt Paks II. keine staatlichen Zuwendungen enthalte und diese Investition auch ein rationell vorgehender Investor verwirklichen könnte, weil die erwartete Amortisation über den Kapitalkosten liege. Zu dieser Investition zwecks Erhaltung von Kapazitäten gebe es keine Alternative hinsichtlich Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz. Ungarn ist für einen transparenten und konstruktiven Dialog, wofür die bislang aus Brüssel eingegangenen Genehmigungen für den Vertrag zur Lieferung der Brennelemente und für die Übereinstimmung mit den Zielstellungen des Euratom-Vertrags sprechen.
Das in der vergangenen Woche eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren bezieht sich unabhängig von der oben genannten Prüfung auf die öffentliche Auftragsvergabe beim Paks-Projekt. Die Kommission meldet Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem EU-Vergaberecht an. Die Regierung habe den Bau zweier neuer Reaktoren ohne transparentes Verfahren in Auftrag gegeben. Die Kommission ist der Auffassung, dass die direkte Auftragsvergabe für das Kernkraftwerk-Projekt Paks II nicht mit dem EU-Vergaberecht im Einklang steht (Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG), wonach alle Marktteilnehmer unter fairen Bedingungen an einer Ausschreibung teilnehmen und den Zuschlag erhalten können.
Westliche Konzerne und niedrige Energiekosten
Budapest hat nun zwei Monate Zeit, eigene Argumente in Reaktion auf das Aufforderungsschreiben der EU vorzubringen. Für die eigene Bevölkerung hatte der Premier sogleich das Argument niedriger Strompreise parat, die einzig durch das KKW Paks gewährleistet werden könnten. Außerdem giftete Viktor Orbán nach innen, an seine nationalistisch gesinnten Wähler gerichtet, Brüssel vertrete die Interessen westlicher Konzerne, die dicke Scheiben von dem Großprojekt abhaben wollen. Eine eigene Logik steckt auch hinter dem Gedankengang, dass die EU-Kommission die Politik der sinkenden Wohnnebenkosten torpedieren wolle. Indem sie gegen das Projekt KKW Paks II. vorgehe, treffe sie den Lieferanten des billigsten Stroms für Ungarn, ohne den diese Politik nicht aufrechterhalten werden könne. Wenn hierzulande also künftig die Energiepreise steigen, ist daran Brüssel schuld.
Dann wird Finnland als Beispiel dafür herangezogen, dass Brüssel wie gehabt mit zweierlei Maß misst – denn hoch im Norden werde auch ein Kernkraftwerk gebaut, an dem die Russen nach Fertigstellung sogar ein Drittel der Eigentumsanteile halten werden (wohingegen der ungarische Staat das KKW Paks zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum halten möchte) und wo es erst gar keine Ausschreibung gegeben habe.
Richtig skurril ist das Argument, Brüssel habe doch dem zwischenstaatlichen Vertrag Ungarns mit Russland zugestimmt. Auf dessen Grundlage sei Rosatom zum Bau von Paks II. eingeladen worden. Budapest beruft sich nun auf Artikel 103 des Euratom-Abkommens über Verträge mit Drittstaaten. Niemand könne sagen, Ungarn hätte seine Karten nicht offengelegt. Im Übrigen werde Rosatom zahlreiche Aufträge für Nachauftragnehmer ausschreiben.
Zwei Ohrfeigen sollten genügen
Die kleinen linken Oppositionsparteien forderten die Regierung nach Einleitung der EU-Verfahren auf, die Investition zur Erweiterung des KKW Paks auszusetzen. Die DK von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány äußerte, die Orbán-Regierung sollte „mit zwei Ohrfeigen zufrieden sein und nicht noch die dritte abwarten“. Diese droht ihr wegen der auf 30 Jahre unter Verschluss genommenen Dokumente, die schwerwiegende Umweltprobleme erahnen lassen. Die Linken fürchten, dass Paks den Strom künftig teuer erzeugen wird, während Ungarn sich auf Generationen überschuldet. Das Erweiterungsprojekt sei undurchsichtig und korruptionsverdächtig, es diene ausschließlich den Interessen von Fidesz-Kreisen im Zusammenspiel mit den Russen.