Áron Nagy
Um ihr Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer der Pariser Attentate auszudrücken, haben Tausende Facebook-Nutzer mit einem einzigen Klick ihre Profilbilder mit den Nationalfarben Frankreichs überzogen. Zuvor konnte auf diese Weise bereits die Solidarität für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Paare ausgedrückt werden. Innerhalb weniger Augenblicke erschienen tausende kleine Regenbögen auf Facebook. Schon damals stellte sich mir die Frage, wie ehrlich die Solidarität der Menschen im digitalen Zeitalter wohl ist. Nach den furchtbaren Attentaten stellte sich mir diese Frage erneut, und so entschied ich mich, ihr ganz offen nachzugehen.
Aber beginnen wir am Anfang: 2014 war das Jahr der Terroristen. Mehr als 30.000 Menschen fielen ihnen bei verschiedenen Angriffen zum Opfer. Die Amokläufe setzten sich auch in diesem Jahr weiter fort. Gleich im Januar wurden von den Bewaffneten des Boko Haram in Nigeria hunderte Menschen gequält und dann ermordet. Im April wurden in Kenia 147 überwiegend christliche Studenten von den Islamisten ermordet. Die Aufzählung ist schmerzhaft lang. Schließlich stürzte in Ägypten eine russische Passagiermaschine mit 224 Menschen an Bord ab, und es kam zu den blutigen Attentaten in der französischen Hauptstadt. Es gab in diesem Jahr bisher also deutlich mehr als nur einen Anlass, um unser Mitgefühl und unsere Empörung auszudrücken. Bis Paris kam das aber kaum jemanden in den Sinn. Genau das sprach ich jetzt auf Facebook an und beobachtete danach die Reaktionen.
Nachdem meine Worte erschienen waren, die meine blau-weiß-roten Bekannten um Auskunft baten, baten sich innerhalb von kurzer Zeit ungefähr 100 von ihnen aus, dass ich über sie annehmen würde, sie wären scheinheilig. Einige erklärten geradewegs, dass ich mich mit meiner Frage sonst wohin scheren sollte. Die Reaktionen waren sehr ähnlich.
Nach Meinung der Mehrheit ändert sich der Wert des menschlichen Lebens in Abhängigkeit davon, ob das Opfer europäisch oder asiatisch ist, oder auf einem anderen Kontinent geboren wurde. Ich erfuhr auch, dass die Franzosen mehr wert sind als die Russen, weil Letztere keine echten Europäer mehr seien. Die Formel ist freilich nicht so einfach: wenn die Russen in Europa umgekommen wären, dann hätte man sie freilich mehr bedauert. Am Ende der Liste befinden sich die Afrikaner und Asiaten, die sich völlig außerhalb des Wirkungsradius unseres Mitgefühls befinden. Schließlich können wir uns ja nicht die Schmerzen der ganzen Welt aufhalsen!
Diese Einschätzungen stammen nicht etwa aus dem Umfeld des Ku-Klux-Klan, sondern von ganz alltäglichen Internetnutzern. Von solchen, die sich aufgrund eines kurzen Blicks auf ihre Seite grundlegend für Humanisten halten. Nur ganz selten kam es vor, dass jemand nicht erklären wollte, warum es moralisch in Ordnung sei, dass ihn die Abschlachtung kenianischer Christen nicht oder kaum berührt. Nur um einem Missverständnis vorzubeugen: ich erwarte von niemandem, dass ihn jede Tragödie gleichermaßen erschüttert. Ich verstehe sogar diejenigen, die im Zusammenhang mit den Pariser Ereignissen betonen: „Ja, aber das geschah hier!“ Ja gewiss, hier. Nur dass der gewaltsame Tod nirgendwo leichter ist, und der Westen eine große Verantwortung dafür hat, dass die Welt in Flammen steht.
Einige aufrichtige Angesprochene erklärten sogar ganz offen, dass sie von den von mir angeführten Fällen noch nicht viel gehört hätten, beziehungsweise dass es ihnen bis jetzt noch nicht in den Sinn gekommen sei, ihren Protest gegen diese Barbareien auszudrücken. Diesbezüglich haben die Medien und Facebook eine riesengroße Verantwortung.
Als traurige Bilanz meiner nicht-repräsentativen Umfrage hatten schließlich nur zwei Personen erklärt, dass ihnen jedes menschliche Leben gleichermaßen wichtig sei. Es gab aber nicht in jedem Fall die Möglichkeit, ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Bei den anderen Tragödien fehlten der große Nachrichtenwirbel und eben auch der Sympathieknopf bei Facebook.
Hier ergibt sich gleich eine andere Frage: Können wir unser Mitgefühl ohne die von den sozialen Medien gebotenen Möglichkeiten nicht mehr ausdrücken? Was ist mit einer einfachen schwarzen Schleife? Ganz vergessen?
Der Kommentar erschienen am 17. November in der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet.