In Zeiten der Flüchtlingskrise ist es sicherlich nicht leicht, Ungarn auf einer Buchmesse zu repräsentieren. Die „Donau Lounge“ des Balassi Institut und des Collegium Hungaricum Wien hat es jedoch vermocht, Besuchern andere Perspektiven auf Ungarn zu zeigen. Wir sprachen über den ungarischen Auftritt mit Márton Méhes, Initiator und Koordinator der Donau Lounge auf der BUCH WIEN.
Márton Méhes war von 2010 bis Mai dieses Jahres Direktor des Balassi Instituts – Collegium Hungaricum Wien. Die Donau Lounge hat er erstmals 2012 im Rahmen des Instituts initiiert. Auch das diesjährige Programm durfte er als Projektkoordinator konzipieren und leiten.
- Das aktuellste vorweg: Wie waren die Reaktionen bei der BUCH WIEN auf die Terroranschläge von Paris?
Allgemeine Bestürzung. Fast die gesamte Messe musste im Zeichen dieser schrecklichen Tragödie stattfinden. Am Abend der Anschläge war die feierliche Eröffnung der Buchmesse. Die Trauer vereint, das Thema dominierte die Gespräche, und doch denke ich, dass es besser war, Großveranstaltungen – wie auch die BUCH WIEN – wie geplant durchzuführen.
- Inwieweit hat das allgegenwärtige Thema der Flüchtlingskrise die Buch Wien geprägt?
Auch bei Podiumsgesprächen und Lesungen, die ansonsten nicht diesem Thema gewidmet waren, ist die aktuelle Flüchtlingskrise immer wieder angesprochen worden. Natürlich lässt diese Frage die Literaten nicht in Ruhe. Auf der anderen Seite hat die BUCH WIEN ein sehr breites Programm – von der Kinderbühne über die Donau Lounge bis hin zur sogenannten Lebensart Bühne, auf der auch Kochshows durchgeführt werden.
- Gibt es bereits Literatur, die sich mit dem Thema auseinandersetzt?
Natürlich bekommt man bei Weitem nicht alles mit, was in den vier Tagen präsentiert wird. Hinzu kommt noch die Lesefestwoche, die von Dienstag bis Sonntag ganz Wien mit Veranstaltungen rund ums Buch erfasst. Aber neue Bücher zur Flüchtlingsthematik waren erstmal sicher nicht dominant. Die Zeit seit Ende des Sommers reicht einfach nicht, um seriöse Bücher professionell auf den Markt zu bringen.
- Wie sehr bestimmt die Flüchtlingskrise die ausländische Sicht auf Ungarn? Wie gehen Sie damit um?
Die Donau Lounge setzt ganz woanders an: Kein Land dieser Region kann aus dem Zusammenhang gerissen verstanden werden. Diese Länder werden sowohl historisch wie auch aktuell erst im Kontext des Donauraumes richtig interpretierbar. Das müssen wir auch gegenseitig verstehen und akzeptieren. Dazu bedarf es jedoch auch einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung, aber wenigstens eines besseren Verständnisses. Die zeitgenössische Literatur bietet dazu die beste Grundlage. Die (persönlichen) Geschichten dieser Region, teilweise auch die unterschiedlichen Sichtweisen, finden wir in der Literatur wieder.
- Was genau ist die Donau Lounge?
Die Donau Lounge ist ein von Ungarn initiiertes Literaturprogramm mit eigener Bühne, das bereits das vierte Mal in Wien stattgefunden hat. Neben dem Balassi Institut (Publishing Hungary Programm) haben wir wichtige Partner, die uns auch über die Jahre treu geblieben sind, wie etwa die Vertretung der europäischen Kommission in Österreich, das österreichische Außenministerium, die ARGE Donauländer, sowie die Kulturinstitute und Botschaften der Donauregion. Durch die Kooperation mit der internationalen Übersetzungsorganisation Traduki haben wir auch viel Expertise dazugewonnen. In der Donau Lounge sind dieses Jahr bis zu 50 Gäste aus 14 Ländern aufgetreten – ein neuer Rekord, genauso wie die über 40.000 Besucher der Messe insgesamt.
In den letzten Jahren waren wir mit der Donau Lounge sogar auf Tournee: Je zweimal in Bukarest und Lemberg, und einmal in Targu Mures und Budapest. Man kann behaupten, dass die Donau Lounge zu einer regionalen Kulturmarke – in Anlehnung an die europäische Donauraumstrategie – geworden ist.
- Welche Autoren wurden für die Messe ausgewählt? Und warum diese?
Gemeinsam mit der BUCH WIEN, mit Traduki, mit den Verlagen und den Kulturinstituten versuchen wir jedes Jahr das Beste aus dem Donauraum zu präsentieren – wichtige Neuerscheinungen in deutscher Sprache. Die diesjährige „Ernte“ war besonders gut: Es sind zahlreiche vielversprechende Romane aus der Region erschienen, die wirklich große Literatur sind! Es war schön miterleben zu dürfen, wie positiv die neuen Bücher etwa von Noémi Kiss, György Dragomán, Péter Gárdos oder László Szilasi aufgenommen wurden.
- Gibt es gemeinsame Themen, welche die ungarischen Autoren besonders beschäftigt haben?
Die Neuerscheinungen aus Ungarn sind geradezu ein Beweis dafür, wie stark sich die Autoren mit der eigenen Vergangenheit und der ihrer Familien auseinandersetzen, die im Donauraum typischerweise mit dramatischen historischen Ereignissen und Veränderungen verbunden sind. Péter Gárdos arbeitet die außergewöhnliche Liebesgeschichte seiner Eltern auf – beide sind Holocaust-Überlebende, während György Dragomán uns nach Siebenbürgen führt, in die unklaren Strukturen der unmittelbaren Nachwendezeit.
- Welchen Roman würden sie unseren Lesern als Einstieg in die aktuelle ungarische Literatur empfehlen?
Es sind ja nicht „nur“ Geschichten, sondern individuelle literarische Stimmen, von daher fällt es mir eher schwer, mich auf einen Autor oder eine Autorin festzulegen. Insofern könnte ich mir eher vorstellen, den Lesern jene vier Bücher als aktuelles Einstiegspaket in die ungarische Literatur zu empfehlen, die wir in der Donau Lounge präsentiert haben. Damit bekommen sie ein erstes Panorama der heutigen ungarischen Literaturwelt, das ihnen bestimmt Lust auf mehr ungarische Bücher macht!
- Wie waren die Rückmeldungen dieses Jahr?
Dieses Jahr haben wir das erste Mal erlebt, dass die Messebesucher ganz gezielt in die Donau Lounge wollten. Jede einzelne Lesung war nicht nur gut besucht, sondern wir hatten es auch mit einem sehr aufmerksamen Publikum zu tun. Auch wurden viel mehr Bücher am Büchertisch vor Ort gekauft – ein deutliches Zeichen für die Qualität des Programms. Sowohl die Partner wie auch die BUCH WIEN waren mit dieser Entwicklung richtig glücklich und freuen sich auf die gute Fortsetzung.