Wir alle können Helden sein. Es braucht keine Superkräfte, keine Haut, die Kugeln abprallen lässt oder Muskelpakete, es braucht kein Mastermind oder besondere Talente – „du kannst ein Held werden und du kannst heute damit anfangen!“ Das ist die Botschaft, die Sozialpsychologe Philip Zimbardo dem gespannten Publikum am vergangenen Samstag mitgab. Die Holocaust-Überlebende Edith Eger geht sogar noch einen Schritt weiter: Selbst wenn du durch die Hölle gegangen bist, kannst du überleben und ein Held werden.
In den Augen vieler Zuschauer stehen halbunterdrückte Tränen, als Edith Eger die Geschichte ihres Überlebens erzählt. Als jüngste Tochter eines jüdischen Schneiders in Budapest wird die gerade erst 16 Jahre alte Edith nach Auschwitz verschleppt. Nur ihre Schwester, eine begabte Violinistin, kann bei einem Gönner noch vor der Deportation abtauchen. Der Vater, ein störrischer Mann, wird bei Ankunft im Konzentrationslager erschossen, da er sich weigert, seinen Kopf zu rasieren. Die verbleibenden zwei Kinder werden noch an der Rampe zum Lager der Mutter aus den Armen gerissen, die ihren Weg in die Flammen fortsetzt. Was Edith und ihre Schwester Magda rettet: Zufall und Instinkt. Die begabte Edith unterhält Dr. Josef Mengele, Lagerarzt und „Todesengel von Auschwitz“, mit privaten Ballettvorführungen und erhält im Gegenzug ein Stück Brot und noch etwas kostbare Lebenszeit. „Ich habe getan, was Opfer von Gewalt auch tun: Ich dissoziierte – ich stellte mir vor, die Musik sei Tschaikowski und ich selbst stände auf der Bühne der Budapester Oper und tanze die Julia“, so Eger, die heute als Psychotherapeutin arbeitet, über ihre Begegnung mit Mengele.
„Ich bin ein Stein aus Auschwitz“
Während des Vortrages hält Edith Eger einen Stein in der Hand, wie man ihn auch im Schotterbett von Zuggleisen findet. Doch dieser Stein symbolisiert die Quintessenz von Egers Vergangenheit, denn einst war er Teil von Auschwitz, Teil des Pfades, den die zum Tode geweihten auf ihren Weg in die Gaskammern nahmen. Von dort habe sie ihn aufgehoben und mitgenommen als eine Art Glücksbringer. Er soll sie daran erinnern, wie sie es geschafft hatte, ein Leben, das die Hölle auf Erden war, in den Himmel zu verwandeln, so der Psychologe Philip Zimbardo in seiner rührenden Einführung für seine geschätzte Kollegin.

Holocaust-Überlebende Eger: „Wer klein denkt, bleibt klein. Ihr seid kein Stein, der nur passiv zusieht.“
Es ist wundersam, diese Frau vor sich stehen zu sehen: klein und gebrechlich, aber doch so ohne Verbitterung und voller Lebensfreude. Wie zum Beweis, dass Dr. Mengele und die Konzentrationslager sie bis zum heutigen Tag nicht beugen konnten, schnappt sich die 86-Jährige den fünf Jahre jüngeren Zimbardo, um vor den überraschten Augen des Publikums ein Tänzchen aufzuführen.
Heute behandelt Edith Eger in ihrer psychotherapeutischen Praxis vor allem posttraumatische Belastungsstörungen und muss sich oft die Frage stellen: Was macht den Unterschied aus zwischen „Opfern“, die an ihrem Schicksal zerbrechen und den „Überlebenden“, die aus ihren traumatischen Erfahrungen gestärkt hervorgehen? Laut Eger gehen Opfer vor allem daran zu Grunde, dass sie sich nicht von ihrer Vergangenheit loslösen können. Sie können nicht vergeben, starr kreisen ihre Gedanken immer wieder um das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, und Schwierigkeiten in der Gegenwart sehen sie als Resultat der Vergangenheit. Auf die Frage der Budapester Zeitung, ob die Ungarn mit ihrer verlustreichen Vergangenheit Opfer oder Überlebende ihrer eigenen Geschichte sind, antwortet die in Ungarn geborene Eger: „In gewisser Weise sind wir alle Opfer von Opfern. Aber ich denke, die Ungarn sind brilliante Überlebenskünstler. Ich war hier in den 80ern, als die Ungarn Ost- und Westdeutsche in Szeged beim Paneuropäischen Frühstück zusammengebracht haben, und selbst während des Kommunismus‘ florierten die Ungarn und machten das Beste daraus.“
In jedem Ungarn stecke ein Held, meint Eger und fordert ihre Landsleute auf, groß zu denken. „Denn wer klein denkt, bleibt klein. Ihr seid kein Stein, der nur passiv zusieht.“
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„Du bist, was du tust“
Die „Heldenplatz-Initiative“ ist eine Plattform für Einzelpersonen, Zivilorganisationen und Unternehmen, die die Meinung teilen, dass die Welt Alltagshelden braucht, die andere inspirieren und dadurch eine langanhaltende, positive Veränderung erzielen. Jeder kann ein Held sein, wenn er nur die richtige Einstellung verinnerlicht! Doch…
Was hält uns davon ab, Helden zu sein?
Laut der Heldenplatz-Initiative sind es vor allem die folgenden Gründe, die Menschen davon abhalten, anderen in Notsituationen beizustehen:
• Wir nutzen Stereotype um andere und ihre Situation einzuschätzen – „Daran ist der bestimmt selbst Schuld, soll er schauen wie er da ‘raus kommt“
• Wir übernehmen keine Verantwortung für die Situation – „Jemand anders wird schon eingreifen“
• Wir wollen nicht aus der Masse herausstechen – „Wenn keiner etwas tut, dann ich auch nicht“
• Wir glauben, wir können uns oder andere nicht ändern – „Ich war nie Heldenmaterial“
Die Initiative versucht, genau diese Hindernisse durch spezielle Trainings abzubauen. Diese beruhen auf den Forschungsergebnissen des Heroic Imagination Projects (HIP) der Forschergruppe um den weltberühmten Sozialpsychologen Philip Zimbardo. Als Trainer und Berater steht der Amerikaner und „Rockstar der Psychologie“ seinen ungarischen Kollegen zur Seite. Lesen Sie hier demnächst mehr zur Heldenplatz-Initiative.