Im Jahr 25 der Deutschen Einheit erinnerte Dr. Heinz-Peter Behr, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, am Montag bei der Enthüllung der Gedenktafeln an die riesige Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit der ungarischen freiwilligen Helfer während ihres Engagement in den vom Malteser Hilfsdienst und vom Roten Kreuz betreuten Flüchtlingslagern.

Ungarischer Premier a.D. Miklós Németh,
deutscher Botschafter Dr. Heinz-Peter
Behr und Malteser-Pfarrer Imre Kozma
bei der Enthüllung der Gedenktafeln.
Vergangenes Jahr, anlässlich des 25. Jahrestag der Eröffnung des ersten Flüchtlingslager im Garten der Pfarrei „Heilige Familie” in Zugliget am 14. August 1989, würdigte die Bundeskanzlerin Angelika Merkel in einer Videoansprache den Beitrag der zivilen Helfer. Die Enthüllung der dazugehörenden Gedenktafeln fiel nun Botschafter Dr. Heinz-Peter Behr zu. Er ist dankbar für die Gelegenheit, da er auf eigene Erfahrungen im Umgang mit den DDR-Flüchtlingen zurückblicken kann. Er war als Mitarbeiter des Wirtschaftsreferates der Deutschen Botschaft im Jahre 1989 mit der Versorgung der in der Deutschen Botschaft Zuflucht suchenden DDR-Bürger beauftragt: „Zeitweise waren bis zu 200 Flüchtlingen in der Botschaft und im Garten der Botschaft in Zelten untergebracht. In leergeräumten Büros mussten jeweils bis zu 20 Menschen übernachten. Wir haben von drei Hotels Essen bestellt. Die Stimmung war angespannt und viele der Flüchtlinge kämpften mit Depressionen, da die Lage ungewiss war. Wir wussten, dass sich auch Mitarbeiter der Stasi unter die Schutzsuchenden gemischt hatten. Diese haben immer wieder versucht, durch Provokationen die Stimmung anzuheizen.”
Da die Zustände in der Botschaft untragbar wurden, wandte sie sich unter Vermittlung von Frau Csilla von Boeselager an Pfarrer Imre Kozma. Frau von Boeselager, die sich den Beinamen „Engel von Budapest” durch ihre karitativen Aktivitäten vor und während der Flüchtlingskrise verdiente, kannte Pfarrer Imre Kozma bereits seit 1987. Er war ihr ungarischer Partner bei der Verteilung von Hilfsgütern, die sie in zahllosen Transporten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Malteser Hilfsdienst nach Ungarn gebracht hatte. Imre Kozma sagte am 13. August 1989 seine Hilfe zu. Einen Tag später suchten bereits 900 Flüchtlinge in Zugliget Zuflucht. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe waren Frau von Boeselager und Pfarrer Kozma zunächst auf die Hilfe der Gemeindemitglieder der Pfarrei „Heilige Familie” angewiesen, denen sich immer mehr freiwillige Helfer anschlossen. Zeitweise waren bis zu 700 Helfer mit der Betreuung der Flüchtlinge betraut. Die Aktivitäten wurden bald vom Malteser Hilfsdienst und vom Roten Kreuz koordiniert.
In das Jahr 1989 fällt auch die Gründung des Ungarischen Malteser Hilfsdienstes, dem Magyar Maltai Szeretetszolgalat (wörtlich: Ungarischer Malteser Nächstenliebe-Dienst), dessen Präsident Imre Kozma noch heute ist. Den abweichenden Namen erklärt er folgendermaßen: „Wir haben nicht nur unsere Tore, sondern auch unsere Herzen geöffnet.”
Wegen der Überfüllung des Flüchtlingslagers in Zugliget wurde am 22. August das Flüchtlingslager in Csillebérc geöffnet, das hauptsächlich vom Roten Kreuz betreut wurde. Dort konnten bis zu 2500 Flüchtlingen untergebracht werden.
Insgesamt wurden vom Malteser Hilfsdienst und vom Roten Kreuz an die 50.000 DDR-Flüchtlinge in den schließlich fünf Lagern (Zugliget, Csillebérc, Leánfaulu, Zanka und Balatonföldvár) betreut. Ein Großteil dieser Menschen ist noch vor der offiziellen Grenzöffnung am 11. September über die grüne Grenze nach Österreich gelangt. András Schumicky, Helfer von damals, erinnert sich: „Uns wurde eine Karte zugespielt, auf der markiert war, wo die Flüchtlinge die Grenze nach Österreich unbehelligt überschreiten konnten. Dies war eine der vielen Hintergrundabsprachen, die auf den unterschiedlichsten Ebenen stattfanden, von denen wir damals aber wenig wussten. Die Grenzsoldaten waren angewiesen in eine andere Richtung zu schauen. Als die Stasi davon erfuhr, hat sie versucht, die Flüchtlinge an der Grenze durch falsche Wegweiser in die Irre zu führen.“
Botschafter Behr fasst die Ereignisse auf politischer Ebene, die zum Anschwellen des Flüchtlingsstromes aus der DDR führten, in seiner Gedenkrede zusammen: „Im Februar entschied das Kommunistische Zentralkomitee der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei ein Mehrparteiensystem einzuführen.“ Einem Vorschlag von Innenminister István Horváth, den Eisernen Vorhang abzubrechen, sei zugestimmt worden. Im März informierte Ministerpräsident Miklós Németh bei einem offiziellen Besuch in Moskau Generalsekretär Gorbatschow über diese Entscheidungen. „Bitte notieren Sie: Er hat nicht um Erlaubnis gebeten, sondern informierte die Sowjetunion über diese Tatsachen“, so der Botschafter nachdrücklich. Im Mai habe die Ungarische Regierung schließlich den Abbau des Zaunes an der österreichischen Grenze verfügt. „Das geschah also zu einer Zeit, als sich bereits zahlreiche DDR-Bürger in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Absicht aufhielten, ihre Ausreise zu erzwingen.”
Das Engagement der Helfer sei damals nicht ohne Risiko gewesen. Die Angst, dass die Ereignisse doch noch eskalieren könnten, war stets präsent. Pfarrer Imre Kozma wiederholt die Frage, die der damalige Botschafter der Bundesrepublik, Otto-Raban Heinichen, an ihn richtete: „Können Sie mir ein anderes Land nennen, das solch ein Risiko auf sich genommen hat, um einem größeren Land zu helfen?” Kozmas Antwort war nein. Boschafter Behr nennt dies „eine einzigartige Erfahrung, für die wir immer dankbar sein werden.“